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Verängstigt und vergessen
Pflegende Angehörige und zu Hause gepflegte Menschen sind laut einer Studie durch die Pandemie besonders belastet
Im Lockdown litten zwei Drittel der zu Hause Gepflegten unter Angst und Isolation, fast ein Drittel von ihnen hat das Haus oder die Wohnung nicht mehr verlassen. Von den pflegenden Angehörigen empfanden 84 Prozent die Pandemie als belastend. Das sind die Ergebnisse einer Studie der Hochschule Osnabrück, die der Sozialverband VdK in Auftrag gegeben und am Montag auf einer Pressekonferenz vorgestellt hat.
Mehr als zwei Drittel der 16.000 Befragten gaben an, sehr unter der psychischen Belastung in dieser Zeit gelitten zu haben. Gleichzeitig waren für viele dringend benötigte Entlastungsangebote weggefallen. 81 Prozent der Pflegebedürftigen und 87 Prozent der pflegenden Angehörigen mieden den Kontakt zu Dritten.
Obwohl rund 80 Prozent der Pflegebedürftigen zu Hause versorgt werden, habe die Politik laut dem Sozialverband VdK für diese circa drei Millionen Betroffenen nichts getan. »Für die Pflegeheime legte die Große Koalition millionenschwere Rettungsschirme auf, für die Pflegekräfte gab es immerhin Applaus und Boni«, sagte die VdK-Präsidentin Verena Bentele auf der Pressekonferenz. »Nur für die pflegenden Angehörigen zu Hause gab es mal wieder nix. Damit bestätigte die Politik erneut: Die Pflegenden und Gepflegten zu Hause sind nicht nur die Vergessenen der Pandemie, ihre Belange werden dauerhaft sträflich vernachlässigt.«
Viele Menschen wünschen sich, im Alter zu Hause im gewohnten Umfeld und nicht im Heim gepflegt zu werden. Und auch laut dem elften Sozialgesetzbuch hat die ambulante Pflege gegenüber der stationären Vorrang. »Das spiegelt sich in der Gesetzgebung aber nie wider«, kritisierte Bentele. Beispielsweise in der letzten Pflegereform, die von Sozialminister Hubertus Heil (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf den Weg gebracht und verabschiedet wurde. »Auch da wurde wieder einmal, das muss man leider sagen, die Pflege zu Hause völlig vernachlässigt und sträflich vergessen.«
Die Erhöhung aller Pflegeleistungen im Umfang von 1,8 Milliarden Euro war bereits angekündigt, wurde aber bei der Pflegereform im Juli nicht umgesetzt. Eigentlich sollte damit der Wertverlust der vergangenen Jahre für alle Pflegeleistungen ausgeglichen werden. Mit dem vorenthaltenden Geld würden die Verbesserungen im stationären Bereich finanziert, kritisiert der VdK. »Deswegen werden wir jetzt die unter anderem einkassierte Erhöhung des Pflegegeldes einklagen – notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht«, kündigte Bentele als Konsequenz auf die »politische Ignoranz« an.
Die Pflege zu Hause müsse laut VdK professionalisiert werden, schließlich würden in stationären Einrichtungen Plätze fehlen, um dort alle Pflegebedürftigen unterzubringen. Demnach gebe es oft auch keine andere Möglichkeit, als die Pflege zu Hause. Dazu komme noch der stetig wachsende Mangel an Pflegefachkräften.
In Studien zeigt sich immer wieder, dass pflegende Angehörige körperlich und psychisch stark belastet sind, oft leiden sie zudem unter einer prekären finanziellen Situation. Der VdK fordert die Einführung einer Pflegepersonenzeit. Mit dieser sollen Pflegende einen Rechtsanspruch auf eine teilweise oder vollständige Freistellung von ihrer Arbeit haben. Zudem sollen sie analog zum Elterngeld eine Art Lohnersatzleistung, ein Pflegepersonengeld, erhalten. Auch rentenrechtlich brauche es eine bessere Anerkennung für diejenigen, die Menschen zu Hause pflegen. »Die Menschen, die zu Hause pflegen oder gepflegt werden, haben keine Gewerkschaft«, erklärte Bentele. Die Menschen, die zu Hause pflegen, streiken nicht. »Genau deshalb ist eine rentenrechtliche Anerkennung so extrem wichtig.« Nur so könne verhindert werden, dass sie, wenn sie für die Pflege ihrer Angehörigen ihre reguläre Arbeitszeit reduzieren oder gar aus dem Job aussteigen, später nicht noch mehr von Altersarmut betroffen sind.
Obwohl so viele Menschen zu Hause gepflegt werden oder zu Hause pflegen, spiele das Thema im Bundestagswahlkampf keine Rolle. »Das ist schon echt verwunderlich«, resümierte Bentele am Montag. Dass diese Gruppe in den letzten Jahren so wenig gesehen wurde, habe viel damit zu tun, dass sie den Job zu Hause im Stillen machen und im Gegensatz zu Pflegekräften aus großen Einrichtungen nicht auf die Straße gehen. In dem nächsten Koalitionsvertrag müsse sich die Pflege zu Hause als eines der wichtigsten politischen Themen wiederfinden. Sollte es keine angemessenen Verbesserungen geben, »werden wir auf jeden Fall auf die Barrikaden gehen«, so Bentele.
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