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Bejubelter Rohrkrepierer
Kleinunternehmern und Selbstständigen werde schnell und unbürokratisch geholfen, verkündete die Bundesregierung. Doch ein Teil der Coronahilfen wurde nie ausgezahlt, jetzt fordern die Behörden sogar Geld zurück
Eine »Bazooka« versprach Finanzminister Olaf Scholz (SPD) martialisch zu Beginn der Pandemie. Kein Betrieb müsse in Insolvenz gehen, assistierte CDU-Kabinettskollege Peter Altmaier. Bei der Rettung von Großunternehmen funktionierten die Abwehrwaffen, um im Militärjargon zu bleiben: Die Lufthansa erhielt 5,8 Milliarden, der Reisekonzern TUI 1,2 Milliarden Euro. Daimler-Benz schüttete mitten in der Krise 1,4 Milliarden Euro Dividende an Aktionäre aus, gleichzeitig sparte der Autobauer 700 Millionen durch Kurzarbeitergeld. Im Vergleich dazu sind die Hilfen für Freiberufler ein Rohrkrepierer - und »unbürokratisch« bearbeitet werden sie schon gar nicht.
Ende Juni 2021 wandte sich zum Beispiel das nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerium an die Betroffenen. Der Zeitpunkt war günstig, die Inzidenz auf einem Tiefpunkt angelangt. Die Empfängerinnen und Empfänger der »NRW-Soforthilfe«, allein im bevölkerungsreichsten Bundesland 430 000 Kleinstbetriebe mit maximal fünf Beschäftigten, wurden aufgefordert, bis Oktober ihren »tatsächlichen Liquiditätsengpass zu ermitteln«. Hinter der bürokratischen Formulierung verbirgt sich ein sozialer Sprengsatz: Weil sie kaum »Fixkosten« haben, muss ein großer Teil der Betroffenen die im letzten Jahr erhaltenen 9000 Euro zurückzahlen - trotz gesunkener oder fehlender Einnahmen. Nur wer schon vor April 2020 einen Antrag gestellt hatte, darf 2000 Euro für den Lebensunterhalt verwenden. Ein schwacher Trost nach eineinhalb Jahren Pandemie mit faktischem Berufsverbot für Musikerinnen oder lesende Autoren.
Vollmundige Ankündigungen aus der Politik begleiteten das Auf und Ab von Lockdowns und Lockerungen. Doch nur ein gutes Drittel der im laufenden Bundeshaushalt eingeplanten Überbrückungs- und Neustarthilfen ist angekommen - das ergab Anfang Juli die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion. 2021 waren zunächst 39,5 Milliarden Euro vorgesehen, Ende März genehmigte das Kabinett weitere 25,5 Milliarden. Von insgesamt 65 Milliarden Euro wurden in der ersten Jahreshälfte nur 23 Milliarden an die Länder transferiert oder direkt an die Antragsteller ausgezahlt.
Bei der »Überbrückungshilfe« fällt die Bilanz noch peinlicher aus. Im Etat für 2020 waren knapp 25 Milliarden veranschlagt, genutzt wurden 3,7 Milliarden Euro. Die gravierende Differenz liegt teils darin begründet, dass sich die Programmierung der Antragssoftware verzögerte und das Geld erst im Folgejahr überwiesen wurde. Wirkung zeigten aber auch die schlechten Erfahrungen der Betroffenen mit der »Soforthilfe«: Die Behörden drohten, man werde das genau prüfen, um möglichem Subventionsbetrug auf die Schliche zu kommen. »Schwarze Schafe« gab es in Einzelfällen, sie fallen aber quantitativ kaum ins Gewicht. Das Aufbauschen krimineller Machenschaften diente dazu, tatsächlich Bedürftige abzuschrecken. Als Folge der Einschüchterung verzichteten viele der bundesweit rund 2,2 Millionen Solo-Selbstständigen von vornherein auf weitere Anträge.
In der »Interessengemeinschaft NRW-Soforthilfe« haben sich inzwischen 7000 Betroffene zwecks einer Klage gegen die Rückzahlung zusammengetan. Eine Kanzlei von Verwaltungsjuristen wurde eingeschaltet, die das Prozedere rechtlich klären soll. Bei den Nachrichten an die Zahlungsempfänger*innen handele es sich »nicht um einfache Mitteilungen«, die zuständigen Stellen hätten »zuvor nicht geltende Änderungen an den Bewilligungsbescheiden« vorgenommen, heißt es. Als zusätzlicher Beleg für rechtliche Ungereimtheiten dient eine Pressemitteilung von Olaf Scholz: »Wir geben einen Zuschuss, es geht nicht um einen Kredit. Es muss also nichts zurückgezahlt werden«, schrieb der Politiker am 23. März 2020.
»Die Bedingungen waren zum Teil unklar und unpräzise, sie wurden im Nachhinein uminterpretiert«, kritisiert auch Christoph Schmitz, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand. Er hält das Vorgehen der Behörden für »fragwürdig«. Die Gewerkschaft unterhielt schon vor der Pandemie ein eigenes Service-Referat für selbstständige Mitglieder, in Newslettern wird über die Hilfen informiert. Leiterin Veronika Mirschel verweist auf den individuellen Rechtsschutz. Doch erst nach dem Eingang von Zahlungsbescheiden, so die Justiziare, könne man dagegen vorgehen.
Die Wirtschaftshilfen sind ein föderaler Flickenteppich aus Bundesmitteln und Regionalprogrammen. Nicht nur NRW, auch etwa Berlin fordert derzeit Gelder zurück. Der in Düsseldorf zuständige Minister Andreas Pinkwart (FDP) lobt wie Parteifreunde gern das freie Unternehmertum. Seine Pressestelle bejubelt das »größte Hilfsprogramm in der Geschichte des Landes«, faktisch ruiniert die Behörde gerade zahlreiche Existenzen. Nicht mal eine gemeinsame Veranlagung der Geschäftsjahre 2020 und 2021 bei den Finanzämtern ist möglich, ergab eine ausweichend beantwortete Nachfrage im NRW-Ministerium: Die Empfänger zahlen also Steuern auf Fördergelder, die ihnen der Staat danach wieder wegnimmt.
Kein Wunder, dass der Mut zur »Ich-AG« rapide schwindet. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung warnt in einer aktuellen Studie, die Pandemiebekämpfung zwinge immer mehr Selbstständige zur Aufgabe. Ein Viertel der freiberuflich Tätigen sei bereits ausgestiegen, 11 Prozent suchten eine feste Stelle, 15 Prozent seien »inaktiv«, darunter vor allem Frauen. Mindestens 130 000 Betroffene haben sich bei den Jobcentern gemeldet, beziehen also jetzt »Hartz IV«. Die Kreditauskunft Schufa teilt mit, dass 70 Prozent der Selbstständigen wegen der Coronamaßnahmen Einkommensverluste erlitten haben, im Durchschnitt aller Erwerbspersonen sind es 38 Prozent.
Wirksam waren die Zuschüsse nur in Betrieben, die hohe Mieten für Läden und Büros schultern mussten oder teure Leasingverträge abgeschlossen hatten. Im Gegensatz zu Medienschaffenden, Künstlerinnen oder anderen Heimarbeitern konnten sie ihre Ausgaben relativ einfach geltend machen, gewerbliche Eigentümer oder kreditgebende Banken daher mit zuverlässigen Zahlungseingängen rechnen.
Die angeblich großzügige Unterstützung von Kleinstbetrieben entpuppt sich als Subvention ganz anderer Art. Vorrangige Nutznießer sind Immobilienfirmen und Versicherungskonzerne, denen die teuren Mietobjekte gehören. Deren Profite wurden dauerhaft gesichert, die Selbstständigen mit gebrochenen Versprechen im Regen stehen gelassen. Der Vertrauensverlust in die Politik ist enorm.
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