- Kommentare
- USA unter Joe Biden
Rückkehr der Staatsinvestitionen
Die Politik von US-Präsident Joe Biden bricht mit jahrzehntelanger Politik und setzt auf massive Staatsinvestitionen, um die Konjunktur anzukurbeln. Ob das funktionieren wird, ist aber noch unklar, meint Marcel Richter.
Joe Biden hat nicht die »unsichtbare Hand des Marktes« abgeschafft, aber er legt ihr gerade Fesseln an, wie niemand in den USA seit Jahrzehnten. Wir erleben die Rückkehr des Keynesianismus. Aber ob der US-Präsident mit seiner Politik gegen die Coronakrise erfolgreich sein wird, ist noch unklar.
1,2 Billionen US-Dollar - so groß ist parteiübergreifende Gesetzespaket zur Renovierung der US-Infrastruktur, das Biden gerade voranbringt. Der marode Zustand der Grundversorgung in einem der reichsten Länder der Erde lässt sich in vielen Fällen auf Privatisierung und jahrzehntelangen Sparzwang zurückführen: Wo Unternehmen die Daseinsvorsorge übernehmen, haben sie diese nicht effizienter gemacht, sondern vor allem profitabler. Das Infrastrukturpaket ist nur ein Teil einer ganzen Reihe von Maßnahmen, mit welchen Biden durch staatliche Investitionen dazu beitragen will, Arbeitsplätze zu schaffen, die Corona-Pandemie zu überwinden und der Mittelklasse wieder zu altem Glanz zu verhelfen. Ein Konjunkturprogramm in Höhe von 1,9 Billionen Dollar ist bereits in Kraft und ein weiteres über 3,5 Billionen wollen die Demokraten durch den US-Senat bringen.
Insgesamt geht es bei all diesen Maßnahmen um eins: massive Staatsausgaben. Statt sich auf Anreize, technische Innovationen, Wettbewerb zu verlassen, investiert der Staat in den USA hohe Summen in konkrete Vorhaben. Das ist historisch und eine Kehrtwende. Es ist die Abkehr von der neoliberalen Idee, dass Unternehmen von allein die besten Lösungen für gesellschaftliche Probleme generieren, wenn der Staat nur genug Freiraum lässt. Die Geschichte hat gezeigt, dass das nicht funktioniert.
Jedoch: Die gestiegene Inflation könnte Joe Biden einen Strich durch die Rechnung machen. Die Preissteigerung liegt mittlerweile so hoch wie seit Anfang der 80er Jahre nicht mehr. Betrug sie im Januar dieses Jahres noch 1,4 Prozent, zeigen Daten vom Juni einen Wert von 5,4 Prozent. Ein Grund ist die wirtschaftliche Erholung durch das Abklingen der Corona-Pandemie, ein anderer dürfte sein, dass noch immer gigantische Summen im Umlauf sind, da aufgrund der Niedrigzinsen auch in den USA Geld so günstig geliehen werden kann wie kaum jemals zuvor.
Wenn in dieser Gemengelage, wie von der Biden-Administration geplant, Milliarden an Steuergeldern investiert werden, kommt noch mehr Geld in Umlauf - und das heizt die Inflationsgefahr weiter an. Davor warnen zumindest einige Republikaner und - auf verlorenem Posten - Larry Summers, der ehemalige Chefökonom von Barack Obama. Er hatte bereits im Februar vor einer zu schnellen Preissteigerung gewarnt und dabei explizit auch auf Bidens Billionen-Programm Bezug genommen, sein Einfluss im Weißen Haus ist aber geschwunden.
Joe Bidens Berater und Ökonomen hoffen, dass sich die Inflation wieder auf niedrigerem Niveau einpendelt und Lohnsteigerungen, aufgelöste Lieferengpässe sowie eine verringerte Arbeitslosigkeit die Lage entspannen. Ähnlich sieht es die US-Zentralbank. Eine Anhebung des Leitzinses ist also nicht in Sicht. Diese könnte zwar die Inflation eindämmen, aber in beiden Fällen blieben die Leidtragenden die Verbraucher*innen.
Einerseits, weil für sie die Preise bereits sehr viel stärker gestiegen sind, als es die Lohnsteigerungen auffangen könnten. Laut Daten des US-Arbeitsministeriums sank der reale Stundenlohn inflationsbereinigt von Mai auf Juni 2021 um 0,5 Prozent, von Juni 2020 auf Juni 2021 saisonal bereinigt sogar um 1,7 Prozent. Andererseits, weil ein steigender Leitzins Kredite wieder teurer machen würde. Viele US-Amerikaner leben ohne Rücklagen, für jede größer Ausgabe und teilweise sogar Alltägliches sind Kredite notwendig. Wenn diese teurer werden oder bei laufenden Krediten die Zinsbindung endet, wird es kritisch.
Der staatlich finanzierte Aufschwung könnte die Lage der Beschäftigten verbessern. Aber: Volle Auftragsbücher bedeuten bekanntlich nicht automatisch steigende Löhne und ob so viele neue Arbeitsplätze jenseits des Niedriglohnsektors geschaffen werden, wie notwendig wären, um der Mittelschicht in den USA wieder zu alter Größe zu verhelfen, ist ebenfalls ungewiss.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.