Mit schwerem Geschütz

In Dresden beginnt der Prozess gegen die angebliche »Gruppe Lina E.«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Dieses Foto setzte den Ton. In Handschellen wurde Lina E. am 6. November in Karlsruhe aus einem Hubschrauber geführt, empfangen von martialisch in Sturmhauben gekleideten Beamten. Die beabsichtigte Botschaft war klar: Die junge Frau aus Leipzig, die dem Haftrichter am Bundesgerichtshof (BGH) vorgeführt wurde, sei hochgefährlich – die »Kommandogeberin« einer kriminellen Vereinigung von Linksextremisten, die den Staat und sein Gewaltmonopol ablehnten, wie es im Juni in einem BGH-Beschluss hieß. Seit zehn Monaten sitzt E. in Untersuchungshaft. Diesen Mittwoch beginnt am Oberlandesgericht (OLG) in Dresden der Prozess gegen sie und drei bisher auf freiem Fuß befindliche Mitangeklagte – unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen und mit nur 25 akkreditierten Medienvertretern, darunter von der Schweizer Tageszeitung NZZ und dem staatlichen russischen Fernsehsender Ruptly TV.

Im Prozess geht es um Überfälle auf Mitglieder der rechten Szene, darunter Attacken auf den Eisenacher Nazitreff »Bull’s Eye« sowie auf dessen Betreiber im Herbst 2019. Bei den Angriffen kamen Schlagwerkzeuge und Reizgas zum Einsatz; die Opfer wurden teils schwer verletzt. Unter ihnen sind Teilnehmer eines Naziaufmarschs anlässlich der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 2019, die auf der Rückfahrt in Wurzen angegriffen wurden, und ein Handwerker, der in Leipzig überfallen wurde, weil er eine Mütze einer rechten Szenemarke trug. Gegenstand der Anklage sind indes nicht nur Delikte wie gefährliche Körperverletzung und Landfriedensbruch. Vielmehr sieht die Anklage eine kriminelle Vereinigung gemäß Paragraf 129 am Werk, die sich »spätestens am 7. August 2018« in Leipzig gebildet habe. Der Eindruck enormer Gefährlichkeit wird verstärkt durch den Umstand, dass die anfangs in Sachsen geführten Ermittlungen von der Bundesanwaltschaft übernommen wurden und der Prozess nicht am Landgericht, sondern am OLG stattfindet – eine Instanz, die, wie die Verteidigung von Lina E. anmerkt, eigentlich erst in Verfahren gegen Terrorgruppen zuständig ist.

Die Anklage stehe auf »tönernen Füßen«

Ein Versehen ist das alles nicht. Vielmehr sehen E.s Verteidiger, die Leipziger Anwälte Björn Ebeling und Erkan Zünbül, bei den Behörden einen »Reflex« wirken: Linke, denen man politische Straftaten vorwirft, würden zwangsläufig als Teil einer kriminellen Vereinigung gesehen, genauso wie Rechte »reflexhaft und unabhängig von der tatsächlichen Beweislage« als angebliche Einzeltäter eingestuft würden. Die Anwälte sind überzeugt, dass sich der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung – der allein den Angeklagten Haftstrafen von bis zu fünf Jahren eintragen könnte – nicht halten lassen wird. Es fehle an Belegen; ein der »Organisation« der Gruppe gewidmeter Band in der Ermittlungsakte sei »komplett leer«. Auch die Ermittler räumen ein, Datum, Umstände und Beteiligte der Gründung der Vereinigung bislang nicht zu kennen. Die Anklage stehe auf »tönernen Füßen«, sagen die Verteidiger und verweisen auf weitere Merkwürdigkeiten des Verfahrens. So sind fünf weitere Beschuldigte bisher nicht einmal angeklagt.

Auch jenseits des Gerichtssaals wird der Prozess, in dem wöchentlich zweimal verhandelt wird und Termine bis März 2022 reserviert sind, von Kritik und Protesten begleitet. Ein »Solidaritätsbündnis Antifa Ost« spricht von einem »klar politisch motivierten« Verfahren und wirft den Behörden vor, ein »linkenfeindliches Programm« durchsetzen zu wollen. Das Bündnis, das am Tag des Prozessauftaktes bereits ab sieben Uhr morgens zu einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude aufruft, sieht es als Ausdruck von »Wunschdenken«, eine linke kriminelle Vereinigung »an der Schwelle zum Terrorismus« zu konstruieren, und vermutet als Hintergrund einen »massiven Legitimationsdruck« für die sächsische Soko Linx. Sie wurde Ende 2019 während des OB-Wahlkampfs in Leipzig gegründet, um Straftaten von Linksextremisten zu verfolgen, und arbeitete auch emsig: Allein im ersten Halbjahr 2020 eröffnete sie 335 Verfahren, während die gegen Rechtsextremismus tätige Soko Rex es gerade mal auf 20 Verfahren brachte. Vor Gericht landete aber kaum eines. Die Soko stehe daher »politisch unter Druck«, sagen die Verteidiger von Lina E. So sei auch zu erklären, dass Erkenntnisse von Ermittlern offensiv an Medien durchgestochen wurden, selbst an das rechte Magazin »Compact«.

Was das für den Prozess bedeutet, bleibt abzuwarten. Die linken Landtagsabgeordneten Jule Nagel und Kerstin Köditz erklärten, sie hofften auf eine »faire« Beweisaufnahme und ein Verfahren »frei von Vorverurteilungen«. Die Verteidiger indes wissen, dass sie »einen fairen Prozess für unsere Mandantin hart werden erkämpfen müssen«.

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