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Schwurbler-Invasion unerwünscht
Mit einer Plakatkampagne positioniert sich ein antifaschistisches Netzwerk gegen sogenannte Querdenker
Die Veranstaltungslage zu Aufmärschen und Kundgebungen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie am kommenden Wochenende in Berlin ist unübersichtlich. »Es werden aktuell fünf Veranstaltungen beworben, acht weitere, die in Verbindung stehen könnten, sind bei der Versammlungsbehörde angemeldet worden«, sagt Felix Müller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR) am Donnerstag zu »nd«.
Die zivilgesellschaftliche Organisation hat in dieser Woche eine »allgemeine Analyse und Einschätzung« zu den geplanten Versammlungen verfasst: Demnach versucht das »verschwörungsideologische, rechtsoffene« Milieu der sogenannten Querdenker an den großen Mobilisierungserfolg des Vorjahres anzuknüpfen. Seinerzeit kamen Anfang August Tausende Gegner der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie in die Hauptstadt. Darunter befanden sich auch Reichsbürger, Rechtsextremisten und Antisemiten. Viele Teilnehmer hielten sich nicht an die geltenden Abstands- und Maskenregeln.
Nach Einschätzung der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin könnte sich die Zusammensetzung der Teilnehmer an den geplanten Veranstaltungen in diesem Jahr unterscheiden. »Wir sehen eine intensivere Bewerbung aus dem Querdenken-Kernmilieu«, sagt Müller.
Dazu werden von der MBR unter anderem sogenannte Bewegungsunternehmer wie Michael Ballweg gezählt, der Sprecher der Initiative »Querdenken 711« ist, die eine Veranstaltung mit 22 500 Teilnehmern auf der Straße des 17. Juni in der Nähe des Brandenburger Tores angemeldet hat. Auch sogenannte Livestreamer würden die Mobilisierung prägen, also Personen, die solche Veranstaltungen in Echtzeit übertragen und damit Geld verdienen.
»Das klassische rechtsextreme Milieu ist dagegen weniger sichtbar«, sagt Felix Müller. Man sehe sogar gewisse Abgrenzungsbewegungen. So soll der Organisator Ballweg vor Kurzem von Rechten verschwörungsideologischer Manier als »Freimaurer« diffamiert worden sein. In der Einschätzung der Mobilien Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin heißt es: »Am bekannten Narrativ einer vermeintlichen ›Corona-Diktatur‹ halten die Organisator*innen trotz weitreichender Lockerungen der Pandemiemaßnahmen fest und versuchen, nun vor allem über eine angeblich bevorstehende Impfpflicht Ängste zu schüren.«
Wie groß die befürchtete Invasion der wegen ihrer Verschwörungserzählungen auch als Schwurbler bezeichneten »Querdenker« in Berlin ausfallen wird, ist aber auch deshalb unklar, weil die Versammlungsbehörde noch am Mittwochabend mindestens zwei Veranstaltungen verboten hat. Wobei unklar ist, welche der zahlreichen Anmeldungen aus diesem Spektrum von dem Verbot konkret betroffen sind und ob die Verbote am Ende auch befolgt werden und vor Gericht Bestand haben.
»Unter Berücksichtigung und nach Bewertung der objektiven Sachlage haben wir bisher zwei Versammlungen, eine am 31. Juli und eine am 1. August 2021, verboten«, erklärt ein Sprecher der Berliner Polizei, ohne nähere Angaben zu machen. Am Mittwoch wies die Polizei Kritik zurück, beim Verbot von Demonstrationen mit zweierlei Maß zu messen. Solche Vorwürfe waren im Zusammenhang mit dem CSD und seinen 35 000 Teilnehmern vom vergangenen Wochenende erhoben worden, wo sich auch nicht alle an die geltenden Abstandsregeln gehalten haben sollen.
Polizeisprecher Thilo Cablitz sagte mit Blick auf den Vorwurf, selbstverständlich bewerte die Polizei jede Versammlung einzeln und differenziert. Sie gewährleiste die Versammlungsfreiheit nicht nur nach den gesetzlichen Vorgaben, sondern auch aus ihrem Selbstverständnis heraus unabhängig vom Thema, Motto und von der Zielrichtung.
Norbert Cioma, der Berliner Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, aus deren Reihen der Vorwurf erhoben worden war, erklärte: »Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Wenn man sie einschränkt, muss es dafür schwerwiegende Gründe geben. Mit Blick auf die bisherigen Versammlungen des Anmelders und die öffentliche Sicherheit der Stadt scheint das durchaus angebracht und wir sind uns sicher, dass die Versammlungsbehörde ihre Lehren aus dem letzten Verbotsdesaster gezogen hat.«
In den kommenden Tagen dürften die Versammlungsverbote also erneut ein Fall für die Verwaltungsgerichte werden. Wie auch immer das juristische Verfahren ausfallen wird: Unterdessen formiert sich der zivilgesellschaftliche Protest gegen die sogenannten Querdenker – in diesem Jahr allerdings vor allem symbolisch. »Aufgrund der pandemischen Lage wollen Berliner Initiativen und Bündnisse keine Massenproteste gegen die Querdenker*innen durchführen«, sagt Ulf Balmer von »Berlin gegen Nazis« am Donnerstag zu »nd«.
Die Plattform hat zu Beginn der Woche eine neue Plakatkampagne vorgestellt. Die Plakate wurden bereits zu Hunderten im Öffentlichen Raum in Berlin verklebt. »Wir wollen den Gegendemonstrant*innen den Rücken stärken«, betont Balmer. »Ziel ist es, den häufig antisemitisch codierten Verschwörungsideologien der Querdenker*innen und anderen zu widersprechen und sie zu hinterfragen.«
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