Auffrischungsimpfung beim geschwächten Immunsystem rückt näher
ist eine dritte impfung gegen das coronavirus erforderlich?
»Eine Masernimpfung hält ein Leben lang, der Tetanusschutz hält etwa zehn Jahre. Für Corona wissen wir schlichtweg noch nicht, wo die Grenze liegt«, sagt Leif Erik Sander, Infektionsimmunologe an der Berliner Charité.
Ein halbes Jahr nach dem bundesweiten Start der Corona-Impfkampagne am 27. Dezember 2020, bei der es um die erste und zweite Spritze ging, wird eine Auffrischungsimpfung immer wahrscheinlicher. Zwar gibt es derzeit keine voll gültige Datenlage, aber nach Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums wird eine dritte Impfung nach einem halben Jahr empfohlen. Auch die Impfstoffhersteller Pfizer und Biontech gehen von einem Rückgang der Schutzwirkung des gemeinsamen Coronavirus-Vakzins nach einem halben Jahr aus und erklärten unisono, dass es auf der Basis der bisher vorliegenden Daten wahrscheinlich sei, »dass eine dritte Dosis innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach der vollständigen Impfung erforderlich sein wird«.
Vor allem hochbetagte Menschen und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem brauchen nach Meinung vieler Experten in diesem Herbst eine dritte Impfdosis. Für jüngere und gesunde Menschen seien Auffrischungsimpfungen noch kein Thema.
Auch Leif Erik Sander unterstreicht die Notwendigkeit einer dritten Impfung aufgrund der nachlassenden Wirkung der Erst- und Zweitimpfung. Der Wissenschaftler hält es für möglich, dass es ohne Auffrischungsimpfung im Winterhalbjahr zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen zu zusätzlichen Infektionen kommen könnte. Aber er macht eine generelle Einschränkungen: »Ich glaube nicht, dass wir uns alle zum Winter hin ein drittes Mal impfen lassen müssen. Die Impfstoffe sind sehr gut wirksam. Sie bauen auch ein Immungedächtnis auf, das zumindest beim Großteil der Bevölkerung nicht so schnell nachlassen wird.«
Inzwischen ist über die Hälfte der erwachsenen Bundesbürger einmal gegen Covid-19 geimpft und über ein Drittel bereits zweimal. Bis zum Herbst und Winter würden sich aber vermutlich sogenannte Immunescape-Varianten durchsetzen, so Sander. Das sind Mutanten, gegen die bisherige Impfstoffe mitunter etwas schlechter wirken. Dazu zählt zum Beispiel die Delta-Variante, die sich gegenwärtig auch in Deutschland schnell ausbreitet.
Für den Berliner Wissenschaftler ergibt sich daraus eine Notwendigkeit, bestimmten Bevölkerungsgruppen eine Auffrischungsimpfung anzubieten. Ein solcher Booster sollte dann nicht allein Hochbetagten, sondern auch Menschen mit Immunschwächen offeriert werden, etwa zum Zeitpunkt der üblichen Grippeschutzimpfung im Oktober.
Thomas Mertens als Vorsitzender der Ständigen Impfkommission weist darauf hin, dass »die Daten, wer wann erneut geimpft werden sollte, noch etwas unsicher« sind, aber auch er schlussfolgert: »Bei einem erheblichen Mangel an Immunschutz wäre relativ kurzfristig eine Nachimpfung zu empfehlen.« Aber mit Bedacht. »Bei durchgemachten Infektionen wissen wir, dass der Immunschutz bei ansonsten gesunden Menschen länger als sechs Monate hält. Die Erkrankung und auch die Impfstoffe sind aber noch so neu, dass es Zeit braucht, um Daten für Geimpfte zu erheben«, so Mertens. Doch man müsse mit dem Aufkommen der Delta-Variante davon ausgehen, dass Immungeschwächte im Herbst/Winter eine dritte Impfung benötigen werden.
Auf die Seite der Befürworter einer dritten Impfung schlägt sich auch Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz. Mit Blick auf die gegenwärtige starke Ausbreitung der ansteckenderen Delta-Variante fordert die Stiftung eine Nachimpfung für Seniorinnen und Senioren speziell in Pflegeheimen. Die meisten Heimbewohner hätten bereits im Februar ihre zweite Impfdosis erhalten. Es zeichne sich ab, dass der Impfschutz bei Hochbetagten schneller seine Wirkung verliere als bei der jungen und mittleren Generation. Deshalb sei ein Auffrischungsimpfung erforderlich. nd-Ratgeberredaktion
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