In zehn Minuten zum Weltraum und zurück
52 Jahre nach der ersten Mondlandung startet Blue Origin von Amazon-Chef Jeff Bezos sein äußerst umstrittenes Tourismusprojekt
Erster kann Jeff Bezos schon nicht mehr werden. Kurz nachdem der Amazon-Gründer mit viel Fanfare einen Ausflug ins All angekündigt hatte, drängelte sich ein anderer Milliardär dazwischen. Rund zehn Tage vor dem für Dienstag angekündigten All-Kurztrip von Bezos flog der Brite Richard Branson, Gründer des Raumfahrtunternehmens Virgin Galactic, mit seinem Raumschiff »VSS Unity« in eine Höhe von etwa 86 Kilometern.
Jetzt will Bezos nachziehen: »Seit meinem fünften Lebensjahr träume ich davon, ins All zu reisen«, sagt der 57-Jährige. Vor rund 20 Jahren gründete der nach Angaben des Magazins »Forbes« reichste Mensch der Welt deswegen die Raumfahrtfirma Blue Origin. Im Westen des US-Bundesstaates Texas hat sie in den vergangenen Jahren das Raumschiff »New Shepard« entwickelt und getestet. Den ersten bemannten Flug soll das symbolträchtig nach dem ersten US-Amerikaner im All, Alan Shepard, benannte Raumschiff auf den Tag genau 52 Jahre nach der Mondlandung starten. Mit an Bord sind Bezos’ Bruder Mark, ein 18-Jähriger, dessen Vater ihm den Flug geschenkt hat, und die 82-jährige Ex-Pilotin Wally Funk. Sie hatte sich in jungen Jahren viermal bei der Nasa um einen Einsatz als Astronautin beworben und war jedes Mal abgelehnt worden, obwohl sie Ausbildungsprogramme mit Bravour absolviert hatte. Funk wäre der älteste Mensch, der bisher ins All geflogen ist.
Nach dem Start soll das Raumschiff innerhalb von zwei Minuten auf mehr als 3700 Kilometer pro Stunde beschleunigen. Nach drei Minuten soll die Schwerelosigkeit einsetzen, bevor die dann abgetrennte Kapsel ihren höchsten Punkt in mehr als 100 Kilometern Höhe über der Erde erreicht. Für Experten ist das die Grenze zum Weltall. Danach soll sie wieder in die Erdatmosphäre eintreten und durch große Fallschirme abgebremst in der texanischen Wüste landen. Rund zehn Minuten soll der Trip dauern.
Lange vor Branson und Bezos gab es schon Touristen im All: 2001 hatte der US-Unternehmer Dennis Tito eine Woche auf der Raumstation ISS verbracht und dafür rund 20 Millionen Dollar bezahlt. Es folgten rund ein halbes Dutzend weitere private ISS-Besucher. Doch es kam nie richtig Schwung in die All-Ausflüge. Entwicklung und Durchführung einer Mission sind mit großen Sicherheitsrisiken verbunden und extrem teuer.
Schwung könnte nun das Milliardärs-Wettrennen bringen, doch es gibt viel Gegenwind: Von egoistischer Geldverschwendung ohne Rücksicht auf das Klima und weitgehend ohne wissenschaftliche Forschungsinteressen ist die Rede. »Dass Milliardäre ins All fliegen, ist kein Zeichen von Fortschritt«, schrieb der frühere US-Arbeitsminister Robert Reich bei Twitter. »Es ist ein Zeichen von grotesker Ungerechtigkeit, die es einigen wenigen erlaubt, die Erde zu verlassen, während der Rest der Menschheit leidet.« Der Chef des UN-Lebensmittelprogramms, David Beasley, rief Branson und Bezos auf, sich neben Weltraumabenteuern auch für die Hunger leidenden Menschen auf der Erde einzusetzen.
Auch die fehlende Rücksicht auf das Klima wird immer wieder kritisiert. Die Raumfahrt gehört zu den emissionsreichsten Unternehmungen der Menschheit, was von den zuständigen nationalen Behörden vor allem mit einem überbordenden Forschungsinteresse gerechtfertigt wird. Auch die privaten Raumfahrtfirmen geben ein solches an, in allererster Linie geht es jedoch um Weltraumtourismus.
Der Flug mit der »VSS Unity« sei in Sachen Kohlendioxidausstoß vergleichbar mit einem Hin- und Rück-Transatlantikflug, zudem würden Klima-Ausgleiche durchgeführt, heißt es von Virgin Galactic - unabhängig geprüft ist das aber nicht. Blue Origin gibt an, dass die »New Shepard« mit Wasserstoff betrieben werde und deswegen beim Flug kein CO2 ausstoße - bei der Produktion von Wasserstoff kann dies allerdings geschehen.
Angesichts der aktuellen Hitzewellen und Brände im Westen der USA und der Flutkatastrophe in Mitteleuropa, aber auch der Corona-Pandemie würden die All-Abenteuer der Millionäre kein gutes Zeichen senden, kommentierte der US-Sender CNN. »Dies scheint ein merkwürdiger Moment für die reichsten Menschen der Welt, ihre ungeheuerlichen Mittel für eine Unternehmung einzusetzen, die keinen sofortigen Nutzen für den größten Teil der Gesellschaft hat.« dpa/nd
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