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»Wirksam und wirkungslos zugleich«
Junge Menschen sind angesichts der Klimakrise verzweifelt – das hat der Hungerstreik deutlich gemacht. Und er war ein Erfolg
In der vergangenen Woche wurde der »Hungerstreik der letzten Generation«, mit dem sieben junge Menschen knapp vier Wochen gegen das Versagen der Politik in der Klimakrise protestiert haben, beendet. Ihre Forderung nach einem öffentlichen Gespräch mit den drei Bundeskanzlerkandidat*innen im Vorfeld der Wahl wurde nicht erfüllt. Daraufhin sind zwei Aktivist*innen am Samstag für sieben Stunden in den trockenen Hungerstreik getreten, bis SPD-Kandidat Olaf Scholz einem öffentlichen Gespräch über einen Klimanotstand in den kommenden vier Wochen zusagte.
Über die Sinnhaftigkeit des Hungerstreiks wurde in den vergangenen Wochen in den Medien und auch innerhalb der Klimagerechtigkeitsbewegung heftig debattiert: Ist es nicht übertrieben, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen für ein einfaches Gespräch? Und naiv zu glauben, dass ein solches etwas ändern könnte? Und überhaupt: Ein Hungerstreik ist in der Regel das letzte Mittel des Protests, das nur angewandt werden sollte, wenn Betroffene keine andere Wahl mehr haben, weil sie zum Beispiel inhaftiert sind. Diese jungen privilegierten Menschen hätten aber doch noch alle Möglichkeiten der Welt, zu streiken, auf die Straße zu gehen oder Bagger zu blockieren.
Diese Argumente führten viele Debatten an und sie sind in der Theorie alle richtig. Nun ist die Klimakrise aber nicht nur Theorie, sondern real. Ihre Gefahren sind nicht abstrakt, sondern heute schon spürbar, nicht nur an der Arktis oder in Mosambik, sondern auch bei uns in Deutschland, wie in diesem Sommer die Menschen in Mitteldeutschland schmerzlich erfahren mussten. Der Hungerstreik wurde nicht »aus Freude an der Aktionsform« gewählt, wie Sprecherin Hannah Lübbert vor zwei Wochen sarkastisch erklärte, sondern weil die jungen Menschen tatsächlich verzweifelt sind. Ihr Protest hat deutlich gemacht, dass man nicht im Gefängnis sitzen muss, um keinen anderen Ausweg zu sehen.
Die Freiheit der jungen Menschen zu handeln, ist vielleicht nicht durch eine Zellentür eingeschränkt, aber durch die Zwänge des Systems, in dem sie leben müssen. Es sei eine psychische Belastung zu sehen, »dass wir den Planeten gegen die Wand fahren und der Kapitalismus immer weiter geht«, sagte Rumen Grabow in einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche. Er frage sich, ober er noch guten Gewissens Kinder bekommen könne. Damit ist er nicht allein: Laut einer aktuellen international durchgeführten Studie von sieben akademischen Einrichtungen haben 60 Prozent der 16- bis 25-Jährigen in zehn verschiedenen Ländern große Zukunftsängste aufgrund der Klimakrise. 40 Prozent sind unschlüssig, ob sie Kinder bekommen sollen.
Hinzu kommt, dass die sieben Hungerstreik-Aktivist*innen alle anderen Protestformen bereits ausgeschöpft haben. »Ich habe gestreikt und demonstriert und auf dem Brandenburger Tor und in der Zelle gesessen«, sagt Aktivistin Mephisto zu »nd«. Gebracht habe es nichts. Darüber hinaus ist es ironisch, dass Blockaden und Besetzungen gegenüber dem Hungerstreik nun von allen Seiten als angemessene Protestformen deklariert werden, während sie gleichzeitig kriminalisiert sind. »Aktivist*innen werden traumatisiert durch Pfeffersprayduschen, Schlagstöcke und Misshandlung im Gefängnis«, erinnert Jacob Heinze. Selbst Schulstreiks der Fridays for Future-Bewegung werden als illegitimes »Schwänzen« diskreditiert. Die Verhältnismäßigkeit von Protest in Anbetracht der Klimakrise ist schon lange aus den Fugen geraten.
Die Sinnfrage bleibt: Wenn Kraftwerke trotz regelmäßiger Blockaden weiter Kohle verheizen, der Danneröder Forst trotz monatelanger Besetzung abgeholzt wird und Kinder freitags weiter in den Unterricht gezwungen werden, um für eine Zukunft zu lernen, die sie nicht haben – was soll dann ein Gespräch mit Politiker*innen bringen, die noch nie für radikales Handeln bekannt waren? »Ich hätte mir einfach ein ehrliches Gespräch gewünscht, in dem öffentlich wird, dass die Politik keine ausreichenden Wahlprogramme hat«, sagt Mephisto dazu. Vielleicht ist das naiv. Aber ganz ehrlich: Mephisto ist 18 Jahre alt. In dem Alter waren wir alle naiv, aber lange nicht so mutig und entschlossen.
Außerdem macht die simple Forderung viel weniger eine Schwäche der Aktivist*innen als eine der Politiker*innen deutlich. Wenn es doch »nur« um ein Gespräch geht – und genau genommen »hätte uns ja schon die Zusage zu einem Gespräch gereicht«, sagt Mephisto, »die drei hätten sich ja am nächsten Tag krankmelden können« – dann hätten Annalena Baerbock (Grüne), Armin Laschet (CDU) und Olaf Scholz (SPD) doch darauf eingehen können, wie letzterer es ja schließlich auch getan hat. Es stand nie zur Debatte, morgen aus der Kohle auszusteigen. Es ging lediglich um ein Zeichen, dass die realen Sorgen und Nöte von jungen Menschen ernst genommen werden. Erst dadurch, dass die drei Kandidat*innen dieses Zeichen vor der Wahl nicht setzen wollten, wurde der Hungerstreik von ihnen zu einem Machtkampf erhoben, den die Politik doch eigentlich nicht nötig haben sollte. Die drei haben ein Machtgefälle geschaffen, zwischen sich, den Spitzenkandidat*innen, die in allen Talkshows und Triellen gehört wurden, und den Aktivist*innen, indem sie deren Hilferuf nicht hören wollten. »Ich war noch nie so wirksam und so wirkungslos zugleich. Noch nie wurde über eine Aktion, bei der ich mitgemacht habe, so viel berichtet. Gleichzeitig fühlte ich mich sehr machtlos gegenüber der Ignoranz der Politik«, bilanziert Simon Helmstedt.
Unabhängig davon sind die Aktivist*innen natürlich privilegiert. Nicht jeder Mensch kann es sich leisten, für einen Hungerstreik einen Monat aus Schule, Uni oder Job auszusteigen, von den gesundheitlichen Voraussetzungen ganz zu schweigen. Andersherum können sich nicht alle Menschen auf der Welt drei Mahlzeiten am Tag leisten. »Ich habe gehungert mit dem Wissen, jederzeit wieder essen zu können. Und trotzdem war es schlimm. Ich fragte mich mit jedem Tag, wie es sein muss, wirklich zu hungern, weil es keine Nahrung mehr gibt«, sagt Lina Eichler. Aber kann man ihr und ihren Mitstreiter*innen zum Vorwurf machen, die eigenen Privilegien genutzt zu haben?
Eigentlich nicht, da sie es nicht nur für sich getan haben, sondern für alle, die unter der Klimakrise leiden oder leiden werden. Außerdem hat der Hungerstreik letztlich einiges erreicht, nämlich weltweite Öffentlichkeit und Solidarität: »Ich habe in den letzten Wochen viel geweint. Ich habe Angst ums Überleben« und »Ich teile euren Weltschmerz und wäre gerne so mutig wie ihr«, teilten Unterstützer*innen per Videobotschaft mit. Diese und viele andere Stimmen zeigen, dass der Hungerstreik einen Nerv getroffen hat, in einer Zeit, in der Hoffnung auf Veränderung bald immer mehr der Verzweiflung weichen wird. Mit mehr Nachdruck als wahrscheinlich je zuvor wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Zukunft dieses Planeten und unser aller Existenz auf dem Spiel steht. In dieser Hinsicht haben die Hungerstreik-Aktivist*innen viel mehr verstanden als all diejenien, die Sinn und Strategie der Protestform kritisierten. Wobei auch das als Teil des Erfolgs betrachtet werden kann, denn prinzipiell gilt: Nicht Aktivismus allein, sondern nur Hand in Hand mit öffentlicher Berichterstattung und Diskussion kann er Druck auf die Politik ausüben.
Kritisch an diesem Erfolg ist, dass junge Menschen sich dafür selbst gefährdet haben. Doch zumindest diejenigen, die nicht in den Durststreik getreten sind, hatten nie vor, ihr Leben wirklich aufs Spiel zu setzen. »Leben erhalten und schützen muss in der antikapitalistischen Klimagerechtigkeitsbewegung oberste Priorität haben«, sagt Mephisto. Unabhängig davon ist es jedoch nicht angebracht, über Motive und Methoden von jungen Menschen zu urteilen, die verzweifelt sind, wenn man nicht mit ihnen fühlen kann.
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