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Die beiden Seiten der Mauer
Zwischen Wäsche und Fußball: Acht Filme zur Geschichte der Berliner Teilung und zum Alltag dies- und jenseits
Geschichte ist ein höchst widersprüchlicher Prozess. Einen sozialistischen Staat auf deutschem Boden zu errichten, der noch dazu einem anderen Militärbündnis angehörte als der größere und wirtschaftlich stärkere Teil des Landes, das ging nicht ohne Schutzmacht. Ohne eine halbe Million Sowjetsoldaten und Atomraketen auf ihrem Territorium, hätte es die DDR vermutlich nicht lange gegeben – das zeigt auch die Erfahrung des Wendeherbstes 1989.
Machtpolitik im Kalten Krieg – oftmals, wie während der Kuba-Krise, an der Schwelle zum heißen – nahm auf Menschen wenig Rücksicht. Das betrifft Ost wie West gleichermaßen. Und beide Militärblöcke standen sich in Berlin direkt gegenüber. Wie das aussah, das kann man auf der von Stephan Müller zum 60. Jahrestag des Mauerbaus herausgegebenen DVD »Die Mauer«, betrachten, die acht Kurzfilme zum Thema Mauer von 1961 bis 2017 versammelt.
Der erste von ihnen heißt »Das Ganze Halt« von Dieter Mendelsohn und ist von der DEFA unmittelbar nach dem Mauerbau gedreht worden. 15 Minuten lang rechtfertigt er den Mauerbau als unvermeidlich zur Friedenssicherung in Europa. Die Bundeswehr habe mit dem Plan »deco II« den Überfall auf die DDR aus einem stattfindenden Manöver heraus geplant – der Mauerbau verhinderte dies. Planspiele dieser Art gab es sicherlich (auch den umgekehrten Fall der Doktrin einer sogenannten Offensivverteidigung der NVA mit Panzertruppen auf westlichem Boden), das lag in der hochgefährlichen Logik des Kalten Krieges. Was nirgendwo vorkommt, sind die Details dieses Mauerbaus über Nacht. Eine logistische Meisterleistung, könnte man meinen, aber eine mit viel Ärger im Hintergrund. So etwa fehlte es an Stacheldraht – nur Rumänien hatte welchen anzubieten, doch nur gegen Devisen!
Der Mauerbau vom 13. August 1961 wurde zum politischen Signal an den Westen. Eine Machtdemonstration – und zugleich der effektive Versuch, den nicht aufhörenden Flüchtlingsstrom aus dem Osten in den Westen zu stoppen. 45 Kilometer Mauer allein in Berlin schotteten die DDR-Bevölkerung fortan von West-Berlin ab – und machten die DDR zu einer Art »geschlossenem Handelsstaat«, über den der Philosoph Johann Gottlieb Fichte bereits 150 Jahre zuvor nachgedacht hatte. Er wusste, Mauern in der Geschichte spielen immer eine besondere Rolle, wie der Limes, der das Römische Reich gegen die germanischen Horden schützen sollte, oder die chinesische Mauer. Und was ist die zur Festung ausgebaute Außengrenze der EU heute anderes als eine moderne Mauer?
Mauern, so lehrt die Geschichte, können jedoch nur für eine begrenzte Zeit einen Schutzraum bilden, dann brechen sie zusammen – es sei denn, sie werden freiwillig abgebaut. Siehe jene Stadtmauern, die die freien Städte im Mittelalter sichern sollten – aber dann wurden sie alle geöffnet, weil sich die Städte, die sich einst mittels ihrer schützen wollten, sich sonst in ihrer Entwicklung behindert gefühlt hätten. Den richtigen Zeitpunkt einer solchen Öffnung gilt es nicht verpassen. Betrifft das auch die Berliner Mauer? Ja, ein Großteil der Menschen in der DDR bejahte 1961 ihre Notwendigkeit, auch Künstler und Intellektuelle wie Franz Fühmann oder Heiner Müller. Jetzt haben wir Ruhe vor den Einmischungen des Westens, jetzt können wir im Schutze der Mauer ungestört den Sozialismus aufbauen! Das glaubten anfangs nicht wenige. Aber dann wurde auch die andere Sicht auf dieses Bollwerk sichtbar. Heiner Müller hörte etwa von Otto Gotsche, Ulbrichts schriftstellerndem Sekretär: »Jetzt haben wir die Mauer und können jeden, der gegen uns ist, an ihr zerquetschen!« Das Unbehagen wuchs. Man kam sich immer stärker eingemauert vor.
Christa Wolf hat 1963 mit »Der geteilte Himmel« den wohl bis heute gültigen Mauerbau-Roman geschrieben, den Konrad Wolf 1964 verfilmte. Er zeigt die Politik im Kalten Krieg an einem Liebespaar, das am Mauerbau zerbricht. Trennung wurde nun ein Wort, das wie für die Ewigkeit gemacht schien und Angst verbreitete. Was macht diese Mauer mit uns? Sicherte sie einerseits die Existenz des Staates DDR und machte sie andererseits die hinter ihr lebenden Menschen zu unmündigen Insassen eines Gefängnisses statt zu selbstbewussten Bürgern? Diese Fragen brachen sich dann erst im Herbst 1989 ihre Bahn – auf eruptive Weise, als Teil des Staatszerfalls. »Berlin ist die Klinke, mit der die Tür nach dem Osten geöffnet werden kann«, hatte der damalige Regierende Bürgermeister Westberlins Willy Brandt gesagt – und, wie sich im Nachhinein zeigte, Recht behalten.
Die frühen DDR-Dokumentarfilme zur Mauer sind sämtlich von höchst aggressiven hämmernden Geräuschen unterlegt, die man nicht Musik nennen mag. Auch »Menschenhandel, Staatsgrenze Nord« von 1976, ein Schulungsfilm des MfS, bereitet starkes Unbehagen. Sein Thema: Wie arbeiten jene Schleuser, die Fluchtwillige über die Transitstrecke in den Westen bringen – und wie verhindert man das am effektivsten? Menschen kommen hier bloß noch als Funktionselemente vor.
Es bleibt schließlich nur der Blick über die Mauer, in ein fremdes Land. »Ein-Blick« (1987) von Gerd Conradt schaut dann auch einen Tag lang vom Westen aus über die Mauer nach Osten auf ein Wohnhaus im Mauerstreifen. Ein seltsamer Blick, so wie in das Reservat einer zurückgebliebenen Menschenart. Man zeigt sich erstaunt, dass dort offenbar Menschen den gleichen Alltag leben wie im Westteil, vom Wäsche aufhängen bis zum Blumen gießen auf den Balkonen und Fußball spielenden Kindern hinter der Mauer. Dazwischen Grenzsoldaten, die mit Fotoapparat ausgestattet, den Beobachter gleichsam zurückbeobachten. Eine triste Szenerie, geprägt von Uniformen und einem Bauwerk, das trotz weißer Tünche etwas von einer offenen Wunde hatte, die mitten durch Berlin verlief.
Unverkennbar in den 80er Jahren, dass sich in einer von der Mauer abgeschirmten DDR immer mehr Provinzialität breit machte – auch was das von Werbung und Intershops geprägte naive Bild vom Westen betraf. Hätte eine liberalere Reisepraxis der DDR die von einigen klugen Köpfen in Ost wie West längst avisierte Konföderation beider deutscher Staaten geordneter – und für die Menschen in der DDR würdevoller, weil selbstbestimmter – ablaufen lassen? Wäre die Mauer so erst überflüssig geworden und dann von selbst verschwunden, statt sie im nationalen Furor zu schleifen? Es sind hypothetische Fragen an die Geschichte.
Die »Mauer«-DVD enthält auch neuere Filme, wie den Spielfilm »Die besonderen Fähigkeiten des Herrn Mahler« von Paul Philipp von 2017. Das halbstündige Drama handelt von einem vermissten Kind, das für tot erklärt werden soll, tatsächlich aber vom MfS entführt wurde, weil die Eltern illegal die DDR verlassen wollten. Ein graues Köpenick als Tatort, finstere Stasi-Männer, dunkle Wohnungen. Ein Klischeebild, das es sich allzu einfach macht mit der schwierigen Wahrheit.
Dem Rückblick aus dem historischen Abstand heraus wohnen offenbar beide Möglichkeiten inne: geschärfte historische Genauigkeit auf der einen wie sentimentale Kitschproduktion auf der anderen Seite.
»Die Mauer: 8 Filme von 1961 - 2017« (Absolut Medien)
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