- Politik
- Irland
Pandemie bedroht Randgruppe
Minderheit der Traveller in Irland ist besonders stark von Corona-Infektionen betroffen
In Irland kündigt sich eine vierte Coronawelle an. Seit Anfang Juli steigen wieder die Infektionszahlen, unter den Neuinfizierten herrscht die ansteckendere Deltavariante vor. Laut einer Prognose des Gesundheitsministeriums könnte es im September täglich 1500 bis 2000 neue Fälle geben. Der die Regierung beratende irische Chef-Mediziner Tony Holohan erklärte bei der Veröffentlichung des Berichts: »Wir stehen am Beginn der vierten Welle, aufhalten können wir sie nicht mehr.«
Besonders von der Pandemie betroffen ist die Minderheit des »fahrenden Volkes«. In Irland wird diese Gruppe Traveller genannt. Laut einer Studie, die von ihrer lokalen Organisation Galway Traveller Movement (GTM) in Auftrag gegeben wurde, haben sich allein in der westlichen Grafschaft Galway im vergangenen Jahr etwa 1000 Traveller mit Corona infiziert. Im aktuellen Zensus von 2016 gaben in der Grafschaft 2647 Personen an, Teil der Traveller-Gemeinschaft zu sein. Somit war mehr als ein Drittel der Minderheit in Galway von Covid betroffen. Landesweit trifft das besonders auf die dritte Coronawelle zu, die in Irland ab Anfang Januar einsetzte. In dieser Zeit machten Traveller ein Drittel aller Covid-Intensivpatienten aus. Dabei zählen sich in der Republik Irland nur rund 33 000 Personen, also 0,7 Prozent der Bevölkerung, zur Traveller-Gemeinschaft.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die Traveller gehören zum ärmsten Teil der Bevölkerung und leben oft in Wohnwagensiedlungen an Stadträndern. Die Pandemie verschärft ihre Notlage noch weiter. Aufgrund hoher Arbeitslosigkeit und häufiger Tätigkeiten im informellen Sektor sind die Traveller oft nicht ausreichend gesundheitsversichert und können sich notwendige Behandlungen während der Pandemie nicht leisten. Zumeist leben mehrere Generationen auf engstem Raum zusammen, was Selbstisolation bei Infektionen unmöglich macht. In vielen Haushalten fehlt der Zugang zu Trinkwasser und Elektrizität.
Die Pandemie verschärfte auch die Ungleichheit im Bildungsbereich. Die Studie zeigt, dass während der ersten Welle im Frühjahr 2020 nur 41 Prozent der Traveller regelmäßigen Zugang zu digitalen Endgeräten und zum Internet hatten. Mehrere Familien gaben an, dass sich oft bis zu sieben Kinder ein Mobiltelefon teilten, mit dem sie ihre Schulaufgaben machen mussten.
Die Traveller entstanden als Volksgruppe während der Kolonialisierung Irlands, als durch den englischen Siedlerkolonialismus im 17. Jahrhundert Teile der Bevölkerung von ihren Ländereien vertrieben wurden und ein nomadisches Leben aufnahmen. Nach der Unabhängigkeit 1921 setzte staatliche Diskriminierung ein. 63 Prozent der Befragten gaben an, regelmäßig soziale Ausgrenzung und Rassismus zu erfahren.
Derweil geht es mit der Impfkampagne im Land gut voran. Etwa 42 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind bereits vollständig gegen Covid geimpft. Seit der vergangenen Woche werden Personen unter 40 Jahren mit Astra-Zeneca geimpft, und die Altersgruppe zwischen 32 und 35 kann sich für eine Impfung bereits registrieren. Um die Impfrate rasch in die Höhe zu treiben, kaufte Irland Anfang Juli, ausgerechnet von Rumänien, eine Million Impfdosen ein.
In anderen Bereichen ist die Regierung allerdings weniger zielstrebig. Die geplanten Öffnungen wurden vom 5. auf den 29. Juli verschoben. Viele Stadtteile der Hauptstadt Dublin gleichen immer noch einer Geisterstadt. Die meisten Geschäfte haben geschlossen, in Innenräumen von Pubs, Kaffeehäusern und Restaurants darf nicht konsumiert werden. Das liegt daran, dass Irland weder für die Einreise ins Land noch im Land selbst das EU-Impfzertifikat anerkennt. Für die eigenen Bürger soll es erst ab nächster Woche ausgestellt werden. Antigentests werden nicht verwendet und PCR-Tests von der Gesundheitskasse nicht bezahlt.
Entsprechend stark sind die Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft und das soziale Leben. Laut dem nationalen Statistikamt sank die coronabedingte Arbeitslosigkeit zwar im Jahresvergleich, liegt aber immer noch bei hohen 18,3 Prozent.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.