Zeugen oder Täter?

Das Koblenzer Oberlandesgericht hat das Vorgehen des Assad-Regimes als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. Ein historisches Urteil, doch ausgerechnet ein syrischer Deserteur, der zur Aufklärung beitragen wollte, muss dafür ins Gefängnis.

  • Hannah El-Hitami
  • Lesedauer: 13 Min.

Das Schicksal von Eyad A. entscheidet sich in zweifacher Weise an einem nicht genauer definierten Tag im September oder Oktober 2011. An diesem Tag beschließt der syrische Offizier, das Richtige zu tun, und begeht unmittelbar danach eine Straftat. Die Massendemonstrationen auf Syriens Straßen sind gerade erst ein halbes Jahr alt, das Regime reagiert bereits mit tödlicher Gewalt. Eine Kundgebung findet an jenem Tag im Damaszener Stadtteil Duma statt. Eyad A. ist mit Kollegen der Geheimdienstabteilung 40 geschickt worden, um sie aufzulösen. Sie folgen dem Befehl von Hafiz Makhlouf, dem berüchtigten Cousin des Präsidenten, für den durch seine familiären Bande keine Regeln oder Rangordnungen gelten.

An diesem Tag kommt Makhlouf in seinem Mercedes angerast, springt aus dem Wagen und feuert eine Salve mit dem Maschinengewehr in die friedliche Sitzblockade. Dann schreit er seine Untergebenen an: »Wenn ihr den Präsidenten liebt, schießt auf die Verräter!« Eyad A., der erst seit wenigen Monaten für Makhlouf arbeitet, macht nicht mit, sondern hält sich unauffällig im Hintergrund. Er habe nicht auf seine Landsleute schießen wollen, wird er später dem Bundeskriminalamt (BKA) erzählen, und dass er in diesem Moment die Entscheidung getroffen habe zu desertieren. Doch zunächst muss er seine Arbeit tun, um nicht das eigene Leben zu riskieren. So wird er begründen, warum er mit den anderen Sicherheitskräften die Straßen durchkämmte und flüchtende Demonstranten festnahm. Mindestens dreißig von ihnen brachte er in die Abteilung 251 des Allgemeinen Geheimdienstes in Damaskus. Fast zehn Jahre später und Tausende Kilometer entfernt wurde Eyad A. dafür vor ein deutsches Gericht gestellt und wegen Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.

Denn im Gefängnis der Abteilung 251 soll es zu mindestens 58 Tötungen, 4000 Fällen von Folter und zwei Fällen sexualisierter Gewalt gekommen sein. Diese werden Eyad A.s Mitangeklagten, Oberst Anwar R., dem damaligen Ermittlungsleiter der Abteilung zur Last gelegt. Im Verfahren gegen die beiden Männer, das seit April 2020 am Oberlandesgericht Koblenz stattfindet, berichteten Insider und Überlebende von unterirdischen Zellen ohne Tageslicht, so eng, dass Gefangene auf einem Bein stehend schlafen mussten, während andere an Sauerstoffmangel erstickten. Nach Blut und Schimmel habe es gerochen, und wer nicht gerade selbst mit Schlägen, Elektroschocks und schmerzhaften Zwangshaltungen gefoltert wurde, den hätten die unaufhörlichen Schreie der mitgefangenen Männer, Frauen und Kinder in den Wahnsinn getrieben. Weil Eyad A. festgenommene Personen in dieses Gefängnis einlieferte, hat der Koblenzer Senat ihn Ende Februar der Beihilfe zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Form von Folter und schwerwiegender Freiheitsberaubung schuldig gesprochen.

Gerechtigkeit aus der Ferne

Eyad A. ist der erste syrische Offizier, der für die systematischen Verbrechen des Assad-Regimes gegen die eigene Bevölkerung zur Rechenschaft gezogen wurde. Er war im Januar 2012 desertiert und über die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflüchtet, wo er ein Jahr nach seiner Ankunft verhaftet wurde. Sein Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da die von der Verteidigung beantragte Revision noch läuft. Unterdessen geht die Beweisaufnahme gegen den höherrangigen Anwar R. weiter. Sein Prozess wurde Mitte August nach einer Sommerpause fortgesetzt und wird voraussichtlich im November entscheidungsreif sein. Doch damit enden die Verfahren zu syrischen Staatsverbrechen nicht: Der nächste Prozess gegen einen mutmaßlichen Folterarzt startet demnächst, die Bundesanwaltschaft und das BKA ermitteln gegen Dutzende weitere Verdächtige. Möglich ist das mithilfe des Weltrechtsprinzips, das Staaten erlaubt, Völkerrechtsverbrechen zu verfolgen, die keinen direkten Bezug zum eigenen Land haben.

Ein Instrument, um die schlimmsten Verbrechen wie Genozid, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit unabhängig von Ländergrenzen zu bestrafen - doch die Gerechtigkeit aus der Ferne bringt einen entscheidenden Nachteil mit sich, wie der aktuelle Prozess zeigt: Sie ist fast ausschließlich gegen Personen anwendbar, die dem Regime den Rücken gekehrt und das Land verlassen haben, denn nur sie sind für die deutsche Justiz greifbar. Zwar gibt es auch Haftbefehle gegen hochrangige Beamte wie den Chef des Luftwaffengeheimdienstes Jamil Hassan, doch diese sind nach wie vor in Syrien an der Macht und können nicht festgenommen werden. Beide Angeklagte in Koblenz sind hingegen Deserteure. Nach Schätzungen syrischer Aktivist*innen halten sich Hunderte weitere ehemalige Regime-Mitarbeiter in Deutschland auf, einige von ihnen haben sogar als Zeugen im Koblenzer Prozess ausgesagt. Ihre Informationen sind für die Aufklärung entscheidend, doch sie riskieren jederzeit, sich selbst zu belasten: so wie auch Eyad A., der unbemerkt vom Zeugen zum Beschuldigten wurde. Während die Verbrechen in Syrien also weiter begangen werden, sehen sich Deserteure in Deutschland in einer Zwickmühle, die deren Aufklärung in Zukunft erschweren könnte.

Aus der Armut zum Geheimdienst

Von Anfang an lag der Schwerpunkt des Verfahrens auf dem Angeklagten Anwar R. Gegen ihn sagten alle Opferzeugen aus, und seinem Verfahren schlossen sich 17 Überlebende als Nebenkläger an. Fotos seines Gesichts mit dem markanten Muttermal kursierten in den Medien und in der syrischen Diaspora. Auch Anwar R. verließ Syrien als Deserteur, wenn auch zeitlich später als Eyad A. und mit bisher noch uneindeutigen Beweggründen. Anders als bei Eyad A. ist in seinem Fall nichts darüber bekannt, ob er nach der Flucht Insider-Informationen zur Verfügung gestellt hat, um internationale Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung von Verbrechen des Assad-Regimes zu unterstützen.

Im Gerichtssaal wurden weitere Unterschiede zwischen den beiden Angeklagten schnell deutlich. Während A. sein Gesicht vor den Kameras verbarg, blickte R. selbstbewusst in den Zuschauerraum. Während A. oft unbeteiligt wirkte, machte sich der Hauptangeklagte ständig Notizen. Oft schien es, als halte sich der studierte Jurist und ehemalige Ermittlungschef selbst für einen der Ermittler in diesem Verfahren. A. hat hingegen keinen Schulabschluss. Das erzählte er während seiner Asylanhörung, die im Verfahren noch einmal verlesen wurde. Er kommt aus einem landwirtschaftlich geprägten 10 000-Seelen-Dorf am Euphrat im ostsyrischen Gouvernement Deir az-Zor. Laut einem engen Freund des Angeklagten starb sein Vater, als er gerade vier Jahre alt war, und ließ A., seine vier Geschwister und seine Mutter ohne Versorger zurück. »Gerade bei uns im ruralen Osten von Syrien treten die meisten dem Geheimdienst bei, um ihre Familie zu versorgen, weil sie arm sind oder kein Geld für Bildung haben«, sagt H., ein enger Freund des Angeklagten, der den gleichen Weg wählte. Und so begann Eyad A. im Alter von 20 Jahren seine Arbeit für den Geheimdienst und war zunächst 14 Jahre lang als Fitnesstrainer tätig.

Tatsächlich erinnerte A. ein wenig an einen Fußballspieler, als er im April vergangenen Jahres mit blonden Strähnchen im gegelten dunklen Haar und einem magentafarbenen Jogginganzug den Gerichtssaal betrat. A. schwieg an allen 60 Verhandlungstagen, doch rund um das Verfahren ergab sich ein Bild der Person und des Lebens des 44-Jährigen: Da ist sein Facebook-Profil, wo er vor seiner Festnahme sehnsüchtige Posts über die Rückkehr nach Syrien schrieb und mit Freunden in Erinnerungen an Canasta-Abende schwelgte; da ist ein im Gerichtssaal gesichtetes Schreiben an das Jugendamt über die Muskeldystrophie seiner Tochter. A. hatte sie während der Flucht über die türkischen Berge getragen. Da ist sein Verhalten im Gerichtssaal, das von Frust und Unverständnis zeugte: Mehrmals wurde er in Handschellen hereingeführt, weil er sich mit Wärtern angelegt hatte. Einmal spuckte er dabei abfällig auf den Boden. Während seine Verteidiger im Februar ihr Plädoyer hielten, weinte er. Wie war er, der unter Einsatz seines Lebens desertiert war, der sich ein Jahr lang in Syrien versteckt hatte, bevor er mit seiner Familie das Land verlassen konnte, der nach fünf Jahren, zwei Monaten und 13 Tagen endlich das sichere Deutschland erreicht und dort von Anfang an mit den Behörden kooperiert hatte - wie war er plötzlich zu einem Verbrecher gegen die Menschlichkeit geworden, zu einem, der gemeinsam mit einem hohen Tier wie Anwar R. auf der Anklagebank saß?

Vom Zeugen zum Beschuldigten

Alles beginnt im April 2018, zwei Wochen nach Eyad A.s Einreise nach Deutschland, mit einer Routinefrage beim BAMF in Trier: »Waren Sie selbst Augenzeuge, Opfer oder Täter von begangenem Völkermord, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit?« Wenn syrische Asylbewerber diese Frage mit »Ja« beantworten, leitet das BAMF ihre Akte an die Zentralstelle für die Bekämpfung von Kriegsverbrechen beim BKA weiter. Das lud A. daraufhin als Zeuge im Strukturermittlungsverfahren, in dem die Bundesanwaltschaft seit 2011 Beweise zu Völkerrechtsstraftaten in Syrien sammelt. A. wiederholte, was er beim BAMF über Gewalt gegen Demonstranten erzählt hatte und über Leichen, die aus der Abteilung 251 abtransportiert worden seien. Als er einmal einen Freund besucht habe, der dort als Gefängniswärter arbeitete, habe er die Schreie der Gefangenen bis in die Cafeteria gehört. Ob er seinen Freund darauf angesprochen habe, wollen die Vernehmer wissen. »Nein«, sagt A., »das war Normalität«.

A. berichtet dem BKA als Zeuge über Gräueltaten, die für viele Syrer*innen während der mehr als 50 Jahre währenden Herrschaft des Assad-Clans zum Alltag gehörten und ab 2011 eine neue Dimension annahmen. Eine eigene Verantwortung für die Gefangenen scheint er nicht zu empfinden. Dabei musste auch er Menschen bei Demonstrationen, an Checkpoints und bei Razzien festnehmen, berichtet er den Beamten. Die Unterabteilung 40 sei eine »gefährliche« Abteilung gewesen, sagt er: »Wenn man einmal drin ist, kommt man nicht mehr raus.« Er erzählt von jenem nicht genauer definierten Tag im September oder Oktober in Duma, von dem Schießbefehl, den festgenommenen Zivilisten - und seiner Entscheidung zu desertieren. Nach acht Stunden Vernehmung verlässt Eyad A. die Polizeistelle in Zweibrücken, vermutlich mit dem guten Gefühl, dass er zur Aufklärung von Verbrechen in seiner Heimat beigetragen hat. Er weiß noch nicht, dass er sich stattdessen selbst belastet hat.

Wer in Deutschland einer Straftat verdächtigt wird, hat das Recht zu schweigen, um sich nicht selbst zu belasten. Doch der Übergang Eyad A.s vom Asylanwärter zum Zeugen zum Beschuldigten war so fließend, dass sein Recht sich nicht selbst belasten zu müssen auf der Strecke blieb. Seine Aussage blieb stets dieselbe, doch erst nach der Vernehmung durch das BKA stellte die Bundesanwaltschaft fest, dass in dieser Aussage Informationen steckten, die Eyad A. zum Verdächtigen machten. Für einen Hinweis auf das Aussageverweigerungsrecht war es zu diesem Zeitpunkt bereits zu spät. Als er ein halbes Jahr später festgenommen wurde, glaubte A., es müsse sich um ein Missverständnis handeln. Auf der Fahrt zum Bundesgerichtshof beteuerte er immer wieder, dass er nichts getan habe.

Deserteure wurden als Helden gefeiert

Nur einmal hat sich A. im Verfahren geäußert. Im Dezember las sein Anwalt einen Brief vor, den A. als Reaktion auf die Analyse der Cäsar-Fotos vor Gericht verfasst hatte - jener erschütternder Bilder tausender von den Geheimdiensten ermordeter Gefangener, die ein syrischer Militärfotograf 2013 außer Landes schmuggelte. Ein forensischer Experte hatte im Gerichtssaal Dutzende der Bilder gezeigt und jede Folterspur, jede Todesursache erklärt. »Während der Präsentation zitterte ich am ganzen Körper vor Erschütterung und Trauer über die Opfer«, schrieb A. daraufhin in seinem Brief. »Zorn und Hass gegen das verbrecherische Assad-Regime und all seine Helfer erfüllten meinen Kopf und mein Herz.« Unter den abgemagerten und misshandelten Körpern habe er nach seinen Angehörigen gesucht, die seit Jahren verschwunden seien. Auf dem Rückweg ins Gefängnis habe er bitterlich geweint.

In seinem Schreiben erklärte er auch, dass er als Geheimdienstmitarbeiter 2011 nur drei Möglichkeiten gehabt habe: Befehle offen zu verweigern und dafür inhaftiert oder hingerichtet zu werden; sofort zu fliehen ohne Rücksicht auf das Schicksal der eigenen Familie; oder aber einige Monate auszuharren, bis sich Regionen außerhalb der Regimekontrolle befänden und die Grenzen zu Nachbarländern passierbar wären. Für diese dritte Option habe er sich aus Liebe zu seiner Frau und seinen vier Kindern entschieden. Im Januar 2012 täuschte sein Bruder mit einer Vermisstenanzeige A.s Entführung durch eine bewaffnete Gruppe vor, ein üblicher Vorwand, um die Familien von Deserteuren vor der Rache des Geheimdienstes zu schützen. A. flüchtete in seine damals heftig umkämpfte Heimatregion Deir az-Zor, seine Familie folgte kurze Zeit später. Verwandte von Eyad A. berichten, dass er von Anfang an die syrische Revolution unterstützt habe. »Deserteure wie ihn hat die Opposition damals als Helden gefeiert«, sagte A.s Schwager nach der Urteilsverkündung in Koblenz. »Das Urteil kriminalisiert alle, die desertieren und gegen das Regime aussagen«, glaubt sein Freund H.

Die Frage, wer nach Kriegen und Bürgerkriegen zur Rechenschaft gezogen werden soll, stellt sich in Koblenz nicht zum ersten Mal. Gerade wenn ein großer Teil der Bevölkerung in Verbrechen verwickelt war, gibt es Mechanismen, die ein Zusammenleben in der Zukunft ermöglichen sollen, wie Amnestien für niederrangige oder geständige Täter. Einer wie Eyad A. wäre dann möglicherweise freigekommen. »Bei Völkerrechtsverbrechen gibt es immer Unmengen an Tätern und damit eine zwingende Selektion in der strafrechtlichen Aufarbeitung«, erklärt Professorin Stefanie Bock vom Internationalen Forschungs- und Dokumentationszentrum Kriegsverbrecherprozesse in Marburg. Internationale Tribunale versuchten daher strategisch an die Haupttäter heranzukommen. Doch anders als bei Sondertribunalen für das ehemalige Jugoslawien oder für Rwanda werden in Koblenz Verbrechen eines noch laufenden Konfliktes und eines noch herrschenden Regimes verhandelt. Die Einzigen, die im Moment dafür zur Rechenschaft gezogen werden können, sind Deserteure, also ausgerechnet jene, die sich aktiv vom Regime abgewandt haben. Urteile wie das gegen Eyad A. findet Professorin Bock dennoch wichtig. »Das ist eine klare Botschaft an alle Konfliktbeteiligten in Syrien: Es gibt keinen Zufluchtsort und keine Straffreiheit. Egal, wo sie sich in der Hierarchie befinden und wann sie aussteigen - diese Art von Verbrechen ist unverzeihlich.«

Künftig nur Schweigen

A. konnte allein auf Basis seiner Zeugenaussage beim BKA angeklagt und verurteilt werden. Seine Angaben wurden aber auch wichtiger Bestandteil der Anklage gegen Anwar R. Er ist nicht der einzige, den diese Problematik betreffen könnte: Allein im Verfahren gegen Eyad A. und Anwar R. haben bisher sieben Geheimdienst-Insider ausgesagt, darunter ein Archivar, der Listen mit gesuchten Personen an Checkpoints weiterleitete, und ein anonymer Zeuge, der bei Folterverhören dabei war. Ebenso wie Eyad A. leisteten sie durch ihre Zeugenaussagen einen Beitrag zur Aufklärung von Straftaten - durch ihre Arbeit in Syrien haben sie aber auch zu eben jenen Beihilfe geleistet. Anders als A. wurden sie nicht angeklagt, weil es in ihren Fällen keine Hinweise auf eine konkrete Haupttat gab. Die alleinige Zugehörigkeit zum syrischen Geheimdienst ist keine Straftat, entschied der Bundesgerichtshof 2019. Gegen ehemalige Mitarbeiter besteht kein automatischer Verdacht. Sie haben also kein Aussageverweigerungsrecht, sondern müssen die Wahrheit sagen. Bei ihrer Aussage laufen sie aber jederzeit Gefahr, vom Zeugen zum Beschuldigten zu werden.

»Geheimdienstmitarbeiter, die wegen ihrer untergeordneten Funktion eine Belastung durch Dritte nicht zu fürchten brauchen, werden zukünftig über ihre vormalige Tätigkeit Stillschweigen bewahren«, glaubt Strafverteidiger Matthias Schuster. Die Aufklärung weiterer Straftaten des syrischen Regimes dürfe hierdurch erheblich erschwert werden. »Eyad A.s Verhängnis war, dass er sich nach seiner Desertion auf der richtigen Seite wähnte und deshalb bereitwillig an der Aufklärung syrischer Staatsverbrechen mitgewirkt hat«, so Schuster über seinen Mandanten. Er befürchtet, dass es in dem Verfahren weniger um die Feststellung der individuellen Schuld von A. als um die symbolhafte Aburteilung des syrischen Folterregimes ging.

Tatsächlich befassten sich die Zeugenanhörungen, das Plädoyer der Anklage und die Urteilsbegründung vor allem mit diesen Verbrechen und kaum mit Eyad A. selbst. Auch vielen Syrerinnen und Syrern gilt der einfache Offizier, der früh desertiert ist und bereitwillig als Zeuge mitgewirkt hat, als tragische Figur. Einige bekannte Oppositionelle sind sogar mit seiner Familie befreundet. Andere wiederum sind überzeugt, dass er für seinen wenn auch kleinen Beitrag zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit bestraft werden muss. Die meisten Beobachter*innen und NGOs zelebrierten das Urteil aber vor allem als Meilenstein zur Aufklärung der Verbrechen in Syrien als Grundlage für weitere Verfahren. Ihnen war wichtig, dass die Richterin von der »physischen Vernichtung« der Opposition durch Baschar al-Assad sprach. Dass diese Verbrechen offiziell dokumentiert werden, ist eine der größten Errungenschaften des Verfahrens in Koblenz. Doch inwiefern Deserteure in Zukunft zu deren Dokumentation beitragen können und wollen, das hat das erste Urteil infrage gestellt.

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