- Politik
- Infrastruktur-Paket
Milliarden-Verhandlung um Zukunftsinvestitionen
Seit Monaten verhandeln US-Präsident Joe Biden, moderate Republikaner und die Demokraten über zwei Infrastruktur-Pakete
15 Wochen lang dauert die sogenannte Infrastruktur-Woche in den USA jetzt schon – so lange verhandeln Demokraten mit Republikanern, ringen progressive Demokraten mit konservativen Demokraten, arbeitet das Weiße Haus hinter den Kulissen mit diversen Verhandlungsgruppen. Joe Biden hat sich vorgenommen, was lange kein US-Präsident mehr geschafft hat: endlich die marode und seit Jahrzehnten unterfinanzierte Infrastruktur im Land zu renovieren. Wer einmal über die schlaglochübersäten Highways im Land gefahren ist oder in verrosteten U-Bahnen in New York unterwegs war, weiß, was gemeint ist.
In der Vergangenheit war der Begriff Infrastruktur-Woche zum Running Gag unter Journalisten geworden: Immer wieder versuchten sich Präsidenten an Initiativen zu einem Thema, zu dem es eigentlich breite parteiübergreifende Zustimmung im Land gibt, das aber immer wieder an der Finanzierung scheiterte, weil seit der »Reagan Revolution« der 80er Jahre weniger Regierungsinitiative und staatliche Investitionen angesagt waren.
Doch schon mit den drei Hilfspaketen gegen die Coronakrise 2020 und 2021 kam der starke Staat zurück. Die Demokraten sorgten für einen sozialstaatlichen Geldregen: Es gab ein Extra-Krisenarbeitslosengeld und Direktgeldzahlungen an alle Amerikaner. Die Bundesstaaten erhielten so viel Hilfe, dass etliche – statt wie zunächst befürchtet Stellen im öffentlichen Dienst zu streichen zu müssen – im Geld schwimmen und eilig versuchen, die Mittel sinnvoll auszugeben.
Am Donnerstag erhalten zudem die ersten von bis zu 39 Millionen Familien zum ersten Mal ein auf 250 bis 300 Dollar pro Monat je nach Kindesalter fast verdoppeltes Kindergeld. Das Ergebnis von so viel Stimulus: Die Parlamentsökonomen des Congressional Budget Office haben ihre Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts für 2021 verdoppelt – auf 7,4 Prozent.
Mit dem Infrastruktur-Paket will die Biden-Regierung eine solche keynesianistische antizyklische Investitionspolitik weiter vorantreiben. Bidens Team im Weißen Haus weiß, das es trotz der guten Wirtschaftsdaten immer noch sieben Millionen weniger Jobs gibt als vor Beginn der Pandemie. Man hofft, mit sozialstaatlichen Wohltaten und einem »Biden-Boom« bei den Zwischenwahlen zum Kongress im Herbst 2022 die knappe Demokraten-Mehrheit in Repräsentantenhaus und Senat zur verteidigen.
Anfang April hatte Biden sein Eröffnungsangebot vorgestellt: 2200 Milliarden Dollar für Straßen, Brücken und »Oberflächentransport«, aber auch für die Anpassung von Amerikas Infrastruktur an die Klimakrise etwa mittels Aufbau eines landesweiten Elektroauto-Ladesäulen-Netzwerkes – über acht Jahre verteilt. Das könne »Millionen« Jobs schaffen, deswegen der Name »American Jobs Plan«.
Vier Wochen später, Ende April, stellte Biden die zweite Säule seiner Infrastruktur vor, den »American Families Plan« im Umfang von 1800 Milliarden Dollar. Wichtige Elemente darin: die Einführung von freier staatlicher Kita-Betreuung für Drei- und Vierjährige, weitere Subventionen, damit keine Familie mehr als sieben Prozent ihres Einkommens für Kinderbetreuung ausgeben muss, zwei Jahre studiengebührenfreie Ausbildung an staatlichen »Community Colleges«, ein landesweites Programm zu zwölf Wochen Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, eine Fortführung der Anfang des Jahres beschlossenen Kindergelderhöhung von 2022 bis 2025, mehr Obamacare-Subventionen für Krankenkassenbeiträge, mehr Geld für Essenprogramme für arme Familien.
Amerika müsse auch in seine »soziale Infrastruktur« investieren, so das Weiße Haus, das »Infrastruktur« so weit fasst beziehungsweise umdefiniert. Bezahlt sollen beide Pläne nicht nur durch neue Schulden, sondern auch durch eine Erhöhung der Unternehmenssteuern auf 28 Prozent, die Schließung von Steuerschlupflöchern für Großkonzerne, eine Erhöhung der Kapitalertragssteuer und eine stärkere Besteuerung von Top-Verdienern mit Jahreseinkommen über 400 000 Dollar.
Anders als beim 1900 Milliarden Dollar umfassenden Coronakrisen-Paket, das mittels Haushaltsgesetzgebung in rekordverdächtiger Eile innerhalb weniger Wochen allein mit Demokraten-Stimmen durchs Parlament geboxt wurde, folgt Joe Biden bei der Infrastruktur-Initiative dem klassischen Drehbuch: Er versucht parteiübergreifende Zustimmung – Republikaner-Stimmen – zu erreichen. Ein halbes Dutzend konservativer Demokraten-Senatoren um Joe Manchin aus West Virginia verlangt dies.
Dazu haben sich die Demokraten auf ein zweigleisiges System festgelegt. Sie wollen versuchen, ein reduziertes, aber durch parteiübergreifende Zustimmung legitimiertes Paket zu Straßen, Brücken und sonstiger physischer Infrastruktur mit den Republikanern zu verabschieden und zusätzlich per Haushaltsgesetzgebung und der eigenen knappen Mehrheit die umfangreicheren Maßnahmen aus Bidens Plan für Jobs und dem Familienplan beschließen.
Mitte Juni stellte eine neu zusammengestellte Gruppe von konservativen Demokraten-Senatoren und moderaten Republikaner-Senatoren um den Demokraten Joe Manchin ein reduziertes Infrastruktur-Paket im Umfang von 1200 Milliarden Dollar vor. Doch nicht nur Parteilinke, sondern auch Haushaltsexperten bezweifeln, dass es so finanziert werden kann wie vorgeschlagen: nämlich ohne Steuererhöhungen für Konzerne und Reiche, sondern mittels ungenutzter Mittel aus dem Coronakrisen-Paket vom März, die aber teilweise haushalterisch zweckgebunden sind und nicht einfach umgewidmet werden könnten.
In den letzten Tagen wiederum haben einige Republikaner aus der Gruppe erklärt, vielleicht doch nicht zustimmen zu wollen – progressive Demokraten warnen schon lange davor, die Republikaner wollten nur Zeit schinden um dann die Zustimmung zu verweigern. Zehn Republikaner-Stimmen werden gebraucht , um eine Blockade des Projekts mittels der Filibuster-Verfahrensregel zu verhindern.
Der Grund für die plötzlichen republikanischen Bedenken: Die demokratische Repräsentantenhaus-Sprecherin Nancy Pelosi hat angekündigt, dem parteiübergreifenden Infrastruktur-Kompromisspaket erst dann zuzustimmen, wenn der politisch etwas konservativere Senat auch ein zweites Paket mit den sozialstaatlichen Demokraten-Zielen aus Bidens Jobs-Plan und dem Familienplan per Reconciliation, also mittels Haushaltsgesetzgebung, beschlossen hat. Die Republikaner-Senatoren wiederum hatten insgeheim kalkuliert, dass die konservativen Demokraten-Senatoren das überparteiliche Kompromisspaket mit den Stimmen der Parteilinken durchbringen, sich anschließend aber bei den weitergehenden sozialstaatlichen Maßnahmen sperren würden.
Seit Wochen arbeitet Bernie Sanders, der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im US-Senat, deswegen schon an Plan B, einem massiven Infrastrukturpaket mit den Inhalten des Jobs-Plans und des Familienplans nur mit 51-Demokraten-Stimmen im US-Senat per Reconciliation zu verabschieden – wie bereits beim Hilfspaket gegen die Coronakrise geschehen. Sanders gedenkt dem Paket seinen Stempel aufzudrücken, legte Ende Juni einen Entwurf für ein 6000 Milliarden Dollar schweres Paket vor – sein Verhandlungsangebot.
Dieses könne das »bedeutendste für arbeitende Familien seit den 30er Jahren«, so der demokratische Sozialist aus Vermont. Mittwochmorgen erklärte der Senatsmehrheitsführer Chuck Schumer dann, die Demokraten-Fraktion habe sich auf ein 3500-Milliarden-Dollar-Paket dazu geeinigt. Aktuell arbeiten sowohl Sanders und Schumer als auch die Kompromiss-Gruppe um Manchin daran, ihre Vorschläge in konkrete Gesetzestexte umsetzen. Der demokratische Senats-Mehrheitsführer will beides vor den Parlamentsferien im August beschließen lassen. Ende September enden einige laufende Infrastrukturprogramme der US-Regierung – die inoffizielle Deadline für beide Pakete. Bis dahin geht das Tauziehen und Taktieren weiter.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!