Der Premier, der nur noch verliert

Regierungschef Yoshihide Suga ist so unbeliebt wie noch nie

  • Felix Lill, Tokio
  • Lesedauer: 5 Min.

Als Anfang August die Olympischen Spiele in Japans Hauptstadt endeten, hatte die Gastgebernation einen historischen Rekord errungen. Mit 27 Goldmedaillen und Platz drei im Medaillenspiegel hatte das Land so gut abgeschnitten wie noch nie zuvor bei der größten Sportveranstaltung der Welt. Und dank aufwendiger Sportförderprogramme sowie dem Heimvorteil rechnen Experten auch für die am Dienstag eröffneten Paralympischen Spiele von Tokio mit einem japanischen Medaillenrekord. Vermutlich wird dann, wie schon bei den Olympischen Spielen, über die Fernsehsender auch wieder reichlich Patriotismus versprüht.

Es sind eigentlich Umstände, die sich jedes Regierungsoberhaupt wünschen würde. Während der Sportfestivitäten können sie sich mit erfolgreichen Athleten zeigen und schöne Floskeln von Völkerverständigung, Gesundheit und Nachhaltigkeit betonen. Aber Yoshihide Suga, der Premierminister von Japan, kann diesen auf eine Weise einzigartigen japanischen Sportsommer kaum genießen. Denn anders als sonst bei Olympischen Spielen üblich funktioniert das Megaevent für ihn nicht als Beliebtheitsmotor. Im Gegenteil: Suga ist so unbeliebt wie nie zuvor.

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Corona-Pandemie schlägt voll ein

Dieser Tage zeigten Umfragewerte des Fernsehsenders TV Asahi, dass nur noch gut 25 Prozent der japanischen Bevölkerung mit seiner Arbeit einverstanden sind. Dem Kabinett die Unterstützung ausdrücklich entzogen haben gut 48 Prozent, ein bisheriger Höchstwert. Der Abwärtstrend begann vor Monaten. Er korreliert negativ mit den steigenden Fallzahlen Japans in der Pandemie.

Suga wird insbesondere die Durchführung der Olympischen und Paralympischen Spiele vorgeworfen. Entgegen dem Rat des eigenen gesundheitspolitischen Beraters und diverser anderer Virologen hielt der konservative Politiker an den Spielen fest, drückte sie sogar um den Preis durch, sie vor leeren Rängen abzuhalten. Damit blieben jegliche Erlöse für die lokale Wirtschaft aus, zugleich empfanden viele Menschen, dass die öffentliche Gesundheit aufs Spiel gesetzt wurde.

Zwar beteuerte Suga mehrmals, die Olympiablase, mit der alle Teilnehmer von der lokalen Bevölkerung abgeschottet werden sollten, habe dichtgehalten. Doch diese Darstellung wird von vielen Seiten angezweifelt. Dass der Premier während der Olympischen Spiele erklärte, nur noch Covid-19-Patienten mit starken Symptomen würden in Krankenhäuser aufgenommen, ließ die Alarmglocken noch lauter schellen. Zuletzt verzeichnete das Land erstmals 25 000 Neuinfektionen an einem Tag. Das Gesundheitssystem gilt derzeit als kollabiert.

Suga kann sich nicht von seinem Vorgänger Abe emanzipieren

Yoshihide Suga, der vor einem guten Jahr Premierminister wurde, nachdem sein unbeliebt gewordener Vorgänger Shinzo Abe offiziell aus Gesundheitsgründen zurückgetreten war, leidet an Profilmangel. Der Mann, der jahrelang als Abes Chefsekretär arbeitete, gilt als Fortführung der nationalistischen und wirtschaftspolitisch weitgehend wirkungslosen Linie von Abe. Dabei fehlt dem 72-Jährigen das Charisma. Tritt Suga dieser Tage vor die Kamera, wirkt er ein bisschen wie ein geprügelter Hund. Oft stottert er, sieht scheinbar desorientiert in die Ferne, drückt sich einsilbig aus.

Am vergangenen Wochenende wiederholte sich dann noch eine Blamage, die Suga bei Wahlen anderswo über die letzten Monate auch schon erleben musste: In Yokohama, der zweitgrößten Stadt Japans, verlor der von ihm unterstützte Kandidat. Stattdessen gewann diesmal Takeharu Yamanaka, ein von der Verfassungsdemokratischen Partei unterstützter Gesundheitsexperte, der die Pandemiepolitik der Nationalregierung deutlich als zu locker und erratisch kritisiert hat. Mit ihm als Bürgermeister werde zumindest Yokohama in ruhigere Fahrwasser geleitet, hat Yamanaka versprochen. Suga erklärte nach Yamanakas Wahlsieg: »Das ist wirklich ein enttäuschendes Ergebnis.«

Parlamentswahl wohl ohne Überraschungen

Trotzdem ist Yoshihide Suga bei der im Herbst anstehenden Wahl für das nationale Parlament sogar der aussichtsreichste Kandidat auf einen Sieg. Schließlich ist die Opposition seit zehn Jahren zerstritten und unbeliebt, als durch eine Naturkatastrophe auch das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi havarierte und Menschen im 30-Kilometerradius evakuiert wurden. Damals regierte die mittlerweile gespaltene linksliberale Demokratische Partei, die zuvor große sozialpolitische Versprechen gemacht hatte.

Die angekündigten Reformen blieben Ankündigungen, hinzu kam dann ein unglückliches Management mit der Atomkatastrophe. Eineinhalb Jahre später, Ende 2012, siegte dann bei geringer Wahlbeteiligung die konservative Liberaldemokratische Partei, der auch Suga angehört und die zuvor seit dem Kriegsende ohnehin fast durchgehend regiert hatte. Sie gilt als Architektin eines bis 1990 über Jahrzehnte anhaltenden japanischen Wirtschaftswunders. Heute glaubt zwar kaum noch jemand daran, dass eine ähnliche Boomphase, wie sie der von 2012 bis letztes Jahr regierende Shinzo Abe angekündigt hatte, noch einmal kommen wird. Stattdessen sind viele Menschen in Japan desillusioniert, wollen keine Experimente mehr oder gehen gar nicht mehr wählen.

Sofern Yoshihide Suga bis zur nationalen Parlamentswahl nicht innerparteilich gestürzt wird, was unwahrscheinlich ist, denn in der Pandemie wird Konstanz als sicherster Weg zum Sieg angesehen, dürfte er auch im Herbst noch Japans Premierminister sein. Dann droht ihm ein Schicksal, das schon viele seiner Vorgänger erfahren haben, die bei der Bevölkerung kaum noch vorzeigbar schienen: Eine innerparteiliche Entmachtung, auf die wohl ein Rücktritt folgen würde. Womit Japan dann einen neuen Premier hätte, wieder aus derselben Partei.

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