- Berlin
- Kleiner Parteitag Berliner Linke
Linke in Kampfstimmung
Parteichefin attackiert SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey als rückwärtsgewandt
Die Bilder aus der afghanischen Hauptstadt Kabul wirken auch in Berlin. »Eine solche humanitäre Katastrophe macht fassungslos«, versucht Katina Schubert, Landesvorsitzende der Linken, am Dienstagabend ihren Blick auf die Lage in Afghanistan in Worte zu fassen.
Der Kleine Parteitag der Berliner Linkspartei wenige Wochen vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus im Gebäude der Karlshorster Trabrennbahn steht unter dem Eindruck flüchtlingspolitischer Fragen, vor allem aber schwört sich die Hauptstadt-Linke hier noch einmal auf ihren Wahlkampf ein und versucht, deutliche Akzente zu setzen. Gerade gegenüber den Koalitionspartnern nimmt man kein Blatt vor den Mund. Katina Schuberts Empörung angesichts der Äußerungen der Spitzenkandidatin der SPD, Franziska Giffey, dass 30 Prozent Sozialwohnungsanteil im Neubau ein »Zuviel an sozialen Problemen« bringe, ist groß: »Wo sollen die Alleinerziehenden, Geringverdienenden und anderen denn hin? Da fehlt doch nur noch ein ›Eure Armut kotzt uns an‹«, attackiert Schubert die SPD-Aspirantin auf das Amt der Bürgermeisterin.
Giffey setze in ihrem bisherigen Wahlkampf auf »allgemeines Blabla«, meinte Schubert. Und sie liebäugele mit der CDU und der FDP und distanziere sich von der aktuellen Regierungskoalition aus SPD, Linken und Grünen. Das spreche für einen rückwärtsgewandten Politikansatz: »Frau Giffey will offensichtlich zurück zum großkoalitionären Filz. Sie verspricht viel und versucht, sich überall Liebkind zu machen«, habe aber keinen Plan, wie das umgesetzt werden soll. »Sie hat keine Vorstellung, wie sie diese Stadt gestalten will.«
Demgegenüber erklären die Redner*innen der Linkspartei an diesem Abend ihre Pläne und Vorhaben, die vor allem eines zum Ziel haben: Berlin zu einem »Zuhause für alle, die hier leben, zu machen«, wie Spitzenkandidat Klaus Lederer betont.
Um das zu erreichen, benennen die Sozialist*innen in einem »Sofortprogramm« elf Schritte, die sie in einem neuen Senat unter ihrer Beteiligung als vordringlich ansehen. Einen Schwerpunkt bildet die Wohnungspolitik. Hier will sich Die Linke für einen bundesweiten Mietendeckel einsetzen, der Ländern wie Berlin mit angespannten Wohnungsmärkten die Regulierung der Mietpreise ermöglicht. Außerdem kündigt die Partei mehr Wohnungsbau und ein »Vergesellschaftungsgesetz« nach einem möglichen Erfolg des Volksentscheides zur Enteignung großer Wohnungsunternehmen an – mit einer Entschädigung der Unternehmen sehr deutlich unterhalb des Marktwertes der Wohnungen. »Man muss sich mit den Mächtigen anlegen«, erklärt Bausenator Sebastian Scheel. CDU und SPD seien »im Schlafwagenzug« an den Problemen der Stadt »vorbeigefahren«.
Wie dies aussehen kann, hat die Wohnungs- und Baupolitik zunächst unter Katrin Lompscher und nach ihrem Rücktritt unter Scheel gezeigt: 70 Milieuschutzgebiete wurden im Stadtgebiet in der Legislatur erreicht und so der Zugriff von Investoren auf Immobilien zum Ziel der Umwandlung in Eigentum stark eingeschränkt. Im August nutzte der Senat die Chance einer Bundesrechtsnovelle, um die Regelung noch einmal deutlich zu verschärfen.
Weiterhin sei es mit dem Zweckentfremdungsverbot gelungen, Vermietungsplattformen wie Airbnb, die den Druck auf dem Wohnungsmarkt erheblich erhöhen, einen Riegel vorzuschieben, sagt Scheel und zeigt sich vor all dem ungewohnt kämpferisch: Die Linke sei eine streitbare Partei, aber es lohne sich, für diese Partei zu streiten. Denn: »Wir streiten dafür, Menschen ein sicheres Zuhause zu geben.« An diese Punkte knüpft sich das Ziel an, die massive Wohnungslosigkeit in der Hauptstadt, von der Zehntausende betroffen sind, weiter abzubauen, so dass sie bis 2030 überwunden werden kann. Vor allem Sozialsenatorin Elke Breitenbach peilt diese Marke gemäß der im November 2020 verabschiedeten EU-Vorgabe an.
Vorgenommen hat sich Die Linke in dem »Sofortprogramm« darüber hinaus unter anderem eine Ausbildungsoffensive für mehr Lehrkräfte und bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte in der Pflege. Sie will ein Neustartprogramm für die besonders von Corona gebeutelte Kulturbranche und niedrigere Ticketpreise im öffentlichen Personennahverkehr.
Die Richtung der rot-rot-grünen Koalition stimme, erklärt Lederer. Die Schlagworte des 2016 abgeschlossenen Koalitionsvertrags – »solidarisch, nachhaltig, weltoffen« – würden nach wie vor gelten. Berlin brauche keine radikalen Veränderungen per »Neuanfang«, wie ihn CDU und SPD proklamieren. Aber: »Berlin muss funktionieren«, so der Spitzenkandidat.
Zumal die meisten radikalen Veränderungen der letzten Jahre bei den Menschen eher Angst ausgelöst hätten, so Fraktionschefin Anne Helm. Man setze daher auf einen »radikalen Realismus« mit Investitionen, mehr sozialem Zusammenhalt, stärkeren Bürgerrechten und einer gut durchdachten Umverteilung.
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