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Machtlos im Zielspurt
Schwimmer Florian Wellbrock holt Bronze über 1500 Meter Freistil - und hofft auf die nächste Goldchance im Freiwasser
Florian Wellbrock sah das Unheil kommen. Als der Deutsche nach der letzten Wende auftauchte und beim Atmen nach links schaute, ahnte er, dass es mit der Goldmedaille nichts mehr werden würde. »Man weiß, dass die Chancen nicht allzu gut stehen«, sagte Wellbrock später: »Man versucht, mit dem Kopf und dem Körper dagegen anzugehen, fühlt sich aber machtlos, wenn man sieht, dass er nochmal so richtig explodiert.« »Er« war der US-Amerikaner Robert Finke, der den Traum des Magdeburgers vorhersehbar zerstörte. Auf den finalen 50 Metern des 1500-Meter-Rennens schwamm Finke 1,98 Sekunden schneller als Wellbrock. Zwei Sekunden sind im Schwimmen eine Welt, eigentlich sogar eher zwei. Weil der Ukrainer Mykhailo Romanchuk ebenfalls noch am Hoffnungsträger der deutschen Schwimmer vorbeisprintete, blieb dem 23-Jährigen die Bronzemedaille.
Die letzten Momente des 1500-Meter-Rennens im olympischen Becken hatten frappierende Parallelen zu denen beim 800-Meter-Finale. Dort lag Wellbrock 50 Meter vor Schluss in Führung, wurde danach sogar noch auf den vierten Rang durchgereicht. Diesmal blieb eine Medaille. »Bei 1300 Metern habe ich gesehen, dass Gregorio Paltrinieri zurückgefallen ist. Das hat für Ruhe im Kopf gesorgt«, erklärte Wellbrock. Der Italiener hatte ihm über die halbe Distanz noch eine Medaille entrissen. Paltrinieri war diesmal keine Gefahr, im Gegensatz zum US-Amerikaner und dem Ukrainer - beide waren über 800 Meter am Deutschen vorbeigezogen und wiederholten das über 1500 Meter.
Auf den ersten Blick hatte Wellbrock, der Weltmeister von 2019, das Rennen von Beginn an kontrolliert. Ab der 300-Meter-Zwischenzeit lag er durchgehend in Führung. Mit seinem ansehnlichen Stil glitt er elegant durchs Becken, fand die »Balken«, wie die Schwimmer die Fähigkeit nennen, im Einklang mit dem Element Wasser noch etwas mehr Vortrieb zu entwickeln. Für den Deutschen Schwimmverband (DSV) war die erste Goldmedaille bei den Männern seit 33 Jahren greifbar. 1988 hatte Uwe Daßler für die DDR als Erster über 400 Meter angeschlagen. Nach der Bronzemedaille von Sarah Köhler über 1500 Meter sollte ein Triumph der Goldhoffnung Wellbrock einen Schub für den Schwimmsport bringen - nachdem die Beckenschwimmer 2012 und 2016 bei den Olympischen Spielen komplett ohne Edelmetall geblieben waren.
Der Befreiungsschlag blieb aus, weil Wellbrock zwar dauerhaft in Führung lag, die Kontrahenten aber nicht abschütteln konnte. Mehr als sechs Zehntel Sekunden entkam Wellbrock dem Ukrainer und dem US-Amerikaner nicht. Zumindest bei Finke war klar, dass er die besseren Spurtfähigkeiten haben würde. Der 21-Jährige war schon über 800 Meter auf der letzten Bahn zwei Sekunden schneller als der Deutsche gewesen - Wellbrock wusste um die Gefahr durch den Mann, der da neben ihm schwamm. Der Deutsche versuchte deshalb, auf der drittletzten und vorletzten Bahn das Tempo zu erhöhen, aber das genügte nicht, um ausreichend Vorsprung mit in den Zielsprint zu nehmen.
Nach dem Rennen war Wellbrock die Enttäuschung anzusehen, nicht als Erster angeschlagen zu haben, aber frustriert war der 23-Jährige nicht. »Ich möchte auf keinen Fall nach einer Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen meckern«, sagte er - und wirkte dabei emotional aufgeräumt und mit sich im Reinen. Der Star der deutschen Schwimmer weiß, dass er vermutlich weitere Chancen bekommen wird, eine Olympische Goldmedaille zu gewinnen, in drei Jahren bei den Spielen in Paris wird er erst 26 Jahre alt sein.
Möglicherweise geht es auch schneller. Am Donnerstag zählt Wellbrock beim Rennen über zehn Kilometer im Freiwasser zum Favoritenkreis. »Jetzt heißt es, sich auf die zehn Kilometer vorzubereiten«, erklärte Wellbrock, er hat mit den Wettkämpfen in Tokio noch nicht abgeschlossen. In dem warmen Wasser im Hafen von Tokio hat der Deutsche zwar wieder starke Konkurrenz, aber nicht mehr den Überflieger auf den letzten Metern neben sich. Robert Finke ist im Freiwasser nicht mit am Start.
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