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Solidarisch durch den Osten
30 Aktivistinnen und Aktivisten setzten sich bei Radtour durch Brandenburg für eine offene Gesellschaft ein
Die Kundgebung am Invalidenplatz unweit des Hauptbahnhofs in Berlin ist übersichtlich: Rund 50 Menschen haben sich am Sonntag zur beschaulichen Auftaktkundgebung für eine Fahrradtour unter dem Motto »gerechte Mobilität weltweit« eingefunden. Trotz der vergleichsweise geringen Zahl der Teilnehmenden ist die Stimmung euphorisch. Soeben hat Vanessa Fischer von der Nichtregierungsorganisation Power Shift in ihrer Rede »gerechte Mobilität für alle« eingefordert. Ein Sprecher der Berliner No-Border-Assembly, eine Organisation, die Grenzen zwischen Staaten kritisiert, erinnert zudem daran, dass die Mobilität für Asylsuchende in Deutschland besonders stark eingeschränkt ist.
Anschließend schwingen sich zu den Klängen und Cover-Versionen von The Selecter und Eurythmics der Blaskapelle »Fanfare Gertrude« etwa 30 Aktivist*innen auf ihre Räder: Mit entspanntem Reggae und Shantels Gassenhauer »Disko Partizani« gondelt die kleine Fahrrad-Demonstration durch Wedding - manche Passant*innen winken, andere dagegen schütteln den Kopf.
Es ist der Auftakt für eine fünftägige Radtour, die von Berlin bis nach Rostock führen soll, wo am kommenden 18. September eine weitere große Unteilbar-Demonstration stattfinden soll. In Berlin hatte es am 4. September ebenfalls eine solche Demonstration gegeben.
»Auf dem Weg nach Rostock wollen wir uns mit Menschen und Initiativen treffen und ins Gespräch kommen«, sagt Vanessa Fischer zu »nd«. Sie ist Sprecherin der Organisation Power Shift, die sich für eine ökologisch und sozial gerechtere Weltwirtschaft einsetzt. Fischer will die verschiedenen Kämpfe für mobile Gerechtigkeit zusammenbringen, »auf interpersoneller Ebene, national, auf EU-Ebene und global«, zählt sie auf. Dabei gehe es nicht nur um Radwege in Berlin, sondern auch um ein Mobilitätsrecht für Geflüchtete an den EU-Außengrenzen: »Aussehen, Herkunft und die sozioökonomische Situation machen aus, welchen Zugang wir zur Mobilität haben«, sagt Fischer.
Wie global die Frage nach der »Mobilitätsgerechtigkeit« ist, zeigt sie am Fall Brumadinho: Im Januar 2019 brach in der südbrasilianischen Kleinstadt der Staudamm eines Rückhaltebeckens. Eine Schlammwelle ergoss sich in das Tal, über 250 Menschen starben. Brasilien ist zwar weit weg, aber: »Das Eisenerz, das in Brumadinho abgebaut wird, landet in Stade in deutschen Autos.« Für Vanessa Fischer ist der Vorfall nur ein Beispiel, das zeigt: »Wir müssen all diese unterschiedlichen Kämpfe solidarisch gemeinsam führen. Wir wollen sie auf unserer Radtour zusammenbringen. Denn diese Kämpfe gehören zusammen, sie sind für uns unteilbar.«
An der Radtour beteiligen sich neben dem Unteilbar-Bündnis Mecklenburg-Vorpommern und Power Shift auch der Berliner Entwicklungspolitische Ratschlag (BER) und die Stiftung Nord-Süd-Brücken. »Es gibt eine große Vielfalt an Initiativen im Osten«, sagt Andreas Rosen von der Stiftung Nord-Süd-Brücken. Ansatz der Tour sei, eine Diskussion über Zukunftsperspektiven der »entleerten Räume« zu führen.
Unter dem Motto »solidarischer Osten« wird haltgemacht an Orten, wo sich Menschen für eine freie und solidarische Gesellschaft engagieren. Oft geschieht dies unter schwierigen Bedingungen, sodass ein Ziel der Radtour auch ist, solche Initiativen zu unterstützen, sich mit ihnen auszutauschen und zu vernetzen.
Doch am Sonntag führt die Radtour zunächst zum Kurt-Schuhmacher-Platz in Berlin, wo der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) und der Verkehrsclub Deutschland (VCD) die Kundgebung »Kutschi autofrei« abhalten. Von der im Flyer angekündigten »großen und lauten Abschlusskundgebung« ist nicht viel zu sehen, es wirkt eher wie eine Grünen-Wahlkampfveranstaltung: Alles ist grün, selbst die Banner von VCD und Greenpeace - der kleine rote Wahlstand der Linkspartei fällt kaum auf. Die Anwohnenden schauen etwas skeptisch auf die Veranstaltung. Sogar Bettina Jarasch, die Spitzenkandidatin der Grünen ist da, sie entert die Bühne und hält eine Wahlkampfrede. Doch die kleine Fahrrad-Demonstration ist da bereits in Richtung Oranienburg weitergefahren.
Nach Oranienburg steht in Brandenburg als Station noch Fürstenberg auf dem Programm sowie Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern. Vorgesehen ist ein Besuch der leer stehenden ehemaligen Nervenheilanstalt Domjüch: »Wir treffen eine Initiative, die sich bemüht, den für Erinnerung und Aufarbeitung wichtigen Ort zu erhalten und dem kulturellen Leben der Region neue Wege zu eröffnen«, heißt es auf dem Flyer.
Anschließend geht es nach Gessin. In dem Dorf mit nur knapp 100 Bewohner*innen wird die Frage aufgeworfen, wie man einen solchen Ort kulturell am Leben erhalten kann. In Güstrow soll diskutiert werden, was die Nachbarschaft zu rechtsextremen Organisationen wie Nordkreuz und völkische Dörfer für die Zivilgesellschaft bedeuten. Am Freitag endet die Radtour in Rostock. Man wolle die Zeit vor den Wahlen nutzen, so Andreas Rosen, um auf die Bedeutung einer weltoffenen Gesellschaft aufmerksam zu machen.
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