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Je reicher, desto erfolgreicher
Das meiste Edelmetall geht bei den Paralympics an Athleten aus postindustriellen Wohlstandsgesellschaften
Abgesehen von den Kontroversen rund um Corona gibt es dieser Tage viel zu feiern in Tokio. Nach den Olympischen Spielen, die wegen der Austragung bei grassierender Pandemie höchst unbeliebt waren, stehen der japanischen Hauptstadt nun die Paralympics ins Haus. Gesundheitspolitisch gelten hier dieselben Vorbehalte. Auf gesellschaftspolitischer Ebene aber ist das Internationale Paralympische Komitee zufrieden mit sich: Der Behindertensport breite sich immer weiter aus in der Welt, so das IPC.
Sofern positive Coronatests bei der Einreise nach Japan es nicht verhindern, sollen insgesamt etwa 4400 Athletinnen und Athletinnen an den Spielen teilnehmen. Trotz der widrigen Umstände wären das in etwa 200 mehr als 2016 in Rio, wo der letzte Höchstwert erreicht wurde. 161 Länder schicken Sportler nach Tokio, was zwar etwas unter der bisherigen Bestmarke von 164 in London 2012 liegt. Doch das liegt an Corona: Sportler aus 168 Ländern hatten sich qualifiziert, es hätte ein neuer Bestwert werden können. Wegen Quarantäneregeln bei der Durchreise gen Tokio haben einige Länder ihre Teilnahme wieder abgesagt.
Alles in allem kann »Tokyo 2020«, wie sich auch die Paralympics nach der einjährigen pandemiebedingten Verschiebung weiterhin nennen, als eine weitere Rekordausgabe der größten Behindertensportveranstaltung der Welt gelten. Allerdings zeigen schon die coronabedingten Absagen, dass die Paralympics trotzdem nicht wirklich weltumspannend sind. »Es sind vor allem kleinere Länder aus Ozeanien, die abgesagt haben«, erklärt Craig Spence, Sprecher des IPC, auf nd-Anfrage. »Für die Reise nach Japan hätten sie über Australien fliegen müssen, wo sie auf dem Hin- und Rückweg jeweils eine zweiwöchige Quarantäne erwartet hätte. Das konnten sich die Länder wie Vanuatu oder Fidschi mit ihren kleinen Delegationen leider nicht leisten.«
Hinzu kommt, dass sieben Mitgliedsländer von den Paralympischen Spielen zu Tokio ausgeschlossen worden sind, insbesondere weil sie ihre Mitgliedsbeiträge nicht bezahlt haben. Einen Grund dafür sieht man beim IPC darin, dass diese Länder in letzter Zeit ohnehin keine Sportler zu den Wettkämpfen geschickt hatten. Durch diverse Umstände sind laut Internationalem Paralympischen Komitee insgesamt 25 Länder, die eigentlich eigene Nationale Paralympische Komitees haben, 2021 in Tokio nicht vertreten. »Es ist richtig, dass dies vor allem ärmere Länder betrifft«, sagt Spence.
Nicht nur die Struktur der Teilnehmerländer offenbart ein Gefälle zwischen Arm und Reich, das noch viel stärker ist als bei den Olympischen Spielen. Auch die Erfolge in den Wettbewerben dokumentieren dies. Bis auf China, das schon durch seine große Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen einen Vorteil hat, sind die zehn stärksten Nationen im historischen Medaillenranking ausschließlich postindustrielle Wohlstandsgesellschaften. Diese schicken auch die größten Delegationen zu den Paralympics. Gemessen am jeweiligen Lebensstandard schneiden zudem postsozialistische Staaten wie Polen, die Ukraine oder Usbekistan gut ab. Aber sie kommen nicht annähernd an die Erfolge reicher Länder heran.
Der wichtigste Grund dafür ist offensichtlich: Je ärmer ein Land ist, desto größer ist der Luxus, als Person mit einer Behinderung Sport zu treiben. Ein Sportrollstuhl kostet mehrere Tausend Euro, auch Sportprothesen sind in vielen Ländern unbezahlbar. Ian Brittain, Professor an der Coventry Business School und Experte für paralympischen Sport, sieht den Erfolg von Ländern bei Paralympischen Spielen als klaren Indikator dafür, wie stark eine Gesellschaft Menschen mit Behinderungen ins Alltagsleben integriert hat. Dabei fehle es oft nicht am guten Willen, sondern schlicht am Geld.
Beim IPC hat man dieses Problem erkannt. Eine Woche vor der Eröffnungszeremonie an diesem Dienstag hat es die Kampagne »WeThe15« gestartet, mit dem armen Ländern dabei geholfen werden soll, Strukturen für Behindertenbreitensport zu etablieren und zu stärken. Neben dem Internationalen Paralympischen Komitee beteiligen sich die Vereinten Nationen, die NGO International Disability Alliance und mehr als zehn weitere Organisationen am Vorhaben. Der Name soll auf die 15 Prozent der Weltbevölkerung hindeuten, die mit einer Behinderung leben: rund 1,2 Milliarden Menschen. Für sie will die Kampagne unter anderem mit nationalen Regierungen verhandeln, um Sportausrüstung leichter verfügbar zu machen.
Wie wirksam das Ganze am Ende sein wird, hängt aber nicht nur vom Geld ab. In vielen Ländern, wo neben dem Wohlstand auch das Bildungsniveau geringer ist, werden Menschen mit einer Behinderung auch sozial stärker ausgegrenzt. Dies wiederum soll sich auch durch die Paralympics selbst ändern, die sich selbst schließlich als riesige PR-Aktion für alle Menschen mit Behinderung sehen. Die Organisatoren von »Tokyo 2020« rechnen mit einem erneuten Rekord bei den globalen Einschaltquoten - 4,25 Milliarden Zuschauer weltweit werden erwartet.
»Die Spiele werden in 150 bis 160 Ländern gesendet. Zum ersten Mal wird auch in 40 Ländern in Subsahara-Afrika übertragen«, so Craig Spence. Damit werde eine neue Generation zum Sporttreiben inspiriert. Denn dies sei das wichtigste Vermächtnis paralympischer Spiele: »Viele Zuschauer mit einer Behinderung sehen im Fernseher zum ersten Mal Personen, die so sind wie sie selbst. Nur dass sie eben Sport treiben. Solche Anekdoten höre ich immer wieder.« Zum Erfolg der Paralympics könnte paradoxerweise auch die Pandemie verhelfen: Indem vielerorts auf der Welt das Alltagsleben stark eingeschränkt ist, sitzen oft mehr Menschen vorm Fernseher. Allerdings werden sie auch diesmal vor allem Medaillengewinner aus reichen Ländern sehen.
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