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Sieben Jahre Liebe mit Hindernissen
Jamie aus Kalifornien und Mohsen aus dem Iran sind seit 2014 ein Paar. Eine Hochzeit scheiterte bisher an vielfältigen Widrigkeiten
Jamie und Mohsen haben sich über das Internet kennengelernt. Das war 2014. Seitdem führen sie eine internationale Fernbeziehung. Denn Mohsen lebt im Iran und Jamie ist US-Bürgerin. Verlobt sind sie seit fünf Jahren. Und seit langem wollen sie auch heiraten. Einfach ist das jedoch nicht, da ihre Heimatländer verfeindet sind.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Ich habe Jamie 2017 auf einer Reise nach Tadschikistan kennengelernt, damals war sie schon mit Mohsen verlobt. In vielen Skype-Telefonaten in den letzten Wochen ist deutlich geworden: Eine Liebe wie die zwischen diesen beiden Menschen scheint kaum Platz zu haben in einem über 40 Jahre alten Konflikt. Und solange sie keine Ringe an den Fingern und keine Trauscheine in den Taschen haben, ist ihre Partnerschaft durch Visa-Stress, teure Flugreisen und unterbrochene Verbindungen bei Skype-Anrufen erheblichen Belastungen ausgesetzt.
In Kontakt sind die beiden auf Facebook gekommen, weil Jamie, die islamische Kunst studierte, ihre Farsi-Kenntnisse verbessern wollte. Mohsen wiederum wollte sein Englisch perfektionieren, weil er als Übersetzer arbeitet. Im Sommer 2014 begannen sie, einander Nachrichten zu schreiben. Im April 2015 trafen sie sich das erste Mal - in Istanbul. Obwohl sie sich zuvor noch nie gesehen hatten, kamen sie sich schnell nahe.
Innerhalb kürzester Zeit merkten sie, wie viele Aspekte ihres Lebens sich ähnelten, obwohl sie in Kalifornien aufgewachsen ist und er im Iran. Beider Eltern waren geschieden, ihre Geschwister ungefähr im gleichen Alter, sie teilten ein Interesse an englischer Literatur, und Jamie hatte eine tiefe Faszination für die persische Sprache und islamische Kunst. »Wir hatten all diese Gemeinsamkeiten, trotz der scheinbar weit voneinander entfernten Kulturen und Nationen, in denen wir lebten«, erinnert sich Jamie.
Für Mohsen war die Reise in die Türkei 2015 ein Novum: Zum ersten Mal reiste er in einem Flugzeug. Jamie war auch nach Istanbul gekommen, um sich ein Visum für den Iran zu beschaffen. »Damals war sie eine ziemlich paranoide Amerikanerin«, erinnert sich Mohsen schmunzelnd. Immer wieder betonte sie, keine Spionin zu sein. Er fand das irgendwie ulkig. Wie sehr diese Eventualität ihre Beziehung belasten würde, ahnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Wenige Monate nach diesem ersten Treffen in der Türkei reiste Jamie das erste Mal in den Iran. Doch britische, kanadische und US-Bürger*innen können nur ins Land, wenn sie eine geführte Tour buchen oder einen privaten Reiseführer engagieren. Als offiziellen Grund nennen die Behörden die Sicherheit der Tourist*innen. Allerdings dürfen Personen aus Ländern, die keine Sanktionen gegen den Iran verhängt haben, dort frei reisen. Nach intensiver Suche fand Jamie einen Tourguide, der sie nach einer gemeinsamen neuntägigen Reise unbeaufsichtigt nach Maschhad reisen ließ, eine als religiöse Pilgerstätte bekannte Stadt im Nordosten des Landes, wo Mohsen noch immer lebt. Zu dem Zeitpunkt waren die beiden bereits in einer Beziehung.
Während ihrer Iran-Reise heirateten Jamie und Mohsen religiös. Sie gingen eine sogenannte Sighe-Ehe ein, auf Arabisch auch Mur’a-Ehe genannt. Sie ist eine zeitlich begrenzte Verbindung, die von schiitischen Muslim*innen als zulässig angesehen wird, aber rechtlich gar nichts zu bedeuten hat. Sie zu schließen, war eine Frage der Sicherheit. Denn so kann die iranische Moralpolizei nichts tun, wenn die beiden öffentlich ihre Zuneigung füreinander zeigen. Dies könnte ihnen ansonsten Probleme bereiten, sie könnten sogar verhaftet werden. Nach der Zeremonie reiste Jamie zurück in die USA, wollte aber bald in den Iran zurückkehren, um dort mit Mohsen die richtige Hochzeit zu feiern.
Am 20. Januar 2017, dem Tag der Amtseinführung des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten, Donald Trump, verließ Jamie Kalifornien gen Osten. »Den Tag habe ich mit Absicht gewählt. Ich wollte nicht in Trumps Amerika leben. Deshalb bin ich an diesem Tag gegangen«, sagt sie.
Das Paar versuchte in der Folge, für Mohsen ein Touristenvisum für die Vereinigten Staaten zu bekommen, damit sich auch Jamies Familie und er kennenlernen können. Doch zu den ersten Amtshandlungen Trumps gehörte der Erlass des sogenannten Muslim Ban, der auch Mohsen für unbestimmte Zeit die Einreise in die USA unmöglich machte.
Zur für Frühjahr 2017 geplanten Hochzeit meldeten sich schnell Familie und Freund*innen aus der ganzen Welt an. Mohsen buchte einen Saal, Jamie konvertierte im zum Islam. Dies war ein notwendiger Schritt, um Mohsen in seinem Heimatland heiraten zu dürfen. »Der Mullah, der die Zeremonie vollzog, hatte ein Problem mit mir«, ärgert sich Jamie noch immer. Er habe sie böse angeschaut und gefragt: »Kommst du aus dem gleichen Land USA, das unser Feind ist?« Und dann stellte er vollkommen unangebrachte intime Fragen. Nach der Zeremonie bekam sie vom Mullah einen weißen Tschador mit lila Blüten, mit dem sie »Bescheidenheit zeigen und zum Schrein beten gehen« könne.
Dann tauchten während der Hochzeitsvorbereitungen immer mehr Probleme auf. Jamies »non-impediment to marriage«, ein Zertifikat, mit dem sie gegenüber dem iranischen Staat nachweisen muss, dass sie nicht schon anderswo verheiratet ist, ging zeitweilig auf dem Postweg verloren. Weil im Frühjahr 2017 mehrere Ministerien und staatliche Behörden wegen Ferien geschlossen hatten, schwanden zugleich die Chancen, rechtzeitig Visa für ihre Familie beantragen zu können. Und auch Jamies eigene Zeit war zu knapp: Ihr Ein-Monats-Touristenvisum konnte sie zweimal verlängern, aber damit hatte sie trotzdem nur drei Monate, alles zu organisieren. Das war zu wenig, die Hochzeit musste abgesagt werden.
Zu dem Zeitpunkt war aber zumindest klar, dass sich die beiden einige Monate darauf in England treffen würden. Jamie machte dort ihren Master, und Mohsen war von einem Lord des britischen Parlaments zur Präsentation eines Buches eingeladen, das er übersetzt hatte. Jamies Eltern reisten ebenfalls nach London. Dort fand ihr erstes und bisher einziges Treffen mit dem Verlobten ihrer Tochter statt. Jamies Eltern äußerten ihre Sorgen, die sie sich um die beiden machten. Sie hatten ein ehrliches, aber schwieriges Gespräch. »Es fühlte sich an wie ein Verhör«, sagt Jamie.
Was sie da noch nicht wusste: Ein richtiges Verhör wegen ihrer Beziehung würde sie auch noch erleben. Denn das iranische Ministerium für Nachrichtenwesen, der Geheimdienst des Landes, interessierte sich für Jamies und Mohsens Heiratswunsch. Eines Tages wurde Mohsen in Maschhad zu einem Gespräch vorgeladen. Da er zu dem Zeitpunkt noch auf sein Dolmetscherzertifikat wartete, ahnte er nicht, dass es in dem Gespräch um seine Beziehung zu Jamie gehen würde. Er erinnert sich noch an den Tee und die Kekse auf dem Tisch. Als ihm klar wurde, dass es um seine private Partnerschaft gehen sollte, bekam er es mit der Angst zu tun.
Tatsächlich versuchten die Beamten, ihn einzuschüchtern. »Sie haben mich wie einen Kriminellen behandelt«, erinnert er sich. Sie waren höflich, aber wollten über die Beziehung Bescheid wissen. Er hatte große Angst, dass Jamie etwas Falsches getan hatte. War sie vielleicht doch eine Spionin? Auf einmal war das alles gar nicht mehr ulkig. Doch je länger das Gespräch dauerte, desto klarer wurde ihm, dass sie nichts gegen ihn in der Hand hatten.
Jamie und Mohsen hatten ernsthafte Sorgen, dass die Beamten sich ihren Hochzeitsplänen in den Weg stellen könnten. Sie taten es jedoch nicht. Dass sein Telefon abgehört wird, sieht er recht entspannt: Sie hätten ja nichts zu verbergen. Tatsächlich hat Mohsen seit Monaten nichts mehr von ihnen gehört.
Beide wurden einzeln und gemeinsam vernommen. Mohsen hätte nicht gedacht, dass es solche Probleme geben würde. »Ich wusste natürlich, dass sie als amerikanisch-britische Staatsbürgerin interessant ist, aber nicht, dass sie über einen Backgroundcheck hinaus gehen würden.«
Im Frühjahr 2018 flog Mohsen in die Niederlande. Zu diesem Zeitpunkt war Jamie für ihre Dissertation an der Universität Leiden. Mohsen zog für drei Monate zu ihr. So versuchten die beiden ihr gemeinsames Glück in Europa. Aber er war dort einfach nicht glücklich und fand keinen Job. »Ich mochte es nicht, so abhängig von ihr zu sein«, erinnert er sich. Und es fühlte sich für beide auch nicht richtig an, dort zu heiraten. Mohsen ging also wieder zurück in den Iran. Und zurück war der Rhythmus, der ihre Beziehung seit Beginn prägte: lange, intensive Phasen zusammen - lange Phasen getrennt.
Im Frühling 2019 konnten sich Jamie und Mohsen erneut in Istanbul wiedersehen. Jamie schrieb dort dank eines Stipendiums an ihrer Doktorarbeit weiter. Doch Mohsen konnte sie nur ab und zu besuchen. Für ihn war es schwierig, ein Langzeitvisum und eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Iranisch-türkische Beziehungen sind ambivalent, geprägt von Zusammenarbeit und gleichzeitiger Rivalität. Das hat etwas mit den unterschiedlichen konfessionellen Ausrichtungen der beiden Länder zu tun, mit der geostrategischen Lage und der Tatsache, dass sie unterschiedlichen Machtblöcken angehören. Denn obwohl die Türkei an den Iran grenzt, unterhält sie bessere diplomatische Beziehungen zu den USA und ist Mitglied in der Nato. Dennoch ist Istanbul für das Paar ein sicherer Hafen, beide kommen hier relativ leicht an ein Touristenvisum.
Im Frühjahr 2020 zog Jamie weiter nach Usbekistan, um die dortige Kunst zu studieren. Mohsen öffnete ein eigenes Übersetzerbüro in Maschhad. Dann kam die Pandemie: Neun Monate lang konnten die beiden sich deshalb nicht sehen, die längste Zeit bisher. Momentan ist Jamie wieder in Kalifornien, Mohsen weiter in Maschhad.
Große Entscheidungen, wo sie leben werden, haben die beiden lange vor sich hergeschoben. Doch diesen Herbst wollen sie wirklich heiraten - falls Jamie ein Visum bekommt. Nur das Coronavirus und Grenzbestimmungen könnten ihr einen Strich durch die Rechnung machen. »Vielleicht heiraten wir dann einfach in Istanbul«, schrieb sie vor einigen Tagen. »Und dann werden wir endlich Mohsens US-Visum für Ehepartner beantragen und eine große Party in Kalifornien feiern.«
Dass es für sie schwierig werden würde, angesichts der Feinschaft zwischen ihren Ländern und der großen Entfernung zwischen ihnen, ihre Beziehung aufrecht zu erhalten, war Jamie und Mohsen von Anfang an klar. Trotzdem strahlen beide eine tiefe Ruhe und Zuversicht aus, wenn sie über ihre Liebe reden. Es ist klar, dass es ihnen ernst ist und ihr Ziel eine gemeinsame Zukunft.
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