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Abgang der größten Attraktion
Der FC Barcelona steht vor den Trümmern seiner Erfolge - und das nicht nur, weil Lionel Messi weg ist
»Més que un club« - ein Selbstverständnis wie in Stein gemeißelt. Auf Katalanisch gibt der FC Barcelona vor, »mehr als ein Klub« zu sein: ein Lebensgefühl der Katalanen in Spanien, die Nummer eins des Landes, wenn nicht sogar der ganzen Welt. Jahrelang war der FC Barcelona das Maß aller Dinge, als seine fast unschlagbare Elf im europäischen Spitzenfußball tonangebend war. Etliche Weltstars trugen stolz das rot-blau-gestreifte Trikot; aus der »La Masia« (»Das Bauernhaus«) genannten Jugendakademie traten spätere Spitzenfußballer hervor, allen voran Lionel Messi, der in Barcelona zur Ikone wurde. Seit Sonntag ist klar: Der Argentinier wird nach 21 Jahren nicht mehr das Trikot von Barca tragen.
Das Selbstverständnis des stolzen Vereins hat aber nicht nur durch den Wechsel Messis zu Paris St. Germain gelitten. Denn der FC Barcelona steht vor den Trümmern seiner strahlenden Vergangenheit, die Verbindlichkeiten des Vereins belaufen sich mittlerweile auf mehr als eine Milliarde Euro. Dabei waren die roten Zahlen längst kein Geheimnis mehr. Doch man muss die Kuh melken, solange sie Milch gibt, hatten sich die Verantwortlichen gedacht.
Als Joan Laporta im Jahr 2003 zum Vereinspräsidenten gewählt wird, ist die Lage bereits prekär. Die Schulden sind mit 220 Millionen Euro - im Gegensatz zu heute - überschaubar, aber dennoch existenzbedrohend. Mit dem neuen starken Mann an der Spitze, ein Rechtsanwalt, soll es aufwärts gehen. Laporta setzt den Rotstift an. Die Mitarbeiterzahl, auch in der Vorstandsetage, wird verkleinert und die Gehälter gekürzt.
Dazu wählt der neue Präsident auch ein neues Motto, was den Fans des FC Barcelona gar nicht gefällt: Man kann nicht immer nur nehmen, man muss sich auch mal geben lassen. Und wer ist bereit, mehr für den Verein zu geben als die eigene Anhängerschaft? Natürlich niemand. Also werden die Ticketpreise um satte 40 Prozent erhöht. Ein Schlag ins Gesicht für den Durchschnittskatalanen, auch wenn die Erhöhung bei den Dauerkarten noch recht moderat ausfiel. Das führt unweigerlich zum Zuschaueraustausch: Zahlungskräftige Eventtouristen aus Asien bilden jetzt einen nicht übersehbaren Prozentsatz im Publikum.
Wer bereit war, in den Folgejahren für Tagestickets zumeist dreistellige Summen hinzublättern, bekam allerdings auch einiges geboten: Superstars wie Xavi, Iniesta und natürlich Lionel Messi. Der FC Barcelona wurde infolgedessen zum Großkunden bei den örtlichen Schreinermeistern. Denn der Trophäenschrank musste dauerhaft erweitert werden, so viele nationale wie internationale Titel holten die Katalanen. Allein seit 2006 gewann Barca viermal die Champions League und neun spanische Meisterschaften.
Damit ist vorerst Schluss. Eine alternde Mannschaft, die nicht adäquat mit frischen und dem nötigen Niveau angemessenen Spielern verstärkt wurde, spielt nicht mehr ganz vorn mit. Der letzte Sieg in der Champions League gelang 2015, der letzte spanische Meistertitel wurde 2019 gefeiert. In der vergangenen Saison wurde Barca Dritter. Zudem blieben Neuverpflichtungen hinter den Erwartungen zurück, verdienten aber gleichzeitig ein üppiges Salär. Präsident Laporta gibt nun offen zu: »Unsere Gehälter entsprechen 110 Prozent unserer Einnahmen.« Ohne Messi fällt der Wert zwar auf 95 Prozent, allerdings sind laut spanischen Financial-Fairplay-Regeln nur 70 erlaubt. So ist noch unklar, ob einige der im Sommer neu verpflichteten Spieler überhaupt am Sonntag zum Saisonstart eingesetzt werden können.
Das Ergebnis eklatanter Misswirtschaft kommt nun zurück wie ein Bumerang. Und das, obwohl der FC Barcelona eigentlich als zu groß für ein derart drastisches Scheitern galt. Wäre nicht die Corona-Pandemie dazwischengekommen. Bis dahin lief zumindest das Wirtschaftssystem des Klubs mit den Zuschauern wie geschmiert. Bei jedem Touristenshop auf dem Boulevard Las Ramblas konnte man sich Tickets für die Spieltage, Touren durch das Stadion und natürlich allerhand Ramsch aus dem Fanshop kaufen. Doch die Touristen blieben aus, es kam kein zahlungswilliges Eventpublikum mehr, das einmal Lionel Messi sehen wollte. Zumindest theoretisch, denn im obersten Rang des Camp Nou sitzend, braucht man schon ein Fernglas, um Messi auf dem Spielfeld auszumachen.
Das Stadion, in dem normalerweise fast 100 000 Zuschauer pro Spieltag sitzen, blieb lange Zeit leer. Und es ist fraglich, wie viele Konsumenten in Zukunft ins Camp Nou pilgern werden, denn die größte Attraktion ist weg: Messi trägt nun das Trikot von Paris St. Germain. Und die Zukunft des FC Barcelona ist ungewiss. Anders als 2003 wird ein Umbruch länger dauern und schwieriger zu stemmen sein. Die Ticketpreise können kaum noch angehoben werden. Es liegt an den Verantwortlichen, Großverdiener loszuwerden und sich wieder auf ursprüngliche Werte zu besinnen: die Jugendarbeit in La Masia. Aber auch den größten Optimisten wird klar sein: Den FC Barcelona wird man wohl vorerst nicht mehr in der europäischen Spitze finden.
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