»Ich hab’s getan« – oder auch nicht

Sachsen ist bundesweites Schlusslicht beim Impfen gegen Corona

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

Wer an diesem Donnerstag im Globus-Baumarkt Dresden Bretter kauft oder im Bautzner Kornmarkt-Center durch die Boutiquen schlendert, kann sich gleich noch gegen Corona impfen lassen. Mobile Impfteams des Deutschen Roten Kreuzes halten dort ebenso wie bei der Tafel in Torgau. Auch die nächsten Tage bieten viele Gelegenheiten, sich spontan zur Impfung zu entschließen, zum Beispiel beim Altstadtfest Leisnig, dem Feuerwehrfest Oybin oder dem Spiel des VfB Auerbach in der Regionalliga Nordost.

Es wäre zu hoffen, dass die Angebote auf rege Nachfrage stoßen, den bisher hinkt der Freistaat beim Impfen bundesweit hinterher, obwohl die vierte Welle an Fahrt aufnimmt und die Infektionen begünstigende feuchtkühle Jahreszeit bevorsteht. Vorige Woche überwand Sachsen als letztes Bundesland die Hürde von 50 Prozent vollständig Geimpfter. Bis Dienstag waren dann exakt 2 061 719 Menschen im Freistaat vollständig geimpft, das sind 50,6 Prozent der Bevölkerung. In Bremen sind es bereits 69,1 Prozent. Die Bundesländer Thüringen und Brandenburg auf den dritt- und vorletzten Plätzen bringen es auf 54,4 beziehungsweise 53,9 Prozent.

Die im Bundesvergleich eher ernüchternden Zahlen verstärken ein Bild von Sachsen als Kernland der Querdenker, das bereits durch andere Faktoren befördert wurde. So fanden in Leipzig und Dresden bundesweite Demonstrationen der Coronaleugner statt, die viel Zulauf verzeichneten und teils eskalierten; auch in vielen kleineren Städten wie Zwönitz oder entlang der Bundesstraße B 96 in Ostsachsen gibt es immer wieder Proteste. Als im Winter die Inzidenzwerte in Regionen wie Erzgebirge, Vogtland oder Bautzen und Görlitz in die Höhe schossen und teils bundesweite Höchststände erreichten, wurde diskutiert, ob das in einer besonders verbreiteten Ablehnung von Schutzmaßnahmen wie dem Tragen von Masken begründet sein könnte. Marco Wanderwitz, sächsischer CDU-Bundestagsabgeordneter und Ostbeauftragter der Bundesregierung, sprach im Dezember von einer teils sorglosen, teils aber auch »renitenten« Bevölkerung.

Wissenschaftler bestätigen das in Teilen. Eine Studie des Mercator Forums Migration und Demokratie (Midem) an der TU Dresden, die im Juni vorgelegt wurde und der eine repräsentative Befragung zugrunde liegt, kam einerseits zum Schluss, dass die Impfbereitschaft in Sachsen »insgesamt auf einem hohen Niveau« liege; drei Viertel der Befragten seien geimpft oder stünden dem aufgeschlossen gegenüber. Das Bild vom Kernland der Querdenker sei »zurückzuweisen«, betonten die Autoren um den Politikwissenschaftler Hans Vorländer: Die Einstellung in Sachsen unterscheide sich »insgesamt nicht grundlegend« von der in der Bundesrepublik insgesamt.

Gleichzeitig betonte die Studie aber, dass das Lager der Coronakritiker in Sachsen »stark ausgeprägt« sei und auch die Zahl der Impfskeptiker mit 21 Prozent über dem bundesweiten Durchschnitt liege. Zwölf Prozent gaben an, sich auf keinen Fall impfen lassen zu wollen; bundesweit liegt der Wert bei fünf Prozent. In der Gruppe der Impfskeptiker finden sich mehr Frauen als Männer, überdurchschnittlich viele jüngere Menschen, viele mit geringeren Einkommen, niedrigeren Schulabschlüssen und in prekärer Beschäftigung oder ohne Arbeit. Viele verorten sich politisch rechts der Mitte und sympathisieren mit der AfD.

Die Studie zeigt auch, dass es auffällige regionale Unterschiede gibt. In allen Bereichen von Coronaskepsis und -renitenz verzeichne man besonders hohe Werte in den Landkreisen Bautzen und Görlitz sowie Erzgebirge. Erklärungen liefern die Wissenschaftler dafür freilich nicht. Teils schlägt sich das auch in regionalen Impfquoten nieder, die das Sozialministerium ausweist. So liegt der Anteil vollständig Geimpfter im Erzgebirge gerade mal bei 38,7 Prozent und in Bautzen bei 39,4 Prozent. Allerdings sind die Quoten nur bedingt aussagekräftig, weil sie auch jene erfassen, die von außerhalb zum Impfen gekommen sind. Das Impfzentrum in Löbau im Landkreis Görlitz (Quote: 56,1 Prozent) war in Zeiten knapper Impfdosen beliebt bei Dresdnern, die in der Stadt keine Termine bekamen. Eine »valide Aussage über die Durchimpfung der Bevölkerung in einem bestimmten Landkreis«, betont das Ministerium, ist »nicht möglich«.

Derzeit gibt es viele Bemühungen, bisher skeptische Sachsen noch zum Impfen zu bewegen. Beim DRK können Geimpfte an einem Gutscheinprogramm teilnehmen. Kommunen wie Aue-Bad Schlema locken mit Bratwürsten, anderswo gibt es Einkaufsgutscheine. Susanne Schaper, Gesundheitsexpertin der Linken im Landtag, hält Anreize wie eine kostenlose Anreise gerade außerhalb der Städte für wichtig; die Impfung müsse »niedrigschwellig dort möglich sein, wo es gerade in den Alltag der Menschen passt«. Dass die 13 regionalen Impfzentren im September allesamt geschlossen werden sollen, hält sie für einen Fehler; einige davon sollten geöffnet bleiben, um Angebote für jene zu schaffen, die »nicht erst googeln wollen, wo heute gerade das Impfmobil steht«.

Zudem befürwortet Schaper die verstärkte Information über die Notwendigkeit von Impfungen – von »unpolitischer« Seite wie Universitäten oder Stiftungen, betont sie: »Wir müssen wegkommen von der Politisierung des Impfens.« Das Sozialministerium versucht derweil, Bürger durch das gute Beispiel anderer zu überzeugen: Es hat in den sozialen Netzwerken eine Kampagne gestartet, in der Geimpfte in kurzen Videostatements erklären, warum sie sich haben immunisieren lassen. Titel der Kampagne: »Ich hab’s getan«. Noch immer fast die Hälfte der Sachsen erwidert bisher freilich: »Ich nicht.«

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