Tarifvertrag wird als hinderlich empfunden

Der sächsische Erzgebirgskreis will vier kommunale Krankenhäuser verschmelzen - zu Lasten der Beschäftigten

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Im sächsischen Burkhardtsdorf ist derzeit die Bundesstraße wegen Bauarbeiten gesperrt; die Verkehrsverhältnisse sind einigermaßen chaotisch. An diesem Mittwoch wird es noch enger in dem Ort am Fuß des Erzgebirges. In einer Halle versammeln sich die 99 Mitglieder des Kreistags; vor dem Gebäude werden 200 Demonstranten erwartet, die mit Autos und einem Bus anreisen. Es sind Beschäftigte von vier kreiseigenen Krankenhäusern, über deren Fusion die Abgeordneten zum Auftakt in ihrer Sitzung entscheiden sollen. Das Vorhaben gilt als eine der wichtigsten politischen Weichenstellungen im Landkreis in der aktuellen Wahlperiode - stößt aber bei den Betroffenen auf Skepsis oder gar Ablehnung. Der Landkreis, hieß es kürzlich in einem offenen Brief, schlage den »falschen Weg« ein.

Laut Vorlage der Verwaltung um Landrat Frank Vogel (CDU) sollen die Kreisräte abstimmen über die »Schaffung zukunftsorientierter Strukturen« bei den Krankenhäusern. Die Häuser in Annaberg-Buchholz, Stollberg, Zschopau und Olbernhau mit zusammen 1000 Betten sind für die Grundversorgung in der ländlichen Region zuständig. Sie befinden sich aber in schwierigem Fahrwasser. 2018 schrieben sie in Summe ein Defizit von 3,8 Millionen, im Jahr darauf 2,1 Millionen. Künftig sei von »weiter unbefriedigenden Jahresergebnissen auszugehen«, heißt es in der Vorlage; ein energisches Umsteuern »duldet keinen weiteren Aufschub«.

Das Rezept, für das sich die Verwaltung entschieden hat, heißt: Fusion. Die Kliniken, Versorgungsgesellschaften und Ambulanzen - insgesamt zehn Gesellschaften - sollen zur Erzgebirgsklinikum gGmbH verschmelzen. Das sei sinnvoll und sogar »cool«, sagt Robin Rotloff, Sekretär der Gewerkschaft Verdi: »Dass hier Wettbewerb und sinnlose Konkurrenz abgebaut werden, begrüßen wir.«

Was Beschäftigte und Gewerkschaft indes gar nicht begrüßen, ist die Art der Vereinigung und ihre Begründung. Anfangs war aus steuerlichen Gründen eine Verschmelzung auf das größte Haus in Annaberg-Buchholz geplant. Nachdem klar wurde, dass bei dem Zusammenschluss keine Grundsteuer fällig wird, rückte ein anderes Motiv in den Blick: die Tarifsituation und deren Kosten. Prämisse für den Zusammenschluss ist nun, dass die »alleinige Anwendung des Tarifvertrags öffentlicher Dienst« vermieden werden soll. Mit diesem, so heißt es in dem Beschlusstext, wäre schließlich eine »wirtschaftliche Betriebsführung nicht zu gewährleisten«.

Derzeit gelten in den vier Häusern unterschiedliche Regelungen: Tarife, die mit Verdi oder dem Marburger Bund abgeschlossen wurden, oder Haustarife, die sich daran anlehnen. Die aus Sicht der Beschäftigten unerquicklichste Situation herrscht am Kreiskrankenhaus Stollberg, das vor Jahren aus dem Arbeitgeberverband austrat und wo es laut Rotloff über Jahre »keinerlei Entwicklung« gab, bevor 2020 nach Streiks ein Abschluss bei 90 Prozent des Tarifs erfolgte. Auf genau dieses Haus aber sollen nun alle Unternehmen »seitwärts« verschmelzen. Das, heißt es in der Begründung der Beschlussvorlage, gebe »Möglichkeiten bezüglich der Ausgestaltung und Anwendung von Tarifverträgen«. Die aktuell 2400 Beschäftigten sollen zwar zu den jetzigen Konditionen weiter beschäftigt werden. Die beschlossene Ost-West-Angleichung der Arbeitszeit mit einer anstehenden ersten Reduzierung auf 38,5 Stunden aber wird zum Beispiel umgangen.

Rotloff sieht eine schäbige Art des Umgangs mit Mitarbeitern: »Gestern wurden sie noch beklatscht, heute sollen sie es sein, die dafür bezahlen, dass die Gesundheitsversorgung in der Region aufrecht erhalten wird.« Aus der Landespolitik gibt es warme Worte für die Beschäftigten. Bei einer Protestkundgebung in Dresden räumte SPD-Sozialministerin Petra Köpping ein, es sei »Landessache, die Kommunen so auszustatten, dass sie an dieser Stelle nicht diese Gefechte austragen« und zu Lasten der Mitarbeiter sparen müssten. Die Linke im Kreistag wehrt sich gegen eine Art der Fusion, mit der die Belegschaften »eine falsche Krankenhausfinanzierung und -politik ausbaden« sollen. Bei der Mehrheit im Kreistag besteht freilich eher die Sorge, das Klinikum könne zum finanziellen Fass ohne Boden werden. Ein Haustarif sei eine »gute Grundlage, dass das Klinikpersonal gerecht entlohnt wird«, zitiert die »Freie Presse« die CDU im Kreistag. Auch AfD und Freie Wähler dürften der Fusion wohl zustimmen - eine satte Mehrheit von 71 der 99 Kreisräte.

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