• Berlin
  • Geflüchtete und Kreuzberg

Protest aus der Baumkrone

Die Geflüchtetenbewegung kämpft erneut um den Oranienplatz in Kreuzberg

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.

Es regnet seit Stunden. Der große alte Ahornbaum auf dem Kreuzberger Oranienplatz ist mit Regenschirmen, Plastikplanen und völlig durchweichten Decken behängt. »Rechte für Geflüchtete sind Menschenrechte« und »Luftbrücke für afghanische Geflüchtete« steht auf Plakaten, die rings um den dicken Baumstamm befestigt sind. Einen Meter darüber sitzt in einem roten Anorak Napuli Langa auf einem der ausladenden Äste – seit zwei Tagen. Wenig später klettert ein Freund aus Afghanistan zu ihr in den Baum, den sie seit Freitagabend zusammen besetzen, um für die Rechte von Geflüchteten zu protestieren.

Anlass war das Verbot von Performances und Diskussionsveranstaltungen, die am Wochenende auf dem Oranienplatz stattfinden sollten. »Wir sind wegen der Provokationen der Polizei am Freitag hier«, erklärt Napuli Langa, Aktivistin der Geflüchtetenbewegung, den etwa 30 Unterstützer*innen, die am Sonntagabend am Fuße des Baumes versammelt sind.

Ein geplantes Scheitern. Daniel Lücking über den Umgang mit afghanischen Ortskräften

Eigentlich wurde der Bewegung vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg Ende 2013 »eine unbefristete Genehmigung für einen Informationspunkt für den politischen Flüchtlingsprotest auf dem Oranienplatz« erteilt. Da die Person, mit der die Vereinbarung damals getroffen wurde, nicht mehr in Berlin lebt, wurde diese von der Polizei nun nicht anerkannt – eine bürokratische Formalie, die Langa und ihre Mitstreiter*innen als Provokation wahrnehmen. Schließlich hatten sie fast zwei Jahre für diese Sondernutzungsgenehmigung gekämpft.

Berliner CDU-Politiker will Asylunterkünfte wegklagen. Abgeordneter der Union sorgt mit Anwohnerbrief in Marzahn-Hellersdorf für Empörung

»2012 marschierten die Geflüchteten von Würzburg nach Berlin«, erinnert Napuli Langa an den Protest gegen die Residenzpflicht, die es Asylbewerbern damals verbot, einen ihnen zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Ein Jahr später entstand ein Camp am Oranienplatz, der so bundesweit als Ort des Geflüchtetenprotests bekannt wurde. Als das Lager im April 2014 geräumt werden sollte, besetzte Langa zum ersten Mal den Ahorn auf dem Platz. Erst vier Tage später, als der Bezirk die dauerhafte Genehmigung für ein Infozelt erteilte, kam die heute 33-jährige Sudanesin wieder herunter.

Dass diese Genehmigung nun nicht akzeptiert wurde, sei »der Versuch, die Geflüchtetenbewegung zu brechen«, sagt Rima Haj Kheder von der Neighborhood Initiative zu »nd«. Langa werde den Baum erst wieder zu verlassen, »wenn der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eine verbindliche, schriftliche Zusage macht, dass Geflüchtete auf dem symbolträchtigen Oranienplatz einen dauerhaften Ort des Protests einrichten können«, heißt es in einer Erklärung verschiedener Initiativen wie International Woman* Space, Women In Exile und Neighborhood Initiative.

Chronologie der Flüchtlingsproteste in Kreuzberg

Derweil kämpft Langas afghanischer Begleiter, der seinen Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennen kann, um die Rettung seiner Familie. »Meine Frau und meine Schwiegermutter sind in Kabul. Sie dürfen das Haus ohne Mann nicht mehr verlassen, weil die Taliban das verbietet«, erzählt er von seinem Sitzplatz im Baum aus. Seine zwei Schwager, die über zehn Jahre für eine westliche Armee gearbeitet hätten, befänden sich derzeit im Iran. Seit einem Jahr versuche er erfolglos, seine Familie nach Deutschland zu bringen. Vom Berliner Senat fordert er den Einsatz für eine Luftbrücke und ein Landesaufnahmeprogramm für afghanische Geflüchtete.

»Ich finde es toll, dass sie diese Kämpfe verbinden«, sagt Bundestagsabgeordnete Canan Bayram (Grüne), die am Sonntagabend zur Unterstützung gekommen ist, zu »nd«. Sie macht sich Sorgen um Langa, »weil sie ein kleines Kind hat. Aber sie ist eine starke Kämpferin«, sagt Bayram. Auch Pascal Meiser, Bundestagsabgeordneter der Linken, soldarisiert sich mit dem Protest: »Aus meiner Sicht ist klar, dass die politische Vereinbarung von 2014 weiterhin Bestand hat und dass hier ein Ort des Protests von Geflüchteten ist«, erklärt er.

Hochzeit auf dem Oranienplatz. Aktivistinnen und Frauenrechtlerinnen kritisieren Zustände von Frauen in Flüchtlingsunterkünften

Eine neue Vereinbarung zur Sondernutzung des Oranienplatzes war am Montag jedoch noch nicht in Sicht. »Das muss geprüft werden«, sagt Bezirkssprecherin Sara Lühmann zu »nd«. Im Rahmen der Baumschutzverordnung spreche zumindest nichts gegen Langas Baumbesetzung und die Mahnwache, die in der Nacht auf Montag eingerichtet wurde, könne auf der befestigten Fläche des Oranienplatzes stattfinden. Bezirksbürgermeisterin Monika Hermann (Grüne) ist seit Montag im Urlaub.

Langa und ihre Mitstreiter*innen werden jedoch nicht locker lassen, auch mit Blick auf das zehnjährige Jubiläum der Geflüchtetenbewegung im kommenden Jahr, das auf dem Oranienplatz gefeiert werden soll. »Dass Napuli auf dem Baum sitzt, ist ein Symbol. Es geht um unsere Rechte als People of Color«, sagt Jennifer Kamau von International Women* Space. Dafür wird Langa Wind und Wetter in den Baumwipfeln wohl noch weiter trotzen.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!