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Reagans Exempel
Vor 40 Jahren begann der Streik der US-Fluglotsen, der den vorläufigen Untergang der Gewerkschaftsbewegung des Landes einleitete
Die Aufkündigung des Klassenkompromisses der Nachkriegszeit, so begrenzt dessen Segnungen für die Lohnabhängigen teilweise waren, bedurfte auch der Siege über die Arbeiter*innenbewegung und die sie repräsentierenden Gewerkschaften. So lief es in Großbritannien, als die konservative Premierministerin Margaret Thatcher 1984/85 - nach Jahren der Vorbereitung in einem einjährigen Kampf und unter Aufbietung aller der Regierung zur Verfügung stehenden Mittel - den legendären Streik der britischen Bergarbeiter niederschlagen ließ. Und so war es auch einige Jahre zuvor in den USA gewesen. Der dort neugewählte Präsident Ronald Reagan hatte im Jahr 1981 das Exempel aber nicht an der kämpferischsten und bestorganisierten Gewerkschaft des Landes statuiert, sondern an der kleinen und traditionell eher zahmen Professional Air Traffic Controllers Association (PATCO), der Interessenvertretung der Fluglotsen. Das Ergebnis war allerdings das gleiche: Die Paralysierung der alten Arbeiter*innenbewegung für Jahrzehnte.
Streikwelle in den 70er Jahren
Noch wenige Jahre zuvor hatte dies ganz anders ausgesehen. Seit Ende der 60er Jahre hatten die USA die höchste Streikaktivität seit den »wilden Dreißigern« erlebt. Auf durchschnittlich 569 jährlich verlorene Arbeitstage pro 1000 Beschäftige bezifferten die offiziellen Statistiken die Streiktage zwischen 1970 und 1979. Dies entsprach mehr als dem Dreifachen derer des vorangegangenen Jahrzehnts. In der Folge waren die Löhne in vielen Branchen zweistellig gestiegen, die Gewinne der Unternehmen eingebrochen und auch die Disziplin in den Betrieben war auf einem Tiefpunkt angekommen. Beunruhigt hatte die »New York Times« bereits 1970 »Zeichen von Unruhe in den Fabriken des industriellen Amerika« erkannt. Die Warnungen vor »übertriebenen Lohnforderungen« oder »überbordender Macht der Gewerkschaften« füllten die Spalten aller Wirtschaftszeitungen des Landes, wie Grégoire Chamayou unlängst in seinem bemerkenswerten Buch über diese Zeiten mit dem passenden Titel »Die unregierbare Gesellschaft« nachgezeichnet hat. Wie unwohl sich die herrschende Klasse in Teilen fühlte, war 1972 in einem Leitartikel der »Business Week« nachzulesen. »Was dieses Land braucht, um diese Bande von Taugenichtsen zur Räson zu bringen«, schrieb deren Chefkolumnist mit Blick vor allem auf die jungen Arbeiter*innen, »ist eine ordentliche Depression«.
Klassenkampf von oben
Aber auch als die Depression schließlich eintrat, ablesbar am Ölpreisschock und der Auflösung des Bretton-Woods-Systems der festen Wechselkurse und der Goldbindung des US-Dollar im Jahre 1973, schuf sie zunächst keine Abhilfe. So scheiterte der damalige US-Präsident Richard Nixon mit seinen Plänen einer staatlichen Lohnkontrolle oder dem Einsatz von Militärangehörigen als Streikbrechern gegen die wilden Aufstände der Postangestellten ebenso wie sein demokratischer Nachfolger Jimmy Carter beim Versuch, die Bergarbeiterstreiks im Winter 1977/78 kurzerhand für illegal zu erklären und durch Gewalt auflösen zu lassen.
Erst 1979 begann sich das Blatt langsam zugunsten der Herrschenden zu wenden. Dies war nicht zuletzt dem neuen Notenbankchef Paul Volcker und seiner monetaristischen Geldpolitik zu verdanken. »Der Lebensstandard des Durchschnittsamerikaners muss sinken«, hatte der ehemalige Banker gleich zu Beginn seiner Amtszeit verkündet. Und er ließ Taten folgen: Durch die Erhöhung des Leitzinses auf über 20 Prozent gingen bis 1982 über 6,8 Millionen Jobs in der Industrie verloren und die rapide steigende Arbeitslosigkeit schwächte, wie von Volcker intendiert, die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften.
Parallel dazu begann die Carter-Administration, nach ihrem Fiasko im Bergarbeiter-Streik, Pläne auszuarbeiten, um Aktionen vor allem der öffentlich Bediensteten zukünftig erfolgreicher begegnen zu können. Hierbei rückten nun die Fluglotsen in den Fokus. Langhorne M. Bond, Leiter der Flugaufsichtsbehörde FAA, und Clark H. Onstad, deren oberster Anwalt, legten schließlich Anfang 1980 ein Konzept vor, das auf Anweisung von Philip B. Heymann, Carters stellvertretendem Justizminister, verfasst worden war. Es sah nichts weniger vor als die Anwendung des 1947 in Kraft getretenen Taft-Hartley-Gesetzes, nach dem Streiks im »nationalen Notfall« verboten werden und bei Zuwiderhandlungen Gewerkschaften aufgelöst und Streikende inhaftiert werden konnten. »Die unglaublich detaillierte Planung nahm über ein Jahr in Anspruch,« resümierte Onstad später gegenüber der »New York Times«, »weil wir wussten, dass der Streik stattfinden würde«.
Im August 1981 war es dann schließlich soweit. Die PATCO und ihr Vorsitzender Robert Poli hatten nach einigen Jahren der Lohnstagnation relativ weitgehende Forderungen aufgestellt: 10 000 Dollar mehr für jeden Lotsen - diese verdienten zu der Zeit etwas mehr als 36 000 Dollar pro Jahr -, höhere Renten und eine 32-Stunden-Woche. Nach Monaten erfolgloser Verhandlungen traten am 3. August schließlich etwa 13 000 der insgesamt knapp 15 000 staatlichen Fluglotsen in einen Streik. Der seit Anfang des Jahres im Weißen Haus residierende Präsident reagierte umgehend. Noch am gleichen Abend trat Reagan vor die Presse - und verkündete die Anwendung des Taft-Hartley-Gesetzes. »Das Gesetz ist eindeutig«, so der Republikaner. Wer binnen 48 Stunden nicht wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehre, werde gefeuert. »Reagans Regierungsvertreter greifen die von der Carter-Regierung ausgearbeiteten Pläne enthusiastisch auf und setzen sie in die Tat um«, bemerkte die »Times« am nächsten Morgen.
Die Streikfront aber hielt, und zwar für Monate. Nur etwa 1800 Lotsen kehrten an ihre Arbeitsplätze zurück, obwohl der US-Kongress mit den Stimmen beider Parteien ein lebenslanges Wiedereinstellungsverbot für Streikende aussprach. Dennoch gelang es der FAA mit Hilfe von abgestellten Spezialisten der US-Air-Force und Tausenden angelernten Streikbrechern den Luftverkehr aufrechtzuerhalten. Lediglich ein Viertel der Flüge musste gecancelt werden, schwere Unfälle blieben aus. Gegenüber der Gewerkschaft wurde die Gangart zunehmend härter. Streikposten wurden werden überall im Land verhaftet und Dutzende zu Gefängnisstrafen verurteilt. Am schwersten aber wog die Beschlagnahme der mit 3,5 Millionen Dollar gut gefüllten Streikkasse, was viele Streikende unmittelbar in Not brachte. Am 22. Oktober schließlich entzog das Bundesamt für Arbeitsbeziehungen PATCO die Vertretungsbefugnis für die Fluglotsen. Damit war die Gewerkschaft selbst für illegal erklärt und wurde im folgenden Jahr durch ein Bundeskonkursgericht endgültig aufgelöst. Die Regierung hatte auf ganzer Linie gesiegt. Neue Fluglotsen wurden fortan zu schlechteren Bedingungen eingestellt. Und selbst das Berufsverbot gegen die ehemaligen PATCO-Mitglieder hielt noch bis 1993.
Für diesen staatlichen Sieg war nicht nur die gute Vorbereitung verantwortlich. Vor allem durch die fehlende Solidarität der anderen Gewerkschaften hatte die Regierung leichtes Spiel. Obwohl überall im Land Demonstrationen zur Unterstützung des Streiks stattfanden, behandelte der Exekutivrat des Dachverbands der US-Gewerkschaften (AFL/ CIO) auf seiner Sitzung am 6. August 1981 die Bitte von PATCO um Unterstützung der Streikpostenketten nicht einmal. Obwohl Lane Kirkland, der Vorsitzende des Verbandes, später eingestand, er habe niemals so viel Post erhalten wie in diesen Tagen und »90 Prozent« der Absender*innen hätten ihn kritisiert, weil er keinen Generalstreik ausgerufen habe, erteilte er öffentlich der Idee von Unterstützungsaktionen eine klare Absage. »Es ist leicht, nach fünf Schnäpsen zu den Waffen zu rufen und den Generalstreik zu verlangen«, erklärte er gegenüber der Presse just an dem Abend, als das Ultimatum der Regierung auslief, »doch als verantwortungsbewusster Führer muss man die Konsequenzen erwägen.«
Nachhaltiger Sieg über die Arbeiterschaft
Hätte er diese Erwägung ernsthaft vorgenommen, wäre sein Urteil eventuell anders ausgefallen. Denn mit dem Sieg über PATCO wurde ein Exempel statuiert, das in den USA Schule machte. »Reagans Konfrontation mit den Fluglotsen unterminierte die Verhandlungsmacht der amerikanischen Arbeitnehmer und ihrer Gewerkschaften nachhaltig«, resümiert der Historiker Joseph McCartin in seinem Standardwerk »Collision Course« über den »Streik, der Amerika verändert hat«. Fortan wurden auch in der Privatindustrie Streikende kurzerhand entlassen, und die einst mächtigen US-Gewerkschaften schrumpften auf einen Rumpf zusammen. Zum Ende der 80er Jahre waren lediglich acht Prozent der Beschäftigten noch gewerkschaftlich organisiert. Gerade einmal 29 Streiktage jährlich pro 100 000 Beschäftige zählten die Statistiker nach 1990 und die Lohnquote sinkt seit Mitte der 80er Jahre beständig. Der Schlag des Staates gegen seine Angestellten hat seine Wirkung nicht verfehlt.
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