Der Plan von Premier Justin Trudeau ist nicht aufgegangen

Bei den kanadischen Parlamentswahlen verfehlen die Liberalen die absolute Mehrheit deutlich

  • Jan Tölva, Berkeley
  • Lesedauer: 4 Min.

Rund 27 Millionen Kanadier waren am Montag zur Wahl eines neuen Parlaments aufgerufen. Einen eindeutigen Sieger hat die Wahl allerdings nicht hervorgebracht. Zwar haben Justin Trudeau und seine Liberalen die meisten Sitze errungen. Die erhoffte absolute Mehrheit im Parlament wurde jedoch erneut deutlich verfehlt. Der Premierminister wird somit weiterhin Chef einer Minderheitsregierung sein. Sein wichtigster Herausforderer Erin O‘Toole von den Konservativen hat seine Niederlage bereits im Laufe des Wahlabends eingestanden.

Die Wahl war überhaupt erst nötig geworden, weil Trudeau Mitte August die frisch ernannte Generalgouverneurin Mary May Simon um die Auflösung des Parlaments ersucht und so vorgezogene Neuwahlen erzwungen hatte. Gerade in Zeiten einer globalen Pandemie sei es wichtig, so Trudeaus Argumentation, dass die Regierung effektiv handeln und sich des Rückhalts in der Bevölkerung sicher sein kann. Er wollte nicht länger eine Minderheitsregierung anführen, sondern mit einer robusten parlamentarischen Mehrheit durchregieren können. Trudeau hat gewissermaßen auf sich selbst gewettet – und verloren.

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Trudeaus Chancen für eine absolute Parlamentsmehrheit schienen zeitweise durchaus gut zu stehen. Die Konservativen als stärkste Oppositionspartei lagen in Umfragen deutlich hinter den Liberalen. Bei den vergangenen Wahlen 2019 hatte die Mitte-Rechts-Partei noch die meisten Stimmen geholt und nur aufgrund des kanadischen Mehrheitswahlrechts weniger Sitze als die Liberalen erhalten. Im Laufe des nur einen Monat andauernden Wahlkampfs jedoch deutete sich immer mehr ein Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Parteien an, die die kanadische Politik bereits seit Jahrzehnten dominieren.

Wahlergebnis ähnlich wie 2019

Als große Unbekannte war vor den Wahlen die erst 2018 gegründete rechtspopulistische People‘s Party of Canada (PPC) ausgemacht worden. Umfragen sagten der von abtrünnigen Konservativen gegründeten Partei bis zu sieben Prozent der Stimmen voraus. Am Ende waren es zwar nur fünf Prozent und der Einzug ins Parlament wurde klar verfehlt. In mehr als einem Dutzend besonders enger Wahlkreise jedoch dürfte die Partei den Konservativen die entscheidenden Stimmen für einen Sieg gekostet haben. Nutznießer in den meisten Fällen sind Trudeaus Liberale.

Die von Grabenkämpfen zerrütteten Grünen wiederum stürzten von sechseinhalb auf knapp über zwei Prozent ab. Sie konnten allerdings dennoch in ihren urbanen Hochburgen im Westen und Süden zwei Mandate erringen und somit erneut ins Parlament einziehen. 2019 hatten sie noch drei Mandate erreicht. Die Abgeordnete Jenica Atwin aus Nova Scotia hatte jedoch im Juni nach einem Streit um die Nahostpolitik der Grünen die Partei verlassen. Ein Statement der jüdischen Parteivorsitzenden Annamie Paul, die Israelis und Palästinenser gleichermaßen zum Gewaltverzicht aufgerufen hatte, war ihr nicht einseitig und israelkritisch genug gewesen. Sie wechselte zu den Liberalen und zog nun für diese erneut ins Parlament ein.

Der zwischen Regionalismus und Separatismus oszillierende Bloc Québécois und die sozialdemokratische New Democratic Party (NDP) konnten beide ihre Ergebnisse in etwa halten und werden erneut mit der dritt- und viertstärksten Fraktion ins Parlament einziehen. Insgesamt gleicht das Wahlergebnis in verblüffender Weise jenem von vor zwei Jahren. Zwar legten die Konservativen in Ontario und den Atlantikprovinzen zu, dafür jedoch konnten die Liberalen die »Blaue Wand« in der ländlich geprägten Mitte des Landes durchbrechen und in Calgary und Edmonton je einen Sitz erobern, während sie in Vancouver 2019 verlorengegangene Sitze zurückholen konnten.

Fünf Parteien im Parlament

Nach den vorläufigen Zahlen werden die Liberalen 158, die Konservativen 119, der Bloc Québécois 34, die NDP 25 und die Grünen zwei Sitze erhalten. Es werden also erneut fünf Parteien im Parlament sitzen, und Premierminister Trudeau wird sich für seine Gesetzesvorhaben wechselnde Mehrheiten suchen müssen. Auf ein Entgegenkommen der Konservativen, die erneut die meisten Stimmen, aber halt nicht die meisten Sitze geholt haben, dürfte er dabei wohl nicht hoffen können. Dann schon eher auf die NDP, mit der es größere Schnittmengen etwa bei der Klimapolitik, aber auch bei sozialen Themen und dem Umgang mit Forderungen der indigenen Bevölkerung gibt. Sollten hier beide Parteien an einem Strang ziehen, wäre das für die Menschen in Kanada sicher nicht das Schlechteste.

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