- Politik
- Antifaschistin vor Gericht
Nebenkläger entlastet Lina E.
Ein überfallener NPD-Mann schildert vor Gericht den Angriff in Leipzig im Jahr 2018
Der Überfall ereignete sich am Tag vor Enrico Böhms 36. Geburtstag. Der langjährige Leipziger NPD-Politiker, der zeitweise Kreisvorsitzender der rechtsradikalen Partei war und für diese im Stadtrat saß, war am 2. Oktober 2018 gerade auf den Gehweg vor seinem Wohnhaus im Stadtteil Gohlis getreten, als er von vier Vermummten angegriffen wurde. Die Täter seien »sportlich, kräftig und trainiert« gewesen, erklärte Böhm am Dienstag in einer Zeugenaussage vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes (OLG) Dresden. Er fügte hinzu: »Ich habe sie als männlich empfunden.«
Die Aussage ist von einiger Brisanz. Böhm ist Zeuge und als Geschädigter zudem Nebenkläger in dem Verfahren, das beim OLG unter der Bezeichnung »gegen Lina E. und andere« geführt wird - in dem also die Ermittler eine Frau im Mittelpunkt sehen. Der 26-jährigen Studentin aus Leipzig und drei Mitangeklagten wird vorgeworfen, tatsächliche oder mutmaßliche Rechtsextreme gezielt überfallen und teils brutal zusammengeschlagen zu haben. Sie sollen sich dazu in einer kriminellen Vereinigung zusammengeschlossen haben. Lina E. wird als »Kommandogeberin« bezeichnet. Die Anklage erhob der Generalbundesanwalt. Dass sich die Karlsruher Bundesbehörde die zunächst in Sachsen geführten Ermittlungen auf den Tisch zog, wurde damit begründet, dass die Gruppierung das Gewaltmonopol des Staates nicht anerkannt und damit an einem »Grundpfeiler des Rechtsstaats« gerüttelt habe, wie ein Anklagevertreter formulierte.
Die Anklage ist dabei zweigeteilt. Zunächst lag dem OLG im Mai 2021 eine Anklageschrift vor, in der acht Taten mit 13 Geschädigten aufgeführt werden. Unter anderem geht es um einen Überfall auf die Nazikneipe »Bull's Eye« in Eisenach sowie einen Angriff in Wurzen auf sechs heimkehrende Teilnehmer einer Nazidemo zum 75. Jahrestag der Zerstörung Dresdens. Dieser Teil der Vorwürfe richtet sich gegen alle vier Angeklagten. Der Überfall auf Böhm allerdings findet sich erst in einer zweiten, im Juli 2021 an das OLG nachgereichten Anklageschrift des GBA. Diese betrifft aber ausdrücklich nur Lina E.
Ob diese Vorwürfe Bestand haben können, ist nach der Zeugenaussage Böhms aber fraglich. Dieser schilderte die Täter als »kampfsporterfahren«. Sie hätten Tritte gezielt gegen die Kniescheibe sowie den Kopf geführt. Auf die Frage nach dem Geschlecht der Angreifer sagte Böhm aus, er habe »kein Gesicht und keine Merkmale« erkennen können. Allerdings hätten die Art der Kampfhandlungen und die Statur der Täter auf Männer hingedeutet. Er fügte hinzu: »Chauvinistisch gesprochen, habe ich es einer Frau nicht zugetraut.« Der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats resümierte nach der Befragung, Böhm habe »nichts andeutungsweise gesagt, was auf eine Frau hindeutet«. Ulrich von Klinggräff, einer der Verteidiger von Lina E., sagte, Böhms diesbezügliche Aussagen seien »von entscheidender Bedeutung«.
Im Vorfeld hatten mehrere Verteidiger Zweifel an der Glaubwürdigkeit Böhms geäußert und beantragt, diesen als Zeugen auszuladen. Das hatte bereits zur Verschiebung einer zunächst bereits vor zwei Wochen geplanten Vernehmung geführt. Die Verteidiger verwiesen auf frühere Verurteilungen des NPD-Mannes unter anderem wegen uneidlicher Falschaussage. Rechtsanwalt Oliver Nießing merkte zudem an, Böhm habe ein »erhebliches Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens«. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er im Prozess »wahllose Beschuldigungen« erheben könne und Angeklagte zu Unrecht belastet. Tatsächlich hatte dieser zu Beginn seiner Vernehmung geschildert, die Täter des Überfalls seien größer gewesen als er, und hinzugefügt, er sei im Gericht »gezielt« an den Angeklagten vorbeigegangen, um einen Größenvergleich anzustellen. Richter Schlüter-Staats unterbrach die Aussage und sprach von »Schlussfolgerungen im Grenzbereich« des Zulässigen. Später suchte Böhm auch eine personelle Nähe zwischen einzelnen Angeklagten und den vermeintlichen Tätern eines Überfalls zu suggerieren, bei dem er bereits 2014 einmal körperlich angegriffen und verletzt wurde. Auch diese Behauptung konnte er auf Nachfragen nicht erhärten. Böhm hatte 2014 für die NPD als Stadtrat kandidiert. Später hatte er sich im Streit um die politische Ausrichtung mit dem Landesvorstand überworfen und war 2016 zusammen mit dem Großteil der Mitglieder seines Kreisverbands ausgetreten.
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