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Nach dem Hochwasser kommt die Bürokratieflut

Sachsen hat in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten drei Überschwemmungen erlebt und daraus gelernt

  • Michael Bartsch, Weesenstein
  • Lesedauer: 7 Min.

An Röderau-Süd, östlich von Riesa, erinnert heute nicht einmal mehr eine Gedenktafel. Nur ein überwuchertes Wegegeviert lässt ahnen, dass hier nicht immer wild blühende Elblandschaften zu sehen waren. Kein Ziegel ist geblieben von den erst in den 1990er-Jahren errichteten Häusern für 415 Bewohner der Siedlung, von der Bäckerei, der Autoreparatur, dem Fuhrunternehmen. Nur die Geschichten vor allem von jenem 16. August 2002 halten sich in den Köpfen der früheren Einwohner, die längst nach Riesa oder in umliegende Dörfer umgezogen sind. Damals erreichte der Scheitel des Elbhochwassers den Raum Riesa. Das Wasser staute sich an einem zum Damm verdichteten ehemaligen Eisenbahnviadukt, die Häuser in Röderau-Süd standen teils bis zum Giebel in den Fluten.

In der DDR war dieses Gebiet bereits als Hochwasser-Überflutungsgebiet ausgewiesen. Doch dann brach der unaufhaltsame Fortschritt aus, die Gemeinde Röderau versprach sich von einem Wohn- und Gewerbegebiet den Aufschwung Ost. Das CDU-geführte Umweltministerium setzte sich über das Umweltfachamt hinweg und verneinte 1992 den Charakter einer Flussaue. »Hier hätte nie gebaut werden dürfen«, gestand zehn Jahre später CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt ein. 40 Millionen Euro kostete die vollständige Beseitigung der Aufbau-Ost-Sünde, die Umsiedlung und Entschädigung der Bewohner.

Dauerkampf um Entschädigungen

Röderau-Süd ist der einzige von der Flut 2002 betroffene sächsische Ort, an dem mit solcher Konsequenz vorgegangen wurde. Anders beispielsweise in Weesenstein im osterzgebirgischen Müglitztal, ein Ort, der vor allem durch sein imposantes Schloss am Berghang bekannt ist. 2002 aber machte er vor allem mit einer zu Herzen gehenden Geschichte Schlagzeilen, als Vater Heiko Jäpel mit zwei Kindern und der Großmutter erst nach 13 Stunden vom Hubschrauber von der einzig stehen gebliebenen Mauer seines Hauses gerettet werden konnte. Oberhalb in Glashütte war ein Rückhaltebecken gebrochen. Die Müglitz schoss durch den Ort, quer über die Schulstraße hinweg und hinterließ eine Schneise aus braunem Schlamm, wo zuvor Häuser gestanden hatten.

Ein kleines Flutmuseum und eine Fototafel mit Erläuterungen zum früheren Aussehen des Dorfes erinnern heute an die Katastrophe. Sonst aber wirkt der Touristenmagnet schmuck und aufgeräumt. Eine Bewohnerin der Schulstraße erzählt, dass sie natürlich bleiben werde, auch wenn sie ein Leben mit dem Hochwasserrisiko in Kauf nimmt. Denn dass die niedrigen Schutzmauern entlang der friedlich dahinplätschernden Müglitz im Ernstfall schützen, glaubt hier niemand. Zwar ist etwa 25 Kilometer flussaufwärts bei Lauenstein ein neues Rückhaltebecken gebaut worden. Aber sollte es wie an jenem 12. August 2002 aufgrund einer gefährlichen 5b-Wetterlage wieder bis zu 300 Liter pro Quadratmeter auf den Erzgebirgskamm schütten, würde es vermutlich nicht viel bewirken. Dann müsste wohl erneut das nach den sächsischen Hochwässern von 2002, 2010 und 2013 verbesserte Warnsystem Menschen retten.

»Wie Meereswellen kam es damals das Tal herunter«, erinnert sich ein Bewohner. Sein Haus stand am Rande des Flutkanals, wurde nicht weggespült. Aber eine Putzkante oberhalb des Erdgeschosses erinnert daran, wie hoch die Müglitz damals stand. Seinen Namen möchte der Sachse, der eine Abrissfirma betreibt, nicht nennen. Die Beseitigung der auf 400 000 Euro geschätzten Schäden dauerte nicht lange, der Konflikt mit der Bürokratie um eine finanzielle Entschädigung dauert dagegen bis heute an und ist nervenaufreibend: Der Mann in mittleren Jahren mit dem Dreitagebart und hinten zusammengebundenen Haaren redet sich in Rage.

Was er berichtet, lässt ahnen, welche Auseinandersetzungen per Mail, Papier, Telefon oder bei persönlicher Vorsprache den Katastrophenopfern im Rheinland und an der Ahr nach Wiederherstellung des Alltags bevorstehen. Und das, obschon der Weesensteiner über eine Elementarschäden-Versicherung verfügte. Aber zwischen plötzlich pleite gegangener Versicherung, Hausbank und Sächsischer Aufbaubank (SAB) drohte sein Anliegen unterzugehen. Zehn Briefe wegen der angeblich zustehenden Soforthilfe für sich und seine 23 Firmenmitarbeiter habe er vergeblich geschrieben. Drei Tage vor dem ersten Jahrestag der Flut, als zahlreiche Kamerateams in Sachsen und vor allem in Weesenstein erwartet wurden, war das Geld plötzlich auf dem Konto.

Es sind undurchschaubare Geschichten von verweigerten Krediten, Vollstreckungsbefehlen über 100 000 Euro oder Stundungsvereinbarungen, die einen Zuhörer nur den Kopf schütteln lassen. Jedenfalls muss dieser Weesensteiner bis heute monatlich 120 Euro an die Sächsische Aufbaubank zurückzahlen. »Ich habe das Hochwasser überstanden, nicht aber die SAB«, resümiert er. Was er und einige Weesensteiner auch nicht verstehen, ist der hübsche Hausneubau eines ehemaligen Bürgermeisterkandidaten an der Schulstraße. Das sei zwar ein netter Mensch, aber ein Verdikt des Pirnaer Bauamtes im Landkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge sah vor, dass es für das gefährdete Weesenstein »nie wieder eine Baugenehmigung geben wird«.

Kein Zug nach Kipsdorf

Eine weitere Vorstellung von den bevorstehenden zeitlichen Dimensionen des Wiederaufbaus in den aktuellen westlichen Katastrophengebieten liefert die Wiederherstellung der Weißeritz-Talbahn. Die vorwiegend von Touristen genutzte dienstälteste deutsche Schmalspurbahn führt von Freital-Hainsberg hinauf nach Kipsdorf, nur wenige Kilometer vor den Skigebieten von Altenberg und Zinnwald gelegen. Sie verläuft weitgehend entlang der Roten Weißeritz, im oberen Teil auch parallel zur Bundesstraße 170. Aber nach jener Sturzflut 2002 gab es die Trasse auf Hunderten Metern gar nicht mehr, und entsprechend blutete dem Liebhaber solcher Traditionsbahnen angesichts in die Luft ragender Gleisfragmente das Herz.

Es dauert sechs Jahre, bis die Weißeritztalbahn wieder bis Dippoldiswalde fuhr. Erst 2017 erreichte sie die Endstation Kipsdorf wieder. Es brauchte 15 Jahre, obwohl die Strecke zum Flutzeitpunkt noch der Bahn gehörte, bis Sachsen und der Bund zusammen 40 Millionen Euro ausgaben und vor allem Bahnfreunde eifrig spendeten. Die 200 000 Fahrgäste, die die schnaufende Dampflok pro Jahr ins Osterzgebirge zog, werden aber nach dem Wiederaufbau nicht mehr erreicht.

Die Weesensteiner, die man in diesen Tagen antrifft, kommen zur gleichen Auffassung wie der Fachbereichsleiter Wasserwirtschaft in der Sächsischen Landestalsperrenverwaltung, Eckehardt Bielitz. »Es gibt keinen Hochwasserschutz«, sagen alle in fast wörtlicher Übereinstimmung. Man dürfe den Bürgern solche trügerischen Sicherheiten nicht suggerieren. »Der Mensch lebt in der Natur«, sagt Bielitz, deshalb könne man Risiken nur besser einschätzen, minimieren und Folgen reduzieren. Aber warum hat der Freistaat Sachsen mit Bundeshilfe dann in zwei Jahrzehnten 3,6 Milliarden Euro in die Hochwasservorsorge investiert?

Hochwasserschutz wirkt

Was sinnvoll ist, wird getan. Von der Staatsregierung in Auftrag gegebene externe Gutachten bestätigten 2010 beispielsweise eine Verbesserung der Alarmsysteme, wobei etwa auf DDR-Relikte wie Sirenen viel häufiger zurückgegriffen werden kann als im Westen. 2013 lobte der sogenannte Kirchbach-Bericht ebenfalls die Strategie. Beim Hochwasser 2013, das an der Elbe nur wenig unter dem von 2002 blieb, wurden nach Angaben des Umweltministeriums durch inzwischen eingeleitete Maßnahmen Schäden in Höhe von 450 Millionen Euro verhindert. Das seit 2019 von Wolfram Günther (Grüne) geführte Ministerium setzt mehr als bisher auf natürlichen Schutz durch Ausbreitungsflächen und Deichrückverlegungen.

Damit aber hat Eckehardt Bielitz seine eigenen Erfahrungen gemacht. Wenn es um Ackerland oder Privatgrundstücke ging, waren zähe Verhandlungen mit den Eigentümern nötig. Oft brach erst das nächste Hochwasser deren Blockade. Die Deicherhöhungen und Verlegungen etwa im Dresdner Vorort Cossebaude sind dafür ein Beispiel. Lange Genehmigungsverfahren für Schutzbauten wegen der komplizierten Rechtssicherheit kommen hinzu. Bielitz hält es auch für fahrlässig, das Gebiet hinter einem erhöhten Deich nicht mehr als Hochwasserschutzgebiet zu bezeichnen und eifrig Häuser zu bauen. Auch solche Konflikte stehen den westdeutschen Katastrophengebieten bevor.

Unterschieden werden müsse zwischen steilen, engen Tallagen und breiten Strömen in der Ebene wie etwa der Elbe, bestätigt Bielitz. Die von Naturschützern immer wieder geforderten natürlichen Retentionsflächen brächten im Gebirge kaum etwas. Die Dynamik der Fließgewässer sei besonders bei lokalen Starkniederschlägen so heftig, dass der Boden kaum etwas aufnehmen könne. Hier helfe nur ein technischer Hochwasserschutz durch Rückhaltebecken, die den Abfluss verzögern. Die Talsperre Malter bei Dippoldiswalde ist beispielsweise ertüchtigt worden. 2002 drohte sie ähnlich wie jetzt die Steinbachtalsperre bei Euskirchen zu brechen.

Bei aktuellen Planungen und Querschnittsberechnungen wird die Risikoerhöhung durch den Klimawandel oder geschädigte Gebirgswälder bereits berücksichtigt. Fach- und Rechtsgrundlagen wie das sächsische Wassergesetz sind novelliert worden - auch eine Aufgabe, die auf die Politik in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zukommt.

19 Jahre nach der Flut von 2002 sind in Sachsen drei Viertel der veranschlagten Präventionsmaßnahmen umgesetzt worden. Der aktuelle Starkregen vom 17. Juli hat vergleichsweise geringe Schäden angerichtet. Im Kirnitzschtal kann man keine Staumauer errichten, dort leben die Bewohner seit Generationen mit dem zyklischen Anschwellen des Flüsschens. Auch an ihrer Mündung in Krippen-Bad Schandau, wo im weiteren Elbverlauf das Wasser von Hängen des Elbsandsteingebirges die Bahnstrecke nach Prag zeitweise unbefahrbar machte. Die Anpassung an die erhöhten Risiken durch die Erwärmung der Atmosphäre sei eine »Generationenaufgabe«, sagt das sächsische Umweltministerium. Es bleibt abzuwarten, wie lange die rheinischen Hochwassergebiete zur Bewältigung der Katastrophe benötigen werden.

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