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Einsame Spritze
Unsichere Zögerer stehen im Fokus bei der Erforschung der Impfbereitschaft
Die 7-Tage-Inzidenz steigt, wenn sie auch noch nicht die Talsohle zwischen der zweiten und dritten Welle im Frühjahr des Jahres erreicht hat. Aber die Aufregung ist wahlkampfbedingt groß, dass mit einem weiteren Anstieg, auch als Folge der ansteckenderen Delta-Variante des Coronavirus, Krankenhäuser wieder unter Druck geraten könnten. Sorgen macht zudem die seit einem Monat kontinuierlich absinkenden Zahl der durchgeführten Impfungen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist vollständig geimpft, etwa 60 Prozent haben eine Impfung. Da gegen Covid-19 noch keine ursächlich wirkenden Medikamente zur Verfügung stehen und die Folgekosten von Schließungen in Bildung, Handel oder Gastronomie hoch sind, steht das schnelle Impfen einmal mehr im Fokus der Debatten.
Wenn jedoch der Grad der Durchimpfung ein wichtiges Kriterium dafür ist, wie die Gesellschaft am sichersten durch die nächste Pandemiewelle kommt, dann ist nicht nur das Wissen um die Wirksamkeit von Vakzinen wichtig. Genau geschaut werden müsste auch auf diejenigen, die noch nicht geimpft sind. Was hat sie bisher daran gehindert? Sind es grundsätzliche Einwände, die keiner Argumentation zugänglich sind? Sind Vorerkrankungen das Ausschlusskriterium? Oder gibt es einfach praktische Impfhindernisse, die auszuräumen wären? Politische Entscheidungsträger wie auch Institutionen, die erstere beraten, müssen sich also fragen: Was wissen wir darüber, wer sich warum noch nicht impfen ließ? Diese Frage sollte in bestimmten Abständen neu gestellt werden. Wie sieht es damit nun in der Realität aus?
Dieser Text stammt aus unser Wochenendausgabe. nd.Die Woche nimmt Geschehnisse in Politik und Gesellschaft hintergründig unter die Lupe. Politische und wirtschaftliche Analysen, Interviews, Reportagen und Features, immer ab Samstag am Kiosk oder gleich mit einem Wochenendabo linken Journalismus unterstützen.
Regelmäßig beschäftigt sich die Covimo-Studie des Robert-Koch-Institutes mit Impfverhalten, Impfbereitschaft und -akzeptanz in Deutschland. Seit Januar 2021 werden bundesweit alle drei bis vier Wochen etwa 1000 Personen ab 18 Jahren telefonisch befragt. Geht man nach den Ergebnissen der letzten veröffentlichten Befragung, lag die Impfbereitschaft der Bevölkerung im Zeitraum vom 17. Mai bis zum 9. Juni auf einem hohen Niveau: Unter allen ungeimpften Personen geben 67 Prozent an, sich »auf jeden Fall« oder »eher« impfen lassen zu wollen.
Die Studie mit dem umfassendsten Ansatz läuft unter dem Namen Cosmo. Sie wird von Universität Erfurt unter Beteiligung etwa der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) regelmäßig durchgeführt. Sie kann online bis in kleinste Verästelungen der Themen nachgelesen werden, es gibt Grafiken und Foliensätze zum Download.
Ein aktueller Befund lautet hier etwa: »Sollten sich alle, die dazu bereit sind, auch tatsächlich impfen lassen, so ergäbe sich aus den Geimpften und den Impfbereiten eine Impfquote unter Erwachsenen zwischen 18 und 74 Jahren von 83 Prozent.« Fast die nötige Herdenimmunität könnte man jubeln - aber hier fehlen die Heranwachsenden und Menschen über 74 Jahre. So heißt es dann zu den Zweifeln der Ungeimpften, dass diese sich auf die Sicherheit der Immunisierung beziehen. Zudem gebe es bei ihnen die Wahrnehmung, »man müsse sich nicht impfen lassen, wenn die anderen das tun«. Neben dem klassischen Trittbrettfahrer finden sich auch Menschen, die Impfen für überflüssig halten oder vor allem praktische Barrieren auf dem Weg zu einer Impfung wahrnehmen. Für Klarheit sorgt auch die Aussage, dass in der Gruppe der Befragten über 60 fast alle Impfwilligen ihre Termine absolviert haben. Bei den übrigen würde man, lax gesagt, auf Granit beißen.
Jedoch kommen die Wissenschaftler auch zu Empfehlungen dafür, wo sich Interventionen lohnen könnten. Denn neben Impfbereiten gibt es die Gruppe der »Unsicheren Zögerer« - die seien dem Impfen eher, aber nicht völlig abgeneigt. Sowohl mit Informationen über den individuellen und gemeinschaftlichen Nutzen der Impfung als auch mit dem Angebot alternativer Impforte seien hier noch Kandidaten zu überzeugen. Die jüngste Befragung ergab zudem für die Ungeimpften folgende Eigenschaften: Sie seien jünger, hätten eher Kinder sowie eine niedrigere Bildung und Migrationshintergrund. Sie kennen eher niemanden, der schon einmal Covid-19 hatte und leben eher in Ostdeutschland. Das liefert genügend Anhaltspunkte, auf wen sich Informationskampagnen und Impfaktionen konzentrieren könnten.
Informationsbedarf zum Thema wird es weiter geben, Fehlinformationen kursieren ohnehin. Das ist auch der Eindruck von Wissenschaftlern am Robert-Koch-Institut. »Gerade in der Gruppe der 18- bis 59-jährigen sehen wir nach wie vor einen großen Anteil Unentschlossener (etwa acht Prozent). Diese Gruppe kann mit Informationen und Aufklärung noch gut erreicht werden - im Gegensatz zu Personen, die eine Impfung strikt ablehnen«, erläutert Nora Schmid-Küpke, wissenschaftliche Mitarbeiterin am RKI, gegenüber »nd«. Nach ihrer Einschätzung empfiehlt sich deshalb eine Kombination aus niedrigschwelligen, aufsuchenden Impfangeboten und der Zusammenarbeit mit Multiplikatoren auf lokaler Ebene, die das Vertrauen in Bevölkerungsgruppen genießen.
Ebenfalls recht genau fragte man bei einer anderen RKI-Studie, Kroco, bei der »nur« Krankenhauspersonal Auskunft gab. Dessen Beweggründe für oder gegen eine Impfung schienen nicht nur wegen der Folgen bei krankheits- oder quarantänebedingten Ausfällen wichtig, sondern auch wegen der Vorbildfunktion dieser Berufsgruppe. Die erste Befragungswelle erfasst die Situation im März/April, Ergebnisse wurden Mitte Juli veröffentlicht. Mehr als 26 000 Beschäftigte aus 122 Einrichtungen nahmen teil, die Pflege stellte die größte Berufsgruppe. 48 Prozent aller Teilnehmenden war damals vollständig geimpft, Personen mit hohem Expositionsrisiko zu 68 Prozent. Bei den Gründen gegen eine Covid-19-Impfung lag ein fehlendes Angebot mit 44 Prozent absolut an der Spitze. Jedoch konnten die Teilnehmenden unter den Gründen mehrere nennen: Hier waren gleichrangig mit etwa 25 Prozent folgende genannt: »Lieber noch abwarten«, Furcht vor bleibenden Schäden oder starken Nebenwirkungen, »andere Gründe« sowie Angst vor unsicheren Impftechnologien.
Weitere Gründe wie eine bereits durchgestandene Infektion wurden von höchstens 12 Prozent angegeben. Sorgen könnte der hohe Satz von 15 Prozent des ungeimpften Klinikpersonals machen, der sich auf keinen Fall impfen lassen will. Die Befragung soll 2021 noch drei weitere Zeiträume erfassen.
Im Sommer 2020, als an Impfungen gegen Sars-CoV-2 erst sehr abstrakt zu denken war, gab es zudem eine Umfrage über allgemeine Impfhindernisse. Initiiert von der BZgA, wurde sie vom Forsa-Institut durchgeführt. Damals war das anteilmäßig größte Impfhindernis, den Termin verpasst oder vergessen zu haben. Das gaben jedenfalls 47 Prozent der 1366 Befragten an, die in den letzten Jahren einmal eine Impfung nicht wahrgenommen hatten. Weitere Gründe waren, in der Rangfolge abwärts: »Hatte die Krankheit bereits« (29 Prozent), man schätzte sie nicht als so schwer ein, Angst vor Nebenwirkungen der Impfung, zu hoher Zeitaufwand, fehlender Glaube an Schutz durch Impfungen, abratender Arzt sowie impfkritische Medienberichte (11 Prozent).
Insgesamt könnte aus den genannten Befragungen grob geschlussfolgert werden:, Mangelnde Gelegenheit ist Haupthindernis für eine Impfung gegen Sars-CoV-2. Das spräche dafür, die Kräfte auf niedrigschwellige Angebote zu konzentrieren. Verpasste Termine oder Vergesslichkeit scheinen bei der aktuellen Präsenz der Pandemie in Medien und persönlichen Gesprächen eher unwahrscheinlich. Dennoch kann die Sichtbarkeit der Impfkampagne noch erhöht werden. Vorschläge dazu gibt es etliche, unter anderem mehr Präsenz vor den Hauptnachrichtensendungen. Darüber wird bereits einige Wochen diskutiert, geschehen scheint nicht viel. Die Frage ist, wie lange damit noch gewartet werden soll - bis Impfstoff verworfen werden muss, aber immer noch ein Drittel der Bevölkerung ungeimpft ist?
»Erste Pandemie, die durch Impfstoffe beendet wird.« Der Epidemiologe Klaus Stöhr über den Weg von der Pandemie zur Endemie, die Rolle der Impfungen und Kritik am bisherigen Krisenmanagement
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