Anna und Annalena

Berlin im Blick: Eine 25-jährige Grüne auf dem Sprung in den Bundestag

  • Andreas Fritsche, Teltow
  • Lesedauer: 4 Min.
Emmendörffer setzte sich bei ihrer Nominierung gegen drei Mitbewerberinnen durch.

Foto: nd/Andreas Fritsche
Emmendörffer setzte sich bei ihrer Nominierung gegen drei Mitbewerberinnen durch. Foto: nd/Andreas Fritsche

Es ist Montagfrüh, 7.15 Uhr, und am S-Bahnhof Teltow (Potsdam-Mittelmark) trottet der eine oder andere Pendler noch recht müde zum Zug oder zu einer von vier Bushaltestellen hier. Aber Bundestagskandidatin Anna Emmendörffer (Grüne) ist eine aufgeweckte Person. Sie läuft hurtig zwischen den Haltestellen hin und her und spricht die Leute an. So fragt sie einen jungen Mann: »Möchtest du einen Flyer von den Grünen zur Bundestagswahl haben?« Der antwortet: »Gerne!« Einen Aufkleber will er auch noch. »Cool«, meint Emmendörffer.

Besonders bei Jugendlichen gehen die Aufkleber weg wie warme Semmeln. Emmendörffer ist selbst noch ziemlich jung, erst 25 Jahre alt, und kandidiert doch schon für den Bundestag. Ihre Chancen, am 26. September ins Parlament einzuziehen, stehen ziemlich gut. Denn sie nimmt auf der Landesliste der Grünen in Brandenburg den Platz drei hinter Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ein.

»Ich bin keine Mandatsrechnerin«, lächelt Emmendörffer. »Aber mir wurde gesagt, bei etwa 18 Prozent im Bund und einem zweistelligen Ergebnis in Brandenburg klappt es mit einem Mandat im Bundestag.«

Es sieht gut aus im Moment. Wenn es tatsächlich klappt, würde sie ihr Masterstudium »Urbane Zukunft« – bei dem sie jetzt ins dritte von vier Semestern käme – unterbrechen und sich voll auf ihre Abgeordnetentätigkeit konzentrieren. Im niedersächsischen Lüneburg hat sie einen Bachelorabschluss in Nachhaltigkeitswissenschaften erworben. Den Master macht sie an der Fachhochschule Potsdam. Die knapp 30 000 Einwohner zählende Stadt Teltow vor den Toren Berlins ist ihre Heimat geworden. Mit ihrer Familie aus Schwerin hergezogen ist Emmendörffer, als sie die vierte Klasse besuchte. Zur Welt kam sie in Moers bei Duisburg.

In Teltow sitzt die 25-Jährige im Stadtparlament. Sie ist Co-Vorsitzende einer linksgrünen Fraktion, gebildet aus fünf Stadtverordneten der Grünen und drei der Linkspartei. »Inhaltlich passt das super, menschlich verstehen wir uns hervorragend«, sagt die Fraktionschefin über diesen nicht ganz alltäglichen Zusammenschluss. Wäre so etwas auch auf Bundesebene vorstellbar? »Es ist kein Geheimnis, dass wir als Grüne Jugend für progressive Mehrheiten kämpfen«, erklärt Emmendörffer, die der Ökopartei im April 2018 beitrat. Insbesondere die Parteijugend hatte nach der Landtagswahl 2019 beklagt, dass in Brandenburg keine rot-rot-grüne Koalition zustande kam. Stattdessen entschied sich Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), eine Regierung mit CDU und Grünen zu bilden, weil diese Konstellation über etwas mehr Sitze im Landtag verfügt.

Klimagerechtigkeit ist Anna Emmendörffer wichtig, flächenschonendes Bauen, eine ökologische Verkehrspolitik, der Schutz der Alleen und der Stadtnatur – so, wie der Wähler das von einer Grünen-Politikerin erwarten darf, zumal einer, die Nachhaltigkeitswissenschaften studiert hat. Aber auch an sozialer Gerechtigkeit ist ihr gelegen. Sie ärgert sich, dass im Stadtparlament von Teltow ausgerechnet an der SPD ein Antrag der linksgrünen Fraktion scheiterte, bei Neubauten 50 Prozent für bezahlbare Wohnungen zu reservieren. Nicht einmal einer Quote von 25 Prozent habe die SPD zugestimmt, bedauert die Kommunalpolitikerin.

»An tatsächliche Gleichberechtigung glaube ich erst«, sagt sie, »wenn alle Gremien in Wirtschaft und Politik paritätisch besetzt sind.« Ihr schwebt außerdem eine solidarische Asyl- und Migrationspolitik vor. »Die zivile Seenotrettung muss legalisiert und darf nicht weiter strafrechtlich verfolgt werden«, findet sie – und trägt auch einen Pullover mit dem Logo der Hilfsorganisation Seawatch. Dann wünscht sich Emmendörffer noch »weitreichende politische Mitwirkungsmöglichkeiten«, die für eine »transparente und vielfältige Demokratie zentral« seien. Hier liegt der jungen Frau die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen besonders am Herzen.

Da sie nur auf der Liste und nicht im Wahlkreis antritt – die Stadt Teltow gehört zum Wahlkreis von Kanzlerkandidatin Baerbock – reist Emmendörffer in ganz Brandenburg umher und ist oft genau da zur Stelle, wo mit Schülern diskutiert wird. Nicht mehr überzeugen muss sie einen Schüler, der unterwegs zum Unterricht am Bahnhof auftaucht. Wenn er nicht in fünf Minuten im Klassenraum sitzen müsste, würde er helfen, Flyer zu verteilen. Er ist einer der Sprecher der Grünen Jugend im Landkreis Potsdam-Mittelmark.

Hilfe bekommt Anna Emmendörffer aber vom Stadtverordneten Vincent Suchardt (Grüne). Der 23-Jährige kann bis 8 Uhr Flyer verteilen. Dann muss er zur Arbeit und springt gleich in die S-Bahn nach Berlin. Emmendörffer kommt mit, weil sie einen Termin in der Hauptstadt hat. Vorher versucht sie noch, einen Flyer beim Teltower CDU-Fraktionschef Ronny Bereczki anzubringen, der ebenfalls zur S-Bahn eilt. Der nimmt es mit Humor, winkt ab und wünscht eilig weiterlaufend: »Euch noch viel Spaß.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!