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Rotkäppchen und der Wolf
Wahlkreis 65: Unter den Kandidaten ist Yvonne Mahlo (Linke) die einzige Frau
Ist meine Arbeit als Ostdeutscher weniger wert? Das ist eine der Fragen, die Brandenburgs Linke im Bundestagswahlkampf bei ihrer Gerechtigkeitstour aufwirft. Auf Hinweistafeln wird jeweils kurz und knapp das Problem bei den einzelnen Fragen aufgeworfen und ein Lösungsvorschlag unterbreitet. Gerade stehen die Tafeln auf dem Markt von Finsterwalde (Elbe-Elster). Kleine Tische und Hocker sind aufgestellt. Zwei ältere Damen bleiben stehen. Sie wünschen sich, dass Beamte und Politiker künftig in die Rentenkasse einzahlen. »Wir wollen sogar noch mehr: eine Krankenversicherung für alle«, erläutert der Landtagsabgeordnete Thomas Domres (Linke). »Haben wir im Bundestag beantragt. Ist abgelehnt worden.« Für ihn ist das ein Argument, am 26. September die Linke anzukreuzen. Es brauche eine starke Fraktion im Parlament.
Auf seinem Fahrrad rollt ein alter Mann herbei. »Das Krankenhaus in Finsterwalde wird platt gemacht, und ihr tut nichts«, wirft er den Genossen vor. Die hiesige Bundestagskandidatin Yvonne Mahlo (Linke) legt ihm erst einmal Informationsmaterial in den Gepäckträger. Zur Sache spricht der Stadtverordnete Marco Müller mit dem Mann. »Da wird weiter Druck gemacht, versprechen wir Ihnen«, sagt er. Nach einer Weile verabschieden sich die Senioren: »Wir drücken Ihnen die Daumen. Wir wählen Sie jedenfalls.«
Aber für Yvonne Mahlo wird das nicht reichen. Sie steht auf dem aussichtslosen vorletzten Listenplatz und wird ihren Wahlkreis 65 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht gewinnen – nicht gegen die CDU und die AfD. Das weiß sie auch. »Aber ich versuche es trotzdem«, lacht sie unbekümmert. Ihr ging es nicht darum, irgendwelche Posten zu ergattern oder sogar in den Bundestag einzuziehen, als sie 2018 in die Linke eintrat. Erst wurde 2019 eine Schatzmeisterin für den Kreisvorstand gebraucht und dann eine Kandidatin für den Bundestag. Sie sei gefragt worden und habe es gemacht, erzählt sie. Dabei hat sie »Respekt« vor der Aufgabe, gesteht Mahlo.
Sie habe wie andere Bürger auch viel gemeckert, sagt sie. »Dann wollte ich nicht mehr nur meckern, sondern etwas ändern.« Das war der Beweggrund, sich politisch zu engagieren. »In die Linke bin ich eingetreten, weil das für mich die Partei ist, für die der Mensch im Vordergrund steht.«
Weil Mahlo »nicht immer nur Zahlen sehen wollte, sondern in Gesichter schauen«, weil sie etwas Soziales machen wollte, ist sie vor einem Jahr aus der Finanzbuchhaltung eines Unternehmens zum Deutschen Roten Kreuz (DRK) gewechselt. Sie arbeitet nun in der Verwaltung der vom DRK betriebenen Erstaufnahme für Flüchtlinge in Doberlug-Kirchhain. Seit Freitag kommen dort evakuierte Ortskräfte mit Angehörigen aus Afghanistan an, bevor sie auf die Bundesländer verteilt werden. Mitten in der Nacht sind die Ersten mit dem Bus eingetroffen, am Sonntag kamen weitere.
Die 40-jährige Mahlo hat gesehen und teils am eigenen Leibe erfahren, was es bedeutet, im Landkreis Elbe-Elster zu leben, in dem sich viele abgehängt fühlen, aus dem nach der Wende viele in den Westen gegangen sind, nicht zuletzt junge Frauen wie sie selbst. Mahlo stammt aus Doberlug-Kirchhain. Da lebt sie heute auch schon lange wieder. Aber nach dem Abitur zog sie 1999 nach Niederbayern, wo sie nach ihrer Ausbildung zur Industriekauffrau noch zwei weitere Jahre verbrachte. Von 70 ihrer Schulkameraden seien nur zehn geblieben und Mahlo hatte ursprünglich nicht vor, zurückzukehren. Doch als sie schwanger wurde, beschloss sie, ihre Tochter – inzwischen 17 Jahre alt – sollte in der Heimat geboren werden und im Kreise der Familie aufwachsen.
Die Unzufriedenheit mit der gesundheitlichen Versorgung kann sie nachvollziehen. Sie selbst muss als Asthmatikerin zu Behandlungen nach Berlin oder Dresden. Dass Vereine zusammenbrechen, weil es an Nachwuchs fehlt, ist ihr auch nicht fremd. Sie ist Vorsitzende des Fußballvereins FSV Doberlug-Kirchhain. Ein Frauenteam wie früher gibt es nicht mehr. Die letzten Spielerinnen sind in eine anderen Stadt gewechselt.
Als Frau an der Spitze eines Männersportvereins kommt sie damit klar, im Bundestagswahlkreis 65 die einzige Kandidatin zu sein. Zwar hatten die Grünen ursprünglich auch eine Frau aufgestellt. Aber die verzichtete, und es wurde ein Mann nachnominiert.
Bei einer Diskussionsrunde in der Slawenburg Raddusch trifft Yvonne Mahlo demnächst erstmals auf den AfD-Kandidaten Silvio Wolf, einen Busfahrer, der mit dem sogenannten Volksexpress durch die Gegend kurvt. Auf seinen Plakaten steht: »Der Wolf kommt!« Mahlo hat sich überlegt, zu diesem Termin rote Sachen anzuziehen und vielleicht einen der roten Hüte der Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg (Linke) auszuborgen. »Rotkäppchen und der Wolf«, schmunzelt sie. Domscheit-Berg selbst verrät, sie habe in ihrem Heimatort Fürstenberg/Havel den Spitznamen Rotkäppchen. Im Märchen besiegt das tapfere Rotkäppchen den bösen Wolf bekanntlich mit Steinen, die ihm schwer im Magen liegen.
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