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- Medien und AfD
Von der Blase für die Blase
Für die meisten Menschen in Deutschland sind Zeitungen, Fernsehen und Radio die wichtigsten Informationsquellen. Für AfD-Anhänger*innen gilt dies nicht.
»Merkel will Bürgern das Zugfahren verbieten«, behauptet die AfD auf einer Infografik bei Facebook. Fast 2000 Mal wird das Motiv geteilt, es ist einer der erfolgreichsten Beiträge der letzten Tage auf dem Kanal der Bundespartei. Noch größere Verbreitung findet einen Tag vorher solch ein sogenanntes Sharepic, auf dem zu Lesen ist: »Vergewaltiger und Drogenhändler dank ›Evakuierungs-Flieger‹ wieder bei uns! Nur die AfD schiebt konsequent ab!« Dieser Beitrag teilen über 2700 Accounts auf dem sozialen Netzwerk.
Um die Reichweite dieser gezielten Angst- und Panikmache besser einschätzen zu können, hilft ein Vergleich mit den Facebook-Auftritten der demokratischen Parteien. Bei der SPD mit Abstand am erfolgreichsten ist vergangene Woche die Präsentation ihres Wahlkampfspots. Das Video mit Olaf Scholz wird rund 860 Mal geteilt. Doch der Clip mit dem sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten bildet die große Ausnahme: Viele Beiträge laufen wesentlich schlechter, oft tauchen diese sogar nur einige Dutzend Mal auf anderen Profilen auf.
Ähnlich sieht es bei der politischen Konkurrenz aus, am besten funktioniert die Social-Media-Arbeit der Grünen. Im Vergleich zur AfD sind die Interaktionszahlen der demokratischen Parteien jedoch meist um ein Vielfaches niedriger. Noch dramatischer sind die Unterschiede auf Kandidatenebene: Während Olaf Scholz bei Facebook nur rund 35 000 Fans zählt, gefällt der Auftritt von AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel mehr als 300 000 Personen. Populärer sind mit über einer halben Million Fans die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und knapp dahinter ihr Genosse Gregor Gysi.
Solche Reichweiten sind besonders in Wahlkampfzeiten nicht zu unterschätzen und mehr als bloße Zahlen: Eine aktuelle Studie der Universität Hohenheim belegt, dass sich besonders AfD-Anhänger*innen über politische Themen mittels der sozialen Netzwerke und über Youtube informieren. Für sie ist das Internet Informationsquelle Nummer eins. Zwar zeigt die repräsentative Erhebung, dass Fernsehen und Radio parteiübergreifend weiter eine wichtige Rolle spielen, im Bereich der sozialen Medien ist jedoch ein markanter Unterschied erkennbar: Während Anhänger*innen der Grünen angeben, sich im Durchschnitt an nur 2,7 Tagen in der Woche über Facebook, Youtube und Co. mit politischen Inhalten zu beschäftigen, tun dies AfD-Sympathisant*innen an vier von sieben Wochentagen. Die Partei ist demnach besonders dort aktiv und erfolgreich, wo sich ihre Anhängerschaft tummelt.
Mehr noch: Die »Spielregeln« der sozialen Netzwerke befeuern die Entwicklung, dass sich daraus Informationsblasen bilden. Denn egal ob Facebook oder Youtube: Die Algorithmen im Hintergrund sind darauf trainiert, Nutzer*innen möglichst lange auf einer Plattform zu halten. Wichtigste Regel dabei ist es, nur Inhalte vorzuschlagen, die den jeweiligen Vorlieben und Interessen der Nutzer*innen nicht widersprechen. Wer bei der AfD ein »Gefällt mir« hinterlässt, bekommt garantiert den Tipp, dies auch bei Weidel zu tun. Wer auf Youtube einmal Videos mit Corona verharmlosenden Inhalten anschaute, bekommt diese ein zweites und drittes Mal vorgeschlagen. »Viele AfD-Anhänger leben in ihrem eigenen Informationskosmos«, sagt Kommunikationsforscher Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim. Er warnt: Durch diese Blase entstehe ein anderer Blick auf die Politik.
Die AfD tut ihrerseits einiges, damit dieser abgeschirmte Informationskosmos möglichst selten durchbrochen wird. Deutlich zu sehen ist dies am Umgang mit journalistischen Inhalten. Während demokratische Parteien bei Facebook regelmäßig auf unabhängige Berichterstattung über ihre Kandidat*innen und deren Inhalte verweisen, finden sich solche Hinweise auf fremdproduzierte Inhalte bei der AfD so gut wie nicht. Mehr noch: Die Bundespartei schafft sich wohlwollende Berichterstattung einfach selbst. Geradezu groteske Züge nimmt dies bei Formaten wie »AfD persönlich« und dem »großen AfD-TV-Sommerinterview« an. Die Videos spielen gezielt auf journalistische, unabhänige Angebote an; es handelt sich aber um das komplette Gegenteil: politische Werbung aus der Blase für die Blase.
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