Die Thüringer Hintertür
Trotz anderslautendem Bund-Länder-Beschluss könnten Selbsttests Zugang zu Innenräumen gewähren
Wenn Ungeimpfte bald in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens einen negativen Coronatest vorlegen müssen, um bei weiter steigenden Inzidenzen Zugang zu erhalten, dann sollen sie nach dem Willen des Thüringer Gesundheitsministeriums dafür auch Selbsttests verwenden dürfen. Das Ministerium wolle, dass eine entsprechende schon derzeit bestehende Regelung in der Thüringer Corona-Verordnung weiter gelte, sagte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums am Mittwoch in Erfurt unserer Zeitung. Ob sich dieser Wille am Ende durchsetzen werde, sei allerdings offen, räumte sie ein. Die nächste Thüringer Corona-Verordnung wird Ende August in Kraft treten und muss zuvor unter anderem noch im Landtag beraten werden.
Sollte die Regelung tatsächlich so erhalten bleiben, wie sich das Ministerium dies vorstellt, würde das - jedenfalls theoretisch - die ausgeweiteten Testpflichten konterkarieren, die Bund und Länder am Dienstag auf einer weiteren Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen hatten - jedenfalls ein Stück weit. Nach dem entsprechenden Beschluss sollen Ungeimpfte nämlich bei einer Inzidenz von mehr als 35 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen nur dann noch Zugang beispielsweise zu den Innenräumen von Restaurants oder Fitnessstudios erhalten, wenn sie einen aktuellen Coronatest vorlegen können.
Ein Kalkül hinter diesem Beschluss ist: Wenn Menschen für jeden dieser Besuche erst in ein Corona-Testzentrum oder in eine Apotheke gehen müssen, um sich einen negativen Testbescheid zu holen, werden sich mehr der heute noch Ungeimpften doch für eine Covid-19-Impfung entscheiden, um sich den Aufwand zu sparen - und vor allem auch die Kosten, die sie ab Oktober selbst werden tragen müssen. Wie hoch die Kosten für die Durchführung eines Tests für Privatleute dann sein werden, lässt sich derzeit nicht genau sagen. Doch um eine grobe Vorstellung von der Höhe dieser Kosten zu bekommen, hilft es, sich zu vergegenwärtigen, dass der Bund für jeden durchgeführten Schnelltest derzeit 11,50 Euro an jene zahlt, die den Abstrich abnehmen und analysieren. Für Privatleute dürften die Kosten eher über diesem Satz liegen.
Die Thüringer Regelung würde es Ungeimpften - jedenfalls auf dem Papier - gestatten, sich die Fahrt zu einem Testzentrum und die damit verbundenen Kosten zu sparen. Selbsttests sind derzeit zu Preisen von etwa einem Euro pro Stück im Einzelhandel erhältlich. Die Ungeimpften könnten dann mit einem vor Ort und unter Aufsicht durchzuführenden Selbsttest Zugang zu solchen Bereichen bekommen, für die dann die erweiterte Testpflicht gilt.
Allerdings: Es erscheint einigermaßen unwahrscheinlich, dass sich eine nennenswerte Zahl beispielsweise von Restaurants dazu bereit erklären würde, Menschen einzulassen, bei denen sie die Durchführung des Selbsttests beaufsichtigen müssten. Ob beispielsweise ein Unternehmen diese Option anbiete, bleibe ihm selbst überlassen, erklärte die Sprecherin. »Es steht den Einrichtungen, Veranstaltern oder Betrieben, bei denen der Zutritt mit einem Testerfordernis verbunden ist, weiterhin frei, überwachte Antigentests zur Eigenanwendung auf eigene Kosten oder auf Kosten der Kunden anzubieten oder gar nicht vorzuhalten.«
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