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Krieg mit Feuer und Wasser
Die Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien kämpft mit Wasserknappheit, Bränden und Ernteeinbußen – und beschuldigt die Türkei
Es ist Erntezeit im Norden Syriens. Mähdrescher dröhnen an verschiedensten Orten über die sich schier ins Unendliche erstreckenden Weizenfelder. Menschen tragen in kleinen Gruppen das liegengebliebene Stroh zu Haufen zusammen, um es später in Säcke zu schnüren und zum Abtransport bereitzumachen. Wertvolle Viehnahrung im nordsyrischen Sommer, wenn die brennend gleißende Sonne das satte Grün, das in den winterlichen Regenmonaten sonst die Landschaft prägt, zu einem gelb-bräunlichen Einheitston versengt. Von der Ernte wird in diesem Jahr jedoch kein allzu großer Ertrag erwartet. Der im Winter alljährlich wiederkehrende Regen ließ dieses Jahr vielerorts vergeblich auf sich warten. Bleibt der Regen aber aus, so erreichen die Pflanzen vor der Reifezeit nicht die benötigte Größe oder verkümmern gänzlich.
Die Feuerkampagne
Solche Ernteausfälle wecken in Nordsyrien bittere Erinnerungen. Schon 2019 kam es zu enormen Einbußen, als in einer bis dato nicht dagewesenen Serie von Brandstiftungen unzählige Hektar erntereifer Weizenfelder binnen weniger Wochen in Rauch aufgingen. Vom Getreide, das nach Schätzungen bis zu zwei Millionen Menschen ein Jahr zur Nahrung gereicht hätte, blieb nichts als Asche und Staub übrig. Dutzende Bäuer*innen, Feldarbeiter*innen, Sicherheitskräfte und andere freiwillige Helfer*innen verloren damals in den von starken Winden angefachten Flammen ihr Leben.
Der Bauer Nureddin Elo zeigt auf seine Felder nahe der Stadt Tirbespi und erzählt vom Juni 2019. Über mehrere Tage hinweg hätten sich damals immer wieder neu gelegte Brände, gleich Feuerwalzen, durch die Landschaft hindurchgefressen. »Das gesamte Gebiet stand lichterloh in Flammen«, sagt Elo. Niemand habe die Feuer aufhalten können. Wo immer ein Brand gelöscht wurde, sei wenige Kilometer weiter ein Neuer gelegt worden. Sogar die Hauptstraße in die Großstadt Qamislo habe man damals sperren müssen.
Elo blickt auf die nicht weit entfernt liegenden Ölpumpen, Rohre und Tanks. »Es war ein großes Glück, dass das Feuer nur wenige hundert Meter vor den Ölstationen gestoppt werden konnte.« Die ganze Stadt sei damals auf den Beinen gewesen. »Mit Jutesäcken und Schaufeln haben wir gegen die Flammen gekämpft – undenkbar, was für eine Katastrophe passiert wäre, hätte das Öl Feuer gefangen.«
Nur mit improvisierten Mitteln, einigen wenigen Tanklastern und Hunderten von Freiwilligen und Sicherheitskräften gelang es, das Schlimmste zu verhindern. Eine funktionierende Feuerwehr gab es damals noch nicht in Rojava und an Fahrzeugen und Löschwägen mangelte es. Das Wirtschaftsembargo und die ökonomische Isolation der Region machten sich mehr als drastisch bemerkbar.
Besatzungskräfte und IS-Zellen
Nach den Ermittlungen der Inneren Sicherheitskräfte der Autonomen Verwaltung von Nord- und Ostsyrien wurde die Feuerkampagne von mit der türkischen Besatzungsmacht verbündeten Terrorgruppen und Zellen des zumindest territorial zerschlagenen »Islamischen Staates« organisiert. Die Angriffsserie muss wohl als gezielte Wirtschaftssabotage zur Destabilisierung des Landes und damit als direktes Vorspiel der türkischen Besatzungsoffensive vom Oktober 2019 verstanden werden. Ziel der Brandstifter war nicht nur die Nahrungsmittelversorgung, auch die strategischen Ölförderungsanlagen in Rojava sollten getroffen werden.
Die Verbindungen zwischen dem türkischen Geheimdienst und im Untergrund agierenden Gruppen sind weitgehend bekannt. Schließlich macht die türkische Führung selbst keinen Hehl daraus, nicht nur gute Kontakte mit Dschihadisten unterschiedlichster Couleur zu unterhalten. Sie hatte die verschiedenen islamistischen Fraktionen auch seit Oktober 2019 zu einer eigenen Söldnerarmee unter türkischem Kommando zusammengefasst. Getauft wurden die Gruppen auf den zynischen Namen »Nationale Armee Syriens«. Die Bundesregierung, welche bis heute die demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens nicht anerkennt, betrachtet den politischen Arm eben jener Gruppen, die sogenannte Nationale Koalition syrischer Revolutions- und Oppositionskräfte, als die einzige legitime Repräsentation des syrischen Volkes und hofiert deren Vertreter schon als Diplomaten eines neuen syrischen Staates.
Kriegsführung mit Wasser
Es sind dabei eben jene Söldnergruppen, die seit dem türkischen Überfall im Oktober 2019 gemeinsam mit der türkischen Armee das Gebiet zwischen Serekaniye und Tel Abyad, ein Landstreifen an der nordsyrischen Grenze, besetzt halten. Darunter auch die kleine Ortschaft Allouk, wenige Kilometer westlich von Serekaniye gelegen. So klein und unscheinbar das Dorf sein mag, so besitzt es doch eine überaus strategische Bedeutung. Denn Allouk ist Heimat eines Wasserwerks, von dem die Wasserversorgung über einer Millionen Menschen in der Region abhängt.
Die Pumpstation wurde schon in den ersten Tagen der türkischen Invasion durch Beschuss der türkischen Artillerie und Luftwaffe schwer beschädigt und musste den Betrieb einstellen. Nach der Besatzung setzte man die Anlage wieder in Gang, doch nun wird sie als Waffe im Krieg gegen die Bevölkerung der Region eingesetzt. Immer wieder kappen die Besatzer und die mit ihnen verbündeten Milizen die Wasserleitungen – und so ist die nahe gelegene Großstadt Hasakeh auf dem Territorium der Selbstverwaltung von der Wasserversorgung abgeschnitten.
»Das Wasser reicht gerade so zum Überleben«, schildert die dort lebende Emine Hussein, Hausfrau und Mutter von vier Kindern. Jede Familie bekomme ihre Ration. Doch sei die Qualität nicht die beste, das Trinkwasser oft salzig und bitter. Zur Reinigung des Hauses bleibe oft nicht mehr viel übrig. »Das Leben war noch nie einfach, aber seit den Angriffen der Türken ist alles noch viel schwerer geworden«, sagt Emine. Wie könne man denn nur so etwas machen, den Menschen das Wasser abdrehen? »Das ist einfach unmenschlich.«
Nur mit großen Anstrengungen und enormem logistischen Aufwand gelingt es der Selbstverwaltung, eine Mindestversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten. Jeder verfügbare Tanklaster und Anhänger wird mobilisiert und befindet sich 24 Stunden im Einsatz, um den Wasserbedarf zu decken und die Stadt am Leben zu erhalten. Wenn unter den Bedingungen des unbarmherzigen syrischen Sommers diese mühsam aufrechterhaltene Versorgungskette zusammenbricht, droht eine humanitäre Katastrophe.
Besonders in Zeiten der Corona-Pandemie hat der Wassermangel zudem drastische Auswirkungen auf die Hygiene in der Region. Auch wenn die Ausbreitung des Virus derzeit unter Kontrolle gehalten wird, könnte die nächste Welle schon bald heftig einschlagen.
Euphrat auf Tiefstand
Auch die natürliche Wasserzufuhr in die Region ist trockengelegt. Durch die Ableitung vom Wasser des Flusses Xabur in Staudämme auf türkischem Territorium, die offenbar mehr der Kontrolle als der Energiegewinnung dienen, ist der Wasserspiegel zahlreicher Flüsse und Gewässer in Nordsyrien drastisch abgesunken. Auch der Euphrat, ebenfalls von großer Bedeutung und schon bekannt aus den alten griechischen Erzählungen über Mesopotamien, ist auf historischem Tiefstand angelangt. Seit Monaten wird hier das Wasser auf der türkischen Seite der Grenze im Norden aufgestaut, der einst so mächtige Strom droht damit zu einem schlammigen Rinnsal zu werden. Nicht nur, dass er Millionen von Menschen in Syrien und dem Irak als Hauptquelle für Trinkwasser dient, auch der Ackerbau in Nord- und Ostsyrien sowie dem Südirak ist angewiesen auf den ständigen Fluss von Süßwasser.
Das fehlende Wasser hat wiederum großen Einfluss auf Stromprobleme. Das gigantische Wasserkraftwerk in Tebqa, welches bei optimalem Betrieb aller Turbinen genug Strom für Syrien, Jordanien und den Libanon produzieren könnte, liegt aufgrund des geringen Wasserspiegels weitgehend brach.
Der Strommangel macht sich mittlerweile in nahezu allen Städten Nord- und Ostsyriens tagtäglich bemerkbar. Kühlgeräte und Klimaanlagen strapazieren das ohnehin instabile und an vielen Stellen von der Selbstverwaltung improvisierte Stromnetz in den Sommermonaten zusätzlich. Schon bevor das türkische Regime damit begann, die Region trockenzulegen, waren mehrere Stunden Stromausfall an der Tagesordnung. Nun aber droht eine weitaus größere Gefahr. Der Mangel an Strom führt an vielen Orten schon jetzt zu zeitweisen Zusammenbrüchen der städtischen Wasserversorgung, ist diese doch auf elektrisch betriebene Pumpen angewiesen.
Kampf um Einfluss
Es geht dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan und seinem Regime um weit mehr, als nur das demokratische Projekt im Norden Syriens zu vernichten. Die Staudämme, an deren Bau sich auch so manches europäische Bauunternehmen beteiligt, sind ein wesentlicher Bestandteil des türkischen Kampfes um Einfluss in der Region. Die Möglichkeit, bei Bedarf ganze Länder trockenlegen zu können, ist ein nicht zu unterschätzender Hebel in jeder Verhandlung.
Die kommenden Monate werden für die Bevölkerung Nord- und Ostsyriens und ihre Selbstverwaltung nicht leicht, droht der Sommer doch heiß zu werden. Dazu kommt, dass die Zermürbungsstrategie des türkischen Regimes keineswegs nur auf den Entzug des Wassers beschränkt bleibt. Auch in den vergangenen Tagen wurden – wie die Monate zuvor – Dörfer entlang der Besatzungszone von türkischer Artillerie beschossen. Viele in Nordsyrien, darunter auch Nureddin Elo und Emine Hussein, fragen sich, ob der zusätzliche Wasserkrieg dazu dienen soll, die Kräfte der Menschen in der Region in diesem Hitzesommer aufzuzehren. Und damit den Boden für eine erneute Offensive zu bereiten.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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