Verkaufen und kaufen in der »Piggy Bank«

Im Westerwald vermieten zwei Geschäfte mit Erfolg ihre Regale als Alternative zu Flohmärkten oder Internetversteigerungen

  • Jochen Bülow
  • Lesedauer: ca. 6.0 Min.
»Das Regal kostet 25 Euro in der Woche, vom Gesamtumsatz kassieren wir fünf Prozent. Was Sie hier verkaufen, wie Sie das tun, ist Ihre Sache. Wir kümmern uns um die Kunden und Sie können sich jederzeit die Erlöse auszahlen lassen«. Routiniert erklärt Sonja Rudat, Inhaberin der »Piggy Bank« im rheinland-pfälzischen Diez, einer neuen Kundin das Konzept. »Piggy Bank« heißt auf neudeutsch Sparschwein.
Seit einigen Wochen findet sich hier, was die Keller und Speicher im Westerwald hergeben: Eine antike Trompete ebenso wie ein historisches Rezeptbuch eines Frankfurter Edelbäckers, ausrangierte Computer, CDs, Musik- und Märchenkassetten. »Wir verkaufen eigentlich alles«, sagt Sonja Rudat, »jedenfalls alles, was legal ist.« Im Gegensatz zu den üblichen Secondhand-Läden ist Sonja Rudat aber nicht die Eigentümerin der Waren. »Wir stellen mit der Regalvermietung nur so etwas wie eine Verkaufsplattform zur Verfügung. Wir bieten das Ambiente eines Geschäftes für Dinge, die sonst nur im Internet oder bei Flohmärkten verkauft werden«.
Die Artikel selber gehören den Regalmietern und entsprechend bunt präsentieren sich die Regale. Farbenfroh und liebevoll arrangiert locken hier Kinderspielzeuge und Plüschtiere, während wenige Schritte weiter ehrwürdig zerbröselnde Buchantiquitäten seriöse Intellektualität verbreiten. Die überwiegende Mehrzahl der Ver-käufer sind Verkäuferinnen, erklärt Sonja Rudat: »Frauen haben Spaß am Dekorieren der Regale, Frauen wissen, wo sich zu Hause nicht mehr Benötigtes ansammelt. Und viele Frauen genießen die Aufgabe außerhalb der eigenen vier Wände - wir sind nicht nur ein Marktplatz, sondern auch ein Treffpunkt.«
Immer wieder bilden sich auf den Gängen kleine »Klatschgruppen«, erzählen sich die Diezer die örtlichen Neuigkeiten. Mancher, so der Eindruck, benutzt das Verkaufsregal ein wenig als Vorwand: Ein Grund vor die Tür zu gehen, ein Grund Nachbarn zu treffen, alles garniert mit dem guten Gefühl ein paar Euro dazu zu verdienen.
Während des kurzen Gespräches wird Sonja Rudat mehrmals um Hilfe gebeten, gibt verkaufsfördernde Tipps und veranlasst Abrechnungen. Obwohl es erst halb elf am Morgen ist, sind schon gut zwei Dutzend Kunden im Laden gewesen - und der stete Strom reißt nicht ab. »Vielleicht ist der Clou bei uns auch, dass "Kunden" doppelt gemeint ist. Viele verkaufen hier Dinge aus ihrem Regal und kaufen im Nachbarregal gleich wieder ein«, erklärt Sonja Rudat.

Wartelisten für neue Regalmieter
»328 Euro? In zehn Tagen?«, schallt es plötzlich laut durch den Laden. Was sich erst wie ein handfester Streit um größere Beträge anhört, stellt sich bald als Begeisterung heraus: Nicole Kraft hat sich ausrechnen lassen, was die ersten zehn Tage Verkauf im Regalladen gebracht haben. Und sie ist platt: »Dass es so gut funktioniert, hätte ich nie gedacht. Ich komme kaum nach mit dem Bestücken meines Regals«, freut sich die Mutter einer sechsjährigen Tochter, deren Spielzeug-Erstausstattung einen wesentlichen Teil des Angebots ausmacht.
Während sich Nicole Kraft noch über die ungeplante Einnahme freut, hat Tochter Sophie schon eine Möglichkeit entdeckt, einen kleinen Teil des Gewinns zu reinvestieren: »Mutti, da hinten die Schultüte, die ist wunderschön.« Und weil Sophies Schulanfang vor der Tür steht, stehen Mutter und Tochter schon an der Kasse und tragen die Neuerwerbung nach Hause.
Weil die Piggy Bank eines der wenigen Geschäfte ist, die man mit mehr Geld in der Tasche wieder verlassen kann, hat sie schon mehr als 100 feste Regalmieter. »Seit letzter Woche muss ich Neukunden in eine Warteliste eintragen«, freut sich Sonja Rudat über den großen Erfolg. Dabei ist ihr der Sprung in die Selbstständigkeit nicht leicht gefallen - auch wenn sie mit dem Verkaufen durchaus Erfahrung hat. Quasi arbeitslos, las die Diezerin von der Geschäftsidee im benachbarten Rennerod und sah sich den Laden dort einmal an: »Mich hat das sofort überzeugt, ich habe mit Herrn Loos an Ort und Stelle vereinbart, dass ich eine Filiale eröffne.«

Sozialer Treffpunkt als Franchise-Unternehmen
Jürgen Loos ist der Erfinder des Regalladenkonzeptes der »Piggy Bank«. »Diesen Namen habe ich wegen der Sicherung internationaler Markenschutzrechte gewählt«, erzählt der Mann, der beim Aufzählen der Vorteile seiner Idee kaum zu bremsen ist. Ursprünglich war Loos Herr über Wattebäusche und Ökozahncremes, Rasierapparate und pflanzliche Gesundheitspillen. Doch dann lief seine Drogerie in dem kleinen Ort Rennerod im Westerwald nicht mehr so recht: »Ich musste mir Gedanken machen, wie es weitergehen sollte. Ich wollte nicht so weitermachen wie bisher und ich wollte auch keine Idee verfolgen, bei der ich erst einmal Unsummen hätte investieren müssen.«
So leicht fand sich dafür keine Lösung. Bis es irgendwann klick gemacht hat: »Ich wollte viele Leute im Laden haben. Es sollte so etwas wie ein sozialer Treffpunkt entstehen. Da lag es nahe, die Leute zum Kaufen und Verkaufen in den Laden zu holen.« Weil der Laden auf Anhieb gut lief, entwickelte Loos ein »Franchise-Konzept«. »Franchise ist oft gleichbedeutend mit Abzocke«, fängt er aufkommende Bedenken im Ansatz auf. »Ich verlange von den Leuten keine horrenden Einstiegsgebühren, zwinge niemandem ein bestimmtes Sortiment auf und lasse meine Franchise-Nehmer nach Abschluss des Vertrages auch nicht allein«.
Ganz im Gegenteil. Loos garantiert Sonja Rudat einen monatlichen Mindestumsatz, der zumindest die laufenden Kosten für die Miete deckt. Zusammen überlegen die beiden immer wieder, wie sich das Konzept verbessern, die Abrechnung vereinfachen und die Werbung intensivieren lässt. Sonja Rudat ist zufrieden. »Ich kann Herrn Loos immer anrufen, oft kommt er persönlich vorbei, wenn ich ein Problem habe. Und finanziell ist das Angebot mehr als fair. Das hat auch mein Banker gesagt, den ich um seine Meinung zu der Idee gebeten habe«.
Allerdings war der Mann von der Sparkasse nur über den finanziellen Teil der Abmachungen angetan - das Konzept der »Piggy Bank« als Secondhand-Laden hielt er anfangs für »ausgemachten Quatsch«. »Aber jetzt komme ich täglich mit den Tageseinnahmen zur Einzahlung und seitdem lächelt er mir immer freundlich zu«, erzählt Sonja Rudat. Auch die Gemeinde hat die Wiederbelebung ihrer Innenstadt zustimmend zur Kenntnis genommen. »Das aber heißt noch lange nicht, dass mein Antrag auf ein paar Quadratmeter Stellfläche vor dem Ladeneingang schnell und problemlos genehmigt werden würde. Auf die Genehmigung warte ich noch und ich habe gehört, dass es wohl Schwierigkeiten geben wird«, schildert Sonja Rudat den Gang durch die Genehmigungsinstanzen.
Was genau den Damen und Herren vom Amt »schwierig« scheint, weiß sie noch nicht. »Aber wir werden auch dieses Problem in den Griff kriegen.« Tatsächlich glaubt man der resoluten jungen Frau, dass sie sich von einem Amt nicht ins Bockshorn jagen lässt. Vielmehr denkt sie mit Jürgen Loos schon darüber nach, wo sie eine zweite Filiale eröffnen könnte. »Interessant sind eher kleinere bis mittelgroße Orte. Und wir brauchen auch keine sündhaft teure 1a-Geschäftslage, sondern eher eine größere Ladenfläche mit vorhandenen Regalen.«

Konkurrenz für die Aldi-Brüder?
Jürgen Loos hat Kontakt zu einem Geldgeber geknüpft, der das Konzept flächendeckend vermarkten will. »Denn trotz allem ist der Start in die Selbständigkeit für viele ein gewagtes Unternehmen und das benötigte, relativ geringe Gründungskapital schwierig zu beschaffen.« Auch wenn Jürgen Loos seiner ersten Franchise-Nehmerin Sonja Rudat bestmögliche Hilfe anbietet, die Arbeit muss trotzdem vor allem die Geschäftsinhaberin selber tun. »Klar«, lacht Sonja Rudat, »Feierabend um vier ist bei dem Job nicht drin. Aber ich bin meine eigene Chefin und ich sehe die Früchte meiner Arbeit - das ist, finde ich, sehr befriedigend.«
Und nicht nur das. Immerhin finanziert die »Piggy-Bank« in Diez schon Sonja Rudats eigene Vollzeit- und zwei Teilzeitstellen. Demnächst will die Gründerin eine weitere Vollzeitkraft einstellen und sich selber um die nächste Filiale kümmern. »Wollen wir doch mal sehen«, zwinkert sie verschmitzt, »ob wir den Brüdern Aldi nicht den Rang a...

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