»Deutsches« Drama

Reiner Haseloff wird erst im zweiten Wahlgang zum Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt gewählt

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Blumen hatte Markus Kurze bereits zurechtgelegt. Sie waren für Reiner Haseloff bestimmt, der am Donnerstag auf der zweiten Sitzung des Parlaments von Sachsen-Anhalt nach der Landtagswahl vom 6. Juni als Ministerpräsident wiedergewählt werden sollte. Doch es dauerte länger als geplant, bis der vom Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU-Fraktion vorbereitete Strauß zum Einsatz kam. Erst um 12.20 Uhr herrschte am Magdeburger Domplatz Gewissheit, in den Reihen der neuen Landesregierung aus CDU, SPD und FDP machte sich Erleichterung breit: Im zweiten Wahlgang wurde Haseloff mit 53 Stimmen zum dritten Mal nach 2011 und 2016 zum Regierungschef von Sachsen-Anhalt gewählt. 43 Abgeordnete votierten gegen ihn, eine Person enthielt sich. Doch auch in der zweiten Runde dürften drei Abgeordnete aus den Reihen der regierungstragenden Fraktionen, den Kräfteverhältnissen im Landtag folgend, Haseloff die Zustimmung verweigert haben. Für die Deutschland-Koalition war es ein dramatischer Start.

Bereits um etwa 10.45 Uhr war das Theater perfekt. Im ersten Wahlgang war Haseloff mit 48:49 Stimmen zunächst gescheitert - trotz dieses übergroßen, von den oppositionellen Grünen als »Reserverad-Koalition« geschmähten Bündnisses. Allein CDU und SPD hätten im Landtag eine knappe Mehrheit, die FDP hätte es zu dieser gar nicht gebraucht. Doch möglicherweise hatten Haseloff und seine Getreuen schon geahnt, wie schwierig es für den 67-Jährigen werden würde. Wie wahr: Acht Mitglieder der regierungstragenden Fraktionen dürften im ersten Wahlgang gegen Haseloff gestimmt haben. Nach Bekanntgabe des Ergebnisses durch Landtagspräsident Gunnar Schellenberger beantragte CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt eine einstündige Auszeit.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Gallert: »Ehrlich überrascht«

»Ich bin ehrlich überrascht. Für Haseloff ein Desaster. Egal, was der zweite Wahlgang bringt«, kommentierte der Linke-Abgeordnete und Landtagsvizepräsident Wulf Gallert das Ergebnis auf Twitter. Vermutet wurde, dass die Abtrünnigen in den Reihen der CDU-Fraktion zu finden seien. Diese profiliere sich »als größte Oppositionsfraktion«, lästerte etwa Olaf Meister von den Grünen. In der Tat: Haseloffs Kurs ist in den eigenen Reihen nicht unumstritten, insbesondere beim Streit um die Erhöhung des Rundfunkbeitrages war in der vergangenen Legislaturperiode eine gewisse Kluft zwischen Regierung und Fraktion sichtbar geworden. Die Konservativen hatten massiv gegen den von Haseloff bereits unterzeichneten Rundfunkstaatsvertrag opponiert, letztlich war die Erhöhung bereits vor der geplanten Abstimmung im Landtag gescheitert.

Ebenso gibt es ganz offensichtlich unterschiedliche Ansichten beim Umgang mit der rechtsradikalen AfD. Die ehemaligen stellvertretenden CDU-Fraktionsvorsitzenden Lars-Jörn Zimmer und Ulrich Thomas, die auch in dieser Legislaturperiode wieder im Landtag sitzen, hatten mit einer Denkschrift, in der sie »das Soziale mit dem Nationalen« zu versöhnen forderten, in der vergangenen Legislatur eine Debatte über eine mögliche Zusammenarbeit zwischen beiden Parteien angestoßen. Haseloff selbst hatte sich immer klar von der AfD abgegrenzt.

Die Linke-Abgeordnete Henriette Quade beobachtete zudem einen »gut gelaunten« Ex-Innenminister Holger Stahlknecht, der einst von Haseloff nach einem missglückten Zeitungsinterview im Rahmen des Rundfunk-Streits, der die damalige Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen an den Rand des Scheiterns gebracht hatte, aus seinem Amt entlassen worden war. Gehörte auch Stahlknecht zu den Abtrünnigen?

Kritik auch aus der CDU

Nach einstündiger Pause wurde die Sitzung dann fortgesetzt. CDU-Fraktionschef Borgwardt versuchte vor dem zweiten Wahlgang noch einmal klarzustellen, es gäbe innerhalb der Koalition »keine unüberwindbaren Dissenzen«, man habe sogar »mehr Gemeinsamkeiten als 2016«. Letztlich reichte es dann knapp für Haseloff, doch die Wunden und Schmähungen bleiben. »Wie feige, unehrlich und als Abgeordnete untauglich sind diejenigen, die Reiner Haseloff die Stimme zusagen und ihn dann doch nicht wählen. Ich schäme mich in Grund und Boden dafür, den Wahlsieger so zu behandeln«, schrieb der Landrat des Burgenlandkreises, Götz Ulrich - ein auch von der demokratischen Opposition geschätzter CDU-Mann - auf Twitter. Er wisse das Ergebnis einzuordnen, sagte Haseloff anschließend am Rednerpult.

Für den alten und neuen Chef muss sich der Sieg in zweiter Runde wie eine persönliche Niederlage angefühlt haben - dabei gibt es bereits auf inhaltlicher Ebene genügend Zündstoff. Sachsen-Anhalt gehört zu jenen fünf Bundesländern, die sich aktuell einer Verfassungsbeschwerde gegenübersehen. Die Deutsche Umwelthilfe hatte das Land verklagt, weil es dort keinen verbindlichen Klimaschutz gebe. Zudem erinnerten am Donnerstag vor dem Landtag etwa 50 Menschen an den im Jahre 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Oury Jalloh. Die Aktivisten beklagen, dass es in Sachsen-Anhalt nach wie vor keinen Untersuchungsausschuss zum Tod des Asylsuchenden gibt. Justiz und Sicherheitsbehörden haben in dem Fall bislang eine unrühmliche Rolle gespielt, die SPD hatte ihre vor einem Jahr getätigte Zusage zu einem Untersuchungsausschuss - möglicherweise unter dem Eindruck der Koalitionsgespräche - nach der Landtagswahl zurückgezogen. Ebenso musste sich Haseloff gleich nach seiner Vereidigung einer von der Linksfraktion beantragten Debatte zur sozialen Sicherheit stellen.

Bei all dem Trubel ging fast unter, dass die ursprünglich geplante Wahl des AfD-Kandidaten Matthias Lieschke für das Landtagspräsidium letztlich doch nicht stattfand. Lieschke, gegen den ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung läuft, hatte seine Bewerbung zurückgezogen. Ohnehin war klar, dass der 50-Jährige ohne Chance und auf breite Ablehnung gestoßen wäre. Bereits auf der ersten Sitzung im Juli war die AfD mit Matthias Büttner beim Versuch, einen Vizepräsidenten zu stellen, gescheitert.

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