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Rein in die Hauptrollen
Zum Start der WM-Qualifikation lassen die deutschen Fußballerinnen jeden ihrer Schritte filmen, um ihren Sport sichtbarer zu machen
Noch ist die Kabine eine Tabuzone. Was die Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg vor Anpfiff verlangt, wie sich ihre Spielerinnen in der Halbzeit oder nach Abpfiff verhalten, wird bislang beim deutschen Frauen-Nationalteam noch geheim gehalten. Aber solche Bilder wird es brauchen, wenn die geplante sechsteilige Dokuserie über die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) jenes Alleinstellungsmerkmal bekommen soll, das die Produzenten der Film- und Fernsehgesellschaft Warner Bros. versprechen. »Wir wollen das Licht anmachen und eine neue Sichtbarkeit erreichen«, so die Regisseurin Martina Hänsel.
Noch ist nicht ganz klar, wo die je einstündigen Streifen laufen sollen, deren Handlungsspielraum bis zur EM-Endrunde 2022 in England reicht - mit der Option für eine zweite Staffel bis zur Weltmeisterschaft 2023 in Australien und Neuseeland. Die Qualifikation dafür beginnt an diesem Sonnabend. Das DFB-Team spielt in Cottbus gegen Bulgarien (16.05 Uhr in der ARD) und drei Tage später in Chemnitz gegen Serbien (16 Uhr, ZDF). Gegner, die nur zur zweiten, eher sogar dritten Garde gehören. Vielleicht ist auch deswegen das Interesse überschaubar: Mit je 2500 Zuschauern rechnet der Verband, 5000 wären zugelassen. Ein deutliches Indiz dafür, dass es Nachholbedarf gibt.
Also geht es gerade abseits des Platzes um mehr. Trainerin Voss-Tecklenburg weiß, dass der Kampf um mehr Aufmerksamkeit nur zu gewinnen ist, wenn die Protagonistinnen selbst etwas aktiv werden: »Wir haben Werte, die es sich anzuschauen lohnt: authentisch, professionell, attraktiv.« Die 53-Jährige mit der facettenreichen Vita sagt: »Wir wollen zeigen, dass wir cool sind.« Ein erster Trailer habe das Team selbst angeblich schon zu Tränen gerührt.
Die Dokumentation soll von einem übergeordneten Kontext handeln. Hänsel: »Unsere Story ist größer als der Fußball.« Diverse Themen hätten derzeit »eine globale Nachfrage«. Es geht auch darum, wie Nationalspielerinnen die Doppelbelastung mit Schule, Studium und Beruf bewältigen oder die noch nicht wieder nominierte Torhüterin Almuth Schult ihre Rolle als Mutter von Zwillingen ausübt. Die Zuschauer sollen erfahren, dass die Frauen im Profifußball viel mehr im wahren Leben verwurzelt sind als die Männer. Besuche bei der in London spielenden Melanie Leupolz oder der in Paris angestellten Sara Däbritz oder ein Schlenker nach Israel sind angedacht, wo Deutschland ebenfalls noch in der WM-Qualifikation antreten wird.
Allein die Gruppensieger lösen das Ticket zur WM 2023, Europa hat bei der Ausweitung auf 32 Teilnehmer zwei Plätze dazubekommen und kann nun elf Starter entsenden. Die DFB-Frauen müssen in dieser Saison einen Spagat meistern: einerseits die Pflichtaufgaben der WM-Qualifikation erledigen, andererseits sich aber für die EM-Endrunde 2022 in England einspielen. Unbedeutende Testspiele wird es also kaum geben. Die derzeit in den USA spielende Dzsenifer Marozsan sieht darin einen Vorteil: »Es geht um was. Das gibt uns die Chance, als Gruppe zusammenzuwachsen, während wir ein Ziel vor Augen haben.« Sportlicher Erfolg ist immer noch der wichtigste Indikator dafür, um ins öffentliche Bewusstsein zu gelangen. Die Turniere 2022 und 2023 werden zeigen, ob Deutschland den von der Bundestrainerin gewünschten »Schritt in die richtige Richtung« unternimmt.
Drei Jahre gab es dann kein größeres Event fürs DFB-Team; für die Frauen, die erst bei WM, EM oder Olympischen Spielen ein Massenpublikum erreichen, ist das eine zu lange Zeitspanne. Der Verband von EM-Gastgeber England, wo auch die Liga einen gewaltigen (finanziellen) Push bekommen hat, versucht, die Zeit aktiver zu überbrücken als der DFB. Beispielsweise mit Highlights wie dem Freundschaftsspiel gegen Deutschland im November 2019 vor fast 78 000 Zuschauern in Londoner Wembley-Stadion. Englands Verband richtet nun zudem im Februar 2022 ein Einladungsturnier aus, bei dem die deutschen Fußballerinnen mitspielen. Voss-Tecklenburg freut sich zum einen »auf echte Härtetests im EM-Jahr, zum anderen darauf, im Land des EM-Gastgebers erste Eindrücke zu erleben und die Atmosphäre aufzunehmen«.
Dass die Bundestrainerin bei der Europameisterschaft nächsten Sommer besser abschneiden soll als das Team bei der verkorksten EM 2017 in den Niederlanden unter der unglücklich agierenden Steffi Jones, steht außer Frage. Erhöhter Druck ist Voss-Tecklenburg aber nicht anzusehen. Vielmehr wirken ihr Tatendrang und ihr Selbstbewusstsein ansteckend. Sie will über den Herbst ein Gerüst von »sieben, acht Schlüsselspielerinnen« stärken. Dazu zählen Torhüterin Merle Frohms (Frankfurt), die Innenverteidigung mit Lena Oberdorf (Wolfsburg) und Marina Hegering, das mit Lina Magull (beide München), Sara Däbritz (Paris) und Maroszan hochkarätig besetzte Mittelfeld sowie Offensivallrounderin Svenja Huth (Wolfsburg). Sorgenkind bleibt Kapitänin Alexandra Popp. Die Wolfsburgerin fehlt wegen eines Knorpelabrisses im Knie auf unbestimmte Zeit. Voss-Tecklenburg wird ihr allein aus persönlicher Verbundenheit lange die Option auf eine EM-Teilnahme offenhalten.
Damit sich neue Führungskräfte herausbilden, wird großen Wert auf die Persönlichkeitsentwicklung gelegt. Nicht zufällig absolvieren gerade 14 aktuelle Nationalspielerinnen, darunter die meisten Leistungsträgerinnen, parallel ihren ersten Lehrgang für die Elite-Jugendtrainerlizenz - eine famose Quote, von der selbst DFB-Akademieleiter Tobias Haupt überrascht ist. Was im Sommer mit einem ersten Lehrgang in der hessischen Sportschule Grünberg begann, wurde nun in Dresden bei der aktuellen Länderspielmaßnahme fortgesetzt. Ausbilder Patrik Grolimund sieht schon »potenzielle Top-Trainerinnen« heranwachsen.
Auch wenn solche Schwärmerei etwas übertrieben klingt, kann es kaum schaden, den Fußball bereits als Aktive aus neuen Perspektiven zu betrachten. »Mich hat das damals selbst zu einer besseren Spielerin gemacht«, erklärt Voss-Tecklenburg, die freilich auch damit leben muss, dass alle ihre Maßnahmen künftig von Teilen der Mannschaft noch genauer hinterfragt werden.
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