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- Wohnungspolitik in Brandenburg
Potsdam soll kommunale Mieten deckeln
Mehr als 6000 Unterschriften für ein Bürgerbegehren wurden bereits gesammelt – 14 300 sind erforderlich
»Meine Stimme ist leider etwas leise«, sagt Lutz Boede. »Aber ich merke: Die Leute wollen angesprochen werden.« Als Aktivist der Initiative Mietendeckel in Potsdam steht Boede am Montag im Viertel Waldstadt II. An der Straßenbahnhaltestelle Friedrich-Wolf-Straße herrscht reger Fußgängerverkehr und den will sich die Initiative zunutze machen. Sie sammelt Unterschriften für das Potsdamer Bürgerbegehren, Mieterhöhungen für kommunale Wohnungen auf ein Prozent in fünf Jahren zu begrenzen.
»Zurzeit können die kommunalen Unternehmen die Miete in vier Jahren um 15 Prozent erhöhen«, berichtet Lutz Boede. Nicht einmal in der Coronazeit hätten sie vor flächendeckenden Mieterhöhungen zurückgeschreckt – wenn auch im Einzelfall und unter sozialpolitischen Gesichtspunkten davon Abstand genommen worden ist, wie er zugibt.
Potsdam ist längst die Stadt mit den höchsten Preisen auf dem Wohnungsmarkt der neuen Bundesländer, heißt es im Flyer der Initiative, die den Mietendeckel als »richtiges Instrument gegen den Mietenwahnsinn« anpreist.
»Ich unterschreibe, weil die Mieten nicht durch die Decke gehen sollen«, sagt Roy Scholz, nachdem er es am Montag getan hat. Es dürfe nicht dazu kommen, dass man drei Monate arbeiten müsse, um einen Monat Miete bezahlen zu können. Für seine 37 Quadratmeter große Bleibe zahlt er 320 Euro. Nein, das ist nicht zu viel, gibt er zu. »Ich bin Mitglied der Arbeiterwohnungsgenossenschaft Karl Marx, da bekomme ich meine Wohnung etwas günstiger.« Außerdem hat Scholz ein Haus in Baruth geerbt und wird es in vier Monaten beziehen.
»Man erlebt, dass viele Menschen das Begehren unterstützen, obwohl sie selbst nicht unmittelbar von dem Problem betroffen sind«, sagt Boede. Auf der anderen Seite gebe es Menschen, die eine erhebliche Mietbelastung stemmen müssten, aber zu müde und zu lustlos seien, um sich zum Widerstand aufzuraffen. »Ohne Solidarität gibt es keinen Zusammenhalt in der Gesellschaft«, findet Boede. Kurz nach der Wende sei es für solche Bürgerinitiativen schwer gewesen, die genervten Leute hätten »gar nichts mehr unterschrieben«. Das habe sich zum Glück wieder etwas gebessert.
Die Einwohner der Waldstadt bezeichnet Boede als aufgeschlossen. Schwerer haben es die Unterschriftensammler im Stadtteil Drewitz. Dort seien viele Menschen »unmotiviert«. Doch Boede versichert: »Wir werden es aber auch dort versuchen.«
»Ich unterschreibe, weil ich will, dass auch meine Kinder und Enkel noch Mieten zahlen, die auch bezahlbar sind«, erklärt ein älterer Herr, der sich als Gerd Müller vorstellt. »Ich aber lebe noch«, setzt er zwinkernd hinzu – der berühmte Fußballer mit gleichem Namen ist kürzlich verstorben. Er selbst wohne derzeit noch günstig, sei hier im DDR-Neubaugebiet ein sogenannter Erstbezug und lebe gern seit über 40 Jahren in der Waldstadt. Die Potsdamer Bevölkerungszahl stieg von 144 000 im Jahr 1990 auf jetzt fast 180 000. Leerstand gibt es so gut wie keinen. Frei werdende Wohnungen werden sofort wieder belegt. Die neuen Mieter müssen dann nicht selten erheblich mehr bezahlen als ihre Vormieter.
Die Linke in Potsdam hat das Thema Mieterschutz auf ihre Fahne geschrieben und hilft laut Boede auch beim Sammeln der Unterschriften. Skeptischer ist Boede, wenn er auf dem SPD-Plakat unweit seines Infostandes liest: »Olaf Scholz – Kanzler für preiswertes Wohnen«.
»Wir sehen doch, wie die Mieten in Berlin explodiert sind, das wollen wir hier nicht haben«, begründet Karla Neumann ihre Unterstützung der Initiative. Bärbel Stellmacher hat unterschrieben, sieht aber auch die andere Seite. Natürlich müssen die kommunalen Unternehmen die Mittel in die Hand bekommen, um die Häuser instand zu halten, räumt sie ein. »Das wird auch teurer.« Eine energische Dame erklärt hingegen: »Nein, ich unterschreibe nicht.« Sie habe in Potsdam ein Doppelhaus mit 4000 Quadratmetern Grundstück und müsse jetzt 200 Euro mehr Grundsteuer entrichten. »Wir alle müssen sehen, wie wir klarkommen«, sagt sie. Natürlich gibt es in Potsdam sehr viele Menschen, die gut situiert sind und die das Thema gar nicht interessieren müsste, bestätigt Boede. Doch berichtet er auch von Beispielen, in denen die Tochter die Betriebskosten für ihre Mutter bezahlt, die sich das nicht leisten kann.
Im Juni startete das Bürgerbegehren. Es hat ein Jahr Zeit, die für einen Erfolg notwendigen knapp 14 300 gültigen Unterschriften zu sammeln. Bislang sind ungefähr 6000 beieinander. Die Mühe sei nicht vergeblich, unterstreicht Lutz Boede. Auf diese Weise sei vor über 20 Jahren das ehemalige Pionierhaus (heute »Treffpunkt Freizeit«) vor dem Abriss bewahrt worden. Auch habe eine Bürgerinitiative für den nötigen Nachdruck gesorgt, damit das kommunale Klinikum Ernst von Bergmann wieder Tariflöhne zahlt.
Um ihrem Anliegen genügend Aufmerksamkeit zu verschaffen, lädt die Initiative für einen Potsdamer Mietendeckel zu einem Aktionstag am 14. September um 16.45 Uhr ins Thalia-Kino von Potsdam-Babelsberg ein. Ulrike Hamann vom Vorstand der landeseigenen Wohnraumversorgung Berlin und Rouzbeh Taheri von der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen haben ihr Kommen zugesagt. Auch Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) ist eingeladen, sagt Lutz Boede. Bei der Veranstaltung solle geklärt werden, warum in Berlin die Mieten begrenzt werden und das in Potsdam angeblich zum Ruin der städtischen Wohnunternehmen führen solle. »In Berlin wird bei Neubezug von städtischen Wohnungen zehn Prozent unter dem Mietspiegel vermietet, in Potsdam zehn Prozent darüber«, erklärt Boede.
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