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Die Opfer von Hanau klagen an
Es gibt Hinweise auf polizeiliches Fehlverhalten nach dem Anschlag. Nun kommt ein Untersuchungsausschuss
Nach dem rassistischen Attentat im hessischen Hanau vom 19. Februar 2020 wurden schwere Vorwürfe gegen die hessische Polizei erhoben. Die Anwälte der Opfer-Familien setzten im März dieses Jahres ein Schreiben an das hessische Innenministerium mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde auf. Darin warfen sie den Polizeikräften und -behörden vor, »die Mordtaten durch amtspflichtwidrige Versäumnisse begünstigt beziehungsweise nicht verhindert zu haben«. Der Täter ermordete neun Hanauer Bürger, die einen Migrationshintergrund haben. Anschließend erschoss er in der elterlichen Wohnung seine Mutter und sich selbst.
In ihrem Schreiben verwiesen die Anwälte unter anderem auf eine »technisch unzulängliche und unterbesetzte Notrufanlage« der Hanauer Polizeistation. Dass der Notausgang der »Arena Bar«, wo gemordet wurde, am Tatabend verschlossen war, wirft ebenfalls einige Fragen auf. Somit war nämlich eine Flucht unmöglich. Vorwürfe richten sich auch gegen die Sicherheitskräfte, weil ein angeschossenes Opfer lange Zeit nicht versorgt wurde, obwohl es zu diesem Zeitpunkt noch lebte. Hinzu kamen Versäumnisse im Umgang mit den Angehörigen. Sie hatten kritisiert, dass sie die Opfer erst nach den Obduktionen hätten sehen dürfen. Zuvor seien sie nicht nach ihrem Einverständnis zu diesem Vorgehen gefragt worden.
Nun wird sich ein Untersuchungsausschuss im Wiesbadener Landtag näher mit den Hintergründen beschäftigen. Dazu werden die Oppositionsfraktionen von SPD, FDP und Linkspartei am Mittwoch einen Antrag einbringen. »Seit der schrecklichen Tat sind immer mehr Details bekannt geworden, die Fragen aufwerfen. Vieles ist bisher unklar und widersprüchlich«, erklärte dazu die SPD-Fraktionsvorsitzende Nancy Faeser. Man schulde den Angehörigen der Ermordeten diese parlamentarische Aufklärung, damit sie wenigstens die Chance erhalten würden, mit dem grauenvollen Geschehen zurechtzukommen, sagte die Sozialdemokratin.
Nicht mit dabei ist die rechte AfD, die immerhin 17 Abgeordnete stellt. Politiker der AfD wie der Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio hatten gesagt, dass der Täter eine Psychose habe. Deswegen habe er nicht »wahnfrei« aus politischen Motiven handeln können. Dabei hatte der Attentäter in einer Art Manifest geschrieben, dass ganze »Völker« vernichtet werden sollten.
Die Fraktionen der Regierungsparteien CDU und Grüne haben nach den Worten von Nancy Faeser bereits Zustimmung zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses signalisiert, obwohl dann auch Politiker aus den eigenen Reihen unter Beschuss stehen werden. Dabei geht es vor allem um Landesinnenminister Peter Beuth. Der CDU-Politiker musste bereits einräumen, dass es Kapazitätsengpässe beim Notruf des zuständigen Polizeipräsidiums Südosthessen gab.
Doch nicht allein der Personalmangel ist ein Problem. Noch schwerer wiegt, dass es viele Hinweise auf ein rechtsradikales Netzwerk in der hessischen Polizei gibt. Im Juni verkündete Beuth, dass das Spezialeinsatzkommando (SEK) Frankfurt am Main aufgelöst wird. Denn es war eine Chatgruppe mit mehr als 20 Frankfurter Beamten aufgeflogen, in der rechtsradikale Inhalte geteilt worden sind. Später teilte Beuth dann bei einer Sitzung des Innenausschusses des Landtags mit, dass 13 der beschuldigten SEK-Polizisten am Tatabend des rassistischen Anschlags von Hanau in der Stadt im Dienst waren.
Der Ausschuss wird diesen Polizeieinsatz genauer unter die Lupe nehmen. Ebenso wollen die Abgeordneten wissen, welche Informationen die hessische Landesregierung und die Behörden über den Täter und dessen Vater hatten und wie damit umgegangen wurde. Im Februar dieses Jahres hatte die Staatsanwaltschaft Hanau Anklage gegen den Vater des Hanau-Attentäters erhoben. Die Behörde legte ihm in diesen Zusammenhang eine rassistische Beleidigung zur Last. Ihm wurde vorgeworfen, Teilnehmende einer Mahnwache, die Ende Dezember in Hanau stattgefunden hat, als »wilde Fremde« bezeichnet zu haben.
Erschrecken ist auch, dass der Täter legal Waffen besaß. Er war Sportschütze und hatte zwei Pistolen in einer Waffenbesitzkarte eingetragen. Nun soll geklärt werden, ob es bei der Erteilung dieser Besitzkarte Versäumnisse gab und ob nicht die rechtliche Möglichkeit bestanden hätte, ihm die Erlaubnis zu verweigern, Waffen zu besitzen.
Das Haus des Täters wurde erst gegen drei Uhr am Morgen des 20. Februar gestürmt. Der Ausschuss will nun klären, ob es zeitweise zu einer Verwechslung des Täterhauses gekommen ist. Dies könnte den Zugriff verzögert haben. Merkwürdig ist zudem, dass der Leichnam des Attentäters erst rund eine Stunde nach dem Eindringen in das Haus gefunden wurde. Bei dieser Aktion waren die 13 SEK-Beamten im Einsatz, die unter dem Verdacht stehen, eine rechtsradikale Gesinnung zu haben. Nun muss geklärt werden, wie sich ihr Verhalten auf das Einsatzgeschehen ausgewirkt hat.
Auch das Umfeld, in dem solche Taten wie die in Hanau möglich sind, wollen die Abgeordneten beleuchten. Zu diesem Zweck sollen Informationen gesammelt werden, welche rechten und neonazistischen Strukturen und Personen seit 2017 insbesondere im Hanauer Stadtteil Kesselstadt aktiv sind. Dort starben sechs Opfer des rassistischen Anschlags.
Im Ergebnis soll der Ausschuss laut der SPD-Politikerin Faeser eine Empfehlung geben, welche Konsequenzen aus der Terrornacht von Hanau zu ziehen sind. Beispiele hierfür könnten die Organisations- und Arbeitsstruktur staatlicher Stellen in Hessen sein.
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