Die Orgasmus-Ungleichheit

Frauen haben im Durchschnitt deutlich weniger Orgasmen als Männer. Besonders betroffen sind Frauen in heterosexuellen Beziehungen.

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 5 Min.

Orgasmus, Höhepunkt, Klimax oder auch das höchste der Gefühle. Er hat viele Namen und kommt in vielen verschiedenen Formen. Nur ist es für so manche Menschen gar nicht immer so einfach, zum Orgasmus zu kommen. Statistisch trifft das häufiger auf Frauen zu, als Männer. Wie beim Gender Pay Gap gibt es auch für die Aktivitäten zwischen den Laken eine beachtliche geschlechterbasierte Benachteiligung. Beschrieben wird die Differenz zwischen der Häufigkeit der Orgasmen bei Frauen und Männern als Orgasm Gap. Laut einer Studie des Journals »Archives of Sexual Behavior« liegt dieser bei unglaublichen 30 Prozentpunkten: 95 Prozent der befragten heterosexuellen Männer gaben an, meistens zum Orgasmus zu kommen, aber nur 65 Prozent der heterosexuellen Frauen.

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Das hat verschiedene Gründe. »Die sexuelle Sozialisierung von Männern und Frauen ist sehr unterschiedlich«, erklärt Anna Althoff, die als Psychologin und Sexualberaterin bei Profamilia Berlin arbeitet. Frauen würden gesellschaftlich weniger dazu angeleitet und aufgefordert werden, sich mit ihrem Körper und ihrer Sexualität auseinanderzusetzen. Dadurch hätten sie einen anderen Zugang zu ihrem Körper und wüssten teilweise selber gar nicht, wie sie selber zum Orgasmus kommen oder hätten bei Begegnungen Hemmungen, dies zu kommunizieren.

Bei der Darstellung von Sexualität wird oft suggeriert, das »richtiger Sex« Penetration ist, erklärt Althoff. Außerdem wird davon ausgegangen, dass penetrativer Sex für Frauen genau so stimulierend ist, wie für Männer. Klar ist aber, dass das falsch ist. Bei den allermeisten Frauen sei eine klitorale Stimulation notwendig, um zum Orgasmus zu kommen, erzählt die Sexualberaterin. Doch die Klitoris spielt eine sehr untergeordnete Rolle. »In medizinischen und anatomischen Lehrbüchern gab es lange und teilweise immer noch falsche anatomische Abbildung der Klitoris«, erklärt sie. Die richtige anatomische Form der Klitoris wurde erst 1998 wiederentdeckt. Mittlerweile ist klar, dass es nicht nur eine Perle ist, sondern ein viel größeres Organ.

Es gibt auch große Unterschiede zwischen Frauen in heterosexuellen Beziehungen und lesbischen und bisexuellen Frauen. Frauen, die mit Frauen Sex haben, kommen dabei deutlich öfter zum Orgasmus.

Eine aktuelle Womanizer Umfrage fand heraus, dass 77 Prozent der befragten Männer jeder Sexualität bei penetrativem Sex fast immer zum Höhepunkt kommen. Dies ist aber nur bei 49 Prozent der weiblichen Befragten der Fall. Knapp die Hälfte der männlichen Befragten gab an, den Klimax immer zu erreichen. Nur 20 Prozent der Frauen gaben an, bei penetrativem Sex immer zum Höhepunkt zu kommen. Jede zehnte Frau bekommt bei penetrativem Sex sogar gar keinen Orgasmus – dies ist nur bei knapp drei Prozent der Männer der Fall. Die Studie stammt aus dem Juli 2021, insgesamt 14.500 Menschen aus 17 Ländern nahmen daran teil.

Dass Frauen oft leer ausgehen, wird häufig so erklärt, dass es für Frauen einfach schwerer ist, zum Orgasmus zu kommen. Doch das stimmt nicht, finden Jane und Sara, die eigentlich anders heißen. Die beiden Frauen sind in einer langjährigen Beziehung, waren zuvor aber auch in Partnerschaften mit Männern. »Ich habe mich nicht wohl gefühlt, mit meinen Partnern darüber zu reden, was ich möchte«, gibt Jane zu. »Sie waren auch alle nicht sonderlich um meinen Orgasmus bemüht.« Erklären kann sie sich das vor allem mit dem von Mainstream Porno verbreitete Bild von penetrativem Sex.

Und tatsächlich: In konventionellen Pornos wird weibliche Lust selten gezeigt. Eine Studie des Journals of Sex Research fand 2017 heraus, dass in den 50 meistgeschauten Pornos der Seite Pornhub nur 18 Prozent visuelle oder verbale weibliche Lust zeigten – im Verhältnis dazu steht die männliche Lust mit 78 Prozent.

Eine feministischere und queerer Darstellung von Sex, wo nicht nur der Fokus auf der männlichen Lust liegt, würde hier besonders bei den hohen Zahlen von Pornografiekonsument*innen, viel helfen. »Es gibt auch pornografische Strömungen aus der weiblichen Perspektive«, gibt Althoff zu bedenken. Um den Orgasm Gap zu schließen, würde außerdem helfen, sich das Problem bewusst zu machen. Auch Selbstermächtigung kann hilfreich sein, sich selbst damit auseinandersetzen, was man mag und das klar zu kommunizieren um den*die Partner*in mitzunehmen. Sich mit dem eigenen Körper auseinandersetzen kann beispielsweise auch mithilfe von Vulva Watching, Yoni Massagen und Squirt Workshops passieren.

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Und nicht nur in Pornos bekommt die Klitoris viel zu wenig Aufmerksamkeit. Das bestätigt auch Sara, doch: »für mich hätte es sich auch komisch angefühlt, mich beim Sex mit Männern selbst anzufassen.« Denn sie wollte ihre Partner nicht verletzen und ihnen das Gefühl geben, der Penis reiche nicht aus, um sie zu befriedigen. Außerdem komme das Vorspiel bei Heterosex oft viel zu kurz, beklagt sie sich. Jan-Philip Warmers sieht das alles etwas anders: »Ich bin nicht dafür verantwortlich der Frau einen Orgasmus zu bereiten, aber ich sehe mich in der Pflicht ihr es zu ermöglichen.« Seiner Erfahrung nach wissen auch nicht alle Frauen genau, wie sie zum Orgasmus kommen. Und wie soll er es denn dann besser wissen, fragt sich der 31-Jährige. Er nimmt seine sexuellen Partnerinnen in die Verantwortung: »Frauen müssen wissen, wie sie kommen und sollten sich beim Sex nicht hinlegen und erwarten, dass der Mann sie beglückt. Ich würde mir wünschen, dass Frauen sich viel mehr nehmen, was sie brauchen oder es mir zeigen.«

Auch Jane und Sara geben zu, dass sie generalisieren, bestimmt seien nicht alle Männer so, wie sie es erlebt haben. Sie selber denken teils nunmal auch in Klischees; dass Männer nicht über ihre Gefühle reden wollen – und somit haben sie auch ihre eigene Kommunikation eingeschränkt. Mit Frauen sei das für sie zumindest anders, die Begegnungen eher auf Augenhöhe, die Erwartungen voneinander entspannter, die Kommunikation offener. »Da besteht kein Druck, etwas falsch zu machen«, findet Sara.

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