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Wenige Inhalte, viele Ressortrochaden
Sachsen-Anhalt bekommt eine konservative »Deutschland«-Koalition von CDU, SPD und FDP
Zumindest bei politischen Farbspielen war Sachsen-Anhalt stets innovativ. Vor fünf Jahren kreierte man in Magdeburg die erste sogenannte Kenia-Koalition in einem deutschen Bundesland. Nun ist es nicht weniger als die »Deutschland-Koalition« in den Farben der Nationalflagge. Am späten Montagnachmittag gaben CDU, SPD und FDP den eigentlich schon für Freitag erwarteten Abschluss ihrer dreiwöchigen Koalitionsverhandlungen bekannt. Der im Gegensatz zu seinen SPD-Kolleginnen und -Kollegen sichtlich gut gelaunte CDU-Landeschef Sven Schulze erging sich in extremen Superlativen. Die drei Partner passten »extrem gut« zusammen, und er sei »extrem optimistisch«, Sachsen-Anhalt eine »extrem gute Koalition« präsentieren zu können.
Doch anders als die erste »Kenia«-Koalition von 2016 versprechen die am Montag vorgestellten Eckwerte der Koalitionsvereinbarung wenig Aufbruch. Die eher konservative Ausrichtung aller drei Partner hatte die Verhandlungen in den ersten beiden Wochen flüssig erscheinen lassen. Erst Ressortzuschnitte und Geldfragen brachten sie in der vorigen Woche ins Stocken. »Das war für manche auch ein harter Kampf«, räumte der zuvor noch »extrem optimistische« Schulze ein. Extremsitzungen bis zu 15 Stunden Dauer wurden notwendig. Nun soll der Ministerpräsident, der absehbar wieder Reiner Haseloff (CDU) heißen wird, bereits am 16. September gewählt werden - zehn Tage vor der Bundestagswahl.
Bei der Landtagswahl am 6. Juni hatte die CDU mit 37,1 Prozent einen überraschend deutlichen Wahlsieg weit vor der AfD errungen. Eine Koalition mit der erneut leicht geschrumpften SPD hätte im Landtag immerhin eine Stimme Mehrheit gehabt. Weil die Bündnisgrünen so ihre Druckpotenzial als Mehrheitsbeschaffer verloren hätten, lehnten sie eine Wiederholung der Kenia-Koalition ab. An ihre Stelle trat dafür die FDP, die mit Spitzenkandidatin Lydia Hüskens nach zehn Jahren erstmals wieder die Fünf-Prozent-Hürde übersprang.
Inhaltlich waren bei den Sitzungen des 18-köpfigen Verhandlungsgremiums in den Schlusstagen nur wenige Punkte strittig. Das Sondervermögen zur Bewältigung der Coronakrise soll nunmehr eineinhalb Milliarden Euro umfassen, der Finanzausgleich mit den Kommunen 1,73 Milliarden. Die SPD setzte die Kopplung des Vergabegesetzes an einen Mindestlohn von etwa 13 Euro durch, gekoppelt an untere Einkommensgruppen im Öffentlichen Dienst. Schwellen für die Vergabe öffentlicher Aufträge werden erhöht.
Noch liegt der Koalitionsvertrag nicht im Wortlaut vor. Am Mittwoch soll er aber der Basis zugeleitet werden. CDU und SPD wollen ihre Mitglieder dazu befragen, was etwa vier Wochen in Anspruch nehmen wird. Bei den Liberalen entscheidet ein Parteitag. Die vom CDU-Landesvorsitzenden Sven Schulze am Montag erwähnten Kernpunkte enthalten aber kaum Überraschungen. Die Landespolizei soll auf 7000 Beamte aufgestockt werden. Absichtserklärungen gewähren eine stabile Schulstruktur mit Grundschulverbünden und Theatern sowie Orchestern eine verlässliche Finanzierung.
Auch ein formales Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist enthalten, nachdem die Landes-CDU im Vorjahr zunächst den Rundfunkstaatsvertrag gekippt hatte. Die Autobahnen 14 und 143 sollen bis 2025 fertiggebaut werden.
Grüne Aspekte aber geraten in die Defensive. Umweltschutz soll generell im Einklang mit Kommunen und der Landwirtschaft geregelt werden. Der sogenannte Kohleausstiegspfad zum Jahr 2038 wird nicht verkürzt, obschon die Kohleverstromung absehbar früher unrentabel werden dürfte. Überprüft werden soll der Schutzstatus des Wolfes. Wieder einmal möchte Sachsen-Anhalt zusätzlich Modellland werden, diesmal für grünen Wasserstoff. Als Reaktion auf den rasanten Klimawandel wurde vorerst nur die Aufforstung bestimmter Baumarten und die Einrichtung von fünf Modellregionen für die Beobachtung von Wetterextremen genannt.
»Wir haben schweren Herzens Abschied genommen von der Zuständigkeit für den Bereich Wirtschaft«, deutete SPD-Landesvorsitzender Andreas Schmidt die Hauptkonflikte der letzten Verhandlungstage an. Die CDU und namentlich ihr Landesvorsitzender, designierter Wirtschaftsminister und Haseloff-Nachfolger Sven Schulze, setzten ein Superministerium für Wirtschaft, Tourismus und Landwirtschaft durch. SPD-Minister Armin Willingmann wurde sozusagen mit einem Wissenschaftsministerium entschädigt, das um die Bereiche Klimaschutz, Energie und Umwelt erweitert wird. Die FDP erhält ein neues Digitalisierungsministerium.
Grünen-Landesvorsitzender Sebastian Striegel sieht wegen der Zerschlagung des Umweltministeriums die Suche nach Antworten auf die Klimakrise erschwert. Überhaupt verspiele diese Koalition Zukunftsansätze. Die Linke sprach gar von einem drohenden »sozialpolitischen Kollaps« und vermisst vor allem die Förderung von Kindern und Jugendlichen. Frühkindliche Bildung, Kita-Kostenfreiheit und ein bereits angeschobenes Kinderfördergesetz blieben auf der Strecke, kritisierte die Abgeordnete Nicole Anger.
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