Peter Scholz fragt Olaf Scholz

SPD-Kanzlerkandidat steht Bürgern Rede und Antwort

  • Andreas Fritsche, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Potsdamer Luisenplatz ist am Freitagabend ein Podest für den SPD-Kanzlerkandidaten aufgestellt. Olaf Scholz ist für 18.30 Uhr angekündigt und verspätet sich, anders als bei wichtigen Politikern üblich, nur zwei Minuten. Eine alte SPD-Stammwählerin ist deshalb schon einmal zufrieden mit ihm. Sie will sich aber erst noch entscheiden, ob sie Scholz bei der Bundestagswahl am 26. September ankreuzt. Denn enttäuscht von den Sozialdemokraten überlegt sie, ihren Stimmzettel diesmal mit einem Strich ungültig zu machen. Etwa anderthalb Stunden dürfen Bürger auf dem Luisenplatz Fragen an den Kandidaten richten, der auch antritt, den Wahlkreis 61 zu gewinnen. Hier, in Potsdam und Umgebung, siegte 2017 Manja Schüle (SPD), die seit 2019 brandenburgische Kulturministerin ist und das Frage- und Antwortspiel am Luisenplatz moderiert.

Ein Peter Scholz will zum Beispiel wissen, wann die Ostrenten endlich ans Westniveau angeglichen werden. 2024 soll der Rentenwert 100 Prozent erreichen, erinnert Olaf Scholz, was 2017 beschlossen wurde. Was er nicht sagt: Das Problem schlechter Renten wegen niedriger Löhne in Ostdeutschland wäre damit nicht aus der Welt geschafft.

Ein anderer Bürger möchte erfahren, wie Scholz über den Einsatz von bewaffneten Drohnen denkt. Der Politiker antwortet ausweichend, dass die Bundeswehr eine anständige Ausrüstung benötige und rühmt sich, dass mit ihm als Bundesfinanzminister der Etat des Militärs stärker gestiegen sei als vor seiner Zeit. Wenn die Armee bewaffnete Drohen erhalten soll, so müsse seiner Meinung nach zunächst geklärt werden, ob eine Mehrheit der Bevölkerung den Einsatz solcher Waffen überhaupt wolle. Es habe Fälle gegeben, wo andere Staaten Drohnen völkerrechtswidrig und missbräuchlich einsetzten, beschreibt Scholz das Problem, drückt sich aber auch auf Nachfrage um ein Bekenntnis, wie er persönlich zur Anschaffung von Drohnen stehe.

Ein gelernter Fleischer, der durch eine Depression nicht mehr arbeiten kann und in Hartz IV rutschte, ist darauf angewiesen, sich Lebensmittel von der Potsdamer Tafel zu holen, weil sein Arbeitslosengeld II nicht ausreicht. Bei der Tafel, die Scholz früher am Tage besuchte und wo der Politiker ein bisschen zupackte und half, sind sich die beiden Männer schon begegnet und Scholz machte Eindruck. Nun erzählt der Fleischer aber, sein Risiko, an Corona zu sterben, betrage ein Prozent, sein Risiko, die Impfung nicht zu überleben, dagegen fünf Prozent. Warum werde er, wenn er das sage, als Querdenker und Nazi abgestempelt. Scholz macht klar, was die möglichen Komplikationen bei einer Impfung betreffe, kenne er andere Zahlen. Er selbst sei geimpft und könne es unbedingt empfehlen - auch gerade dem Fleischer, der sich das doch noch einmal überlegen sollte.

Scholz spricht eindringlich, den Menschen zugewandt, wirkt ehrlich interessiert an ihren Sorgen. Ihm eilt der Ruf voraus, hanseatisch unterkühlt und dröge zu sein. Doch am Luisenplatz präsentiert er sich ganz anders, beweist sogar Sinn für Humor, verrät beispielsweise, er habe inzwischen eine Sammlung von Schlumpffiguren. Die wurden ihm augenzwinkernd geschenkt, nachdem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) über den Finanzminister gesagt hatte, er grinse schlumpfig. Scholz grinst nun wirklich: Die kleinen blauen Kerlchen »sind ziemlich schlau und gewinnen immer«.

So witzig kann Scholz also sein. Er bestätigt damit, was Moderatorin Schüle zu Beginn verspricht: Man werde überraschende Seiten an ihm entdecken. Immerhin bezeichnet sich der gebürtige Hamburger »als Brandenburger, der ich nun bin, als Potsdamer, der ich nun bin«. Anwalt für Arbeitsrecht war der mittlerweile 63-Jährige, bevor er mit knapp 40 Jahren in die Politik wechselte, wo er sich aber immer noch als »Anwalt der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer« versteht. Beifall erhält Scholz für die Bemerkung, eine Steuerentlastung der Reichen, wie sie CDU und FDP wollen, »dass finde ich unmoralisch, so geht das nicht«.

Laut ZDF-Politbarometer hätten 34 Prozent der Bundesbürger am liebsten Olaf Scholz als Kanzler, nur 29 Prozent Armin Laschet (CDU) und 20 Prozent Annalena Baerbock (Grüne). Doch das ändert nichts daran, dass die SPD mit 16 Prozent deutlich hinter CDU (28 Prozent) und Grünen (21 Prozent) liegt. Den Abstand zur Spitze konnte die SPD aber immerhin innerhalb von zwei Wochen um drei Prozentpunkte verkürzen.

Um 20 Uhr soll eigentlich Schluss sein, aber die Moderatorin lässt noch fünf, sechs Fragen zu. Manchen Zuhörern reicht es auch schon. Sie stehen auf und gehen. Die alte SPD-Stammwählerin bleibt noch sitzen. Ob sie sich nun schon entschieden hat, Olaf Scholz zu wählen? »Nein«, sagt sie. So schnell hat er sie dann doch nicht überzeugt.

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