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Miniworld

Spaß und Verantwortung

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Gerade kam ich von einem Kurztrip in die Niederlande zurück, wo ich einmal für eine Weile gelebt habe. Es waren ein paar schöne Tage, dennoch hatte ich ein starkes Gefühl der Erleichterung, als der IC, in dem ich die sieben Stunden Fahrt von Rotterdam nach Berlin verbracht hatte, in den Bahnhof einrollte. In meiner Euphorie holte ich mir gleich eine Currywurst am U-Bahnhof und genoss für ein paar Minuten die seelenvolle Schmuddeligkeit meiner Stadt.

Die seltsam klinische Sauberkeit Rotterdams hatte in mir schon immer ein leicht angewidertes Unbehagen ausgelöst - ebenso wie ein sanftes Gefühl der Angst: Mich von den wenigen Passanten auf den weitläufigen Plätzen beobachtet fühlend, geriet ich in einen Zustand unangenehmer Selbstbeobachtung. Ich war immer ängstlich, etwas zu tun, womit ich, aus Versehen, gegen die unausgesprochenen sozialen Regeln verstieß - oder einfach, ebenfalls aus Versehen, meine aseptische Umgebung zu beschmutzen.

Der einzige Ort, an dem ich mich wohlfühlte, war die »dem größten Hafen Europas« nächstgelegene Bar, »The Buccaneer«: eine Karaoke-Bar mit den immer selben, virtuos performenden Gästen, die »Voyage Voyage« oder Dolly Parton sangen. Eine Weile lang endete ich jeden Abend allein am Tresen, unterhielt mich mit der platinblonden, toupierten Barkeeperin und ließ mir von fremden Seemännern, die mir von der anderen Seite des Tresens aus zuwinkten, kleine Biere vom Fass ausgeben. Jenes Stammpublikum empfing mich auch dieses Mal wieder mit einem fröhlichen »She is back«, als ich meinen Rollkoffer die Straße entlangzog.

Dass Rotterdam ansonsten eine so ekelhaft sterile Erscheinung hat, liegt auch daran, dass es gemeinhin als »Nukleares Testgebiet für extravagante Architekturprojekte« gilt. Trotz der geringen Einwohnerzahl gibt es erstaunlich viele hohe Gebäude - im Gegensatz zu Berlin hat Rotterdam eine richtige Skyline. Die Stadtverwaltung hat in den letzten 50 Jahren diverse dieser überdimensionierten Bauprojekte genehmigt - und das nicht aus purer Eitelkeit. Die Fernsehtürme, Wolkenkratzer und amerikanisch anmutenden Brückenbauten haben die Funktion, die Industriestadt zu einem imaginären Ganzen umzudefinieren.

Signifikant für diese urbanistische Motivation ist auch die Tatsache, dass diese Gebäude weniger für die (ohnehin sporadischen) Touristen als vielmehr für die Einwohner der zerstreuten Stadt gemacht sind: Ihnen wird nahegelegt, die Distanz zu ihrer Stadt zu vergrößern, um sie dadurch zu verringern, um sie ihnen nahezurücken.

Die absurdeste dieser (Nähe produzierenden) Distanzierungsmaschinerien ist »Miniworld Rotterdam« - eine mit Tag- und Nachtsimulation ausgestattete Hobbykeller-Variante der Stadt. In Modelleisenbahnformat ist sie die Urgroßmutter aller Vergnügungsparks. Ich besuchte »Miniworld« mit einer Person, die in Orlando, Florida, aufgewachsen ist. Als Kind ging er mindestens zweimal im Jahr zu »Disney World«. Im Gegensatz zu mir, die immerhin die virtuose Herstellung der Mikroskulpturen wertschätzte, ließ ihn der Vergnügungspark völlig kalt.

Abgesehen davon, dass die Stadt ihre Bewohner regelmäßig dazu bringt, eine solche Vogelperspektive einzunehmen, erinnert sie selbst eher an die Simulation einer Stadt. Die penibel regulierte Organisation des Verkehrs wirkt wie die Bühne eines »Als ob«-Spiels, wie ein Verkehrsübungsplatz für Kinder. Die Stadt hat offensichtlich nicht nur eine »Miniworld«, sie ist selbst eine »Miniworld«. Nur ein einziges Mal sah ich dort ein leidenschaftlich knutschendes Paar auf der Straße - wie in einer leeren Kulisse oder von Kindern, die »Wahrheit oder Pflicht« spielen.

Es gibt ein niederländisches Sprichwort: »Der liebe Gott hat die Welt geschaffen - abgesehen von den Niederlanden, die wurden von den Menschen gemacht.« Die Existenz der Hafenstadt selbst ist tatsächlich in enormem wirtschaftlichen Investment begründet. Sie liegt 7,40 Meter unter dem Meeresspiegel und wird, für jährlich mehrere Milliarden Euro, nur durch ein ausgeklügeltes Abpumpsystem »über Wasser gehalten«.

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