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Landeswahlleiterin gibt Ehrenamt auf
Nach heftiger Kritik an den Pannen bei den Wahlen in Berlin bittet Petra Michaelis den Senat um Abberufung
Angesichts der zahlreichen Pannen und Probleme bei der Durchführung der Wahlen am vergangenen Sonntag in der Hauptstadt hat Berlins Landeswahlleiterin Petra Michaels am Mittwoch ihr Amt zur Verfügung gestellt. Vorausgegangen waren anhaltende heftige Kritik und Rücktrittsforderungen an Michaelis, die bereits am Montagvormittag nach der Vorstellung des vorläufigen amtlichen Wahlergebnisses laut geworden waren. Dort hatte die Landeswahlleiterin weder Erklärungen für die Ursachen der Unregelmäßigkeiten und Versäumnisse geben können noch ein Wort des Bedauerns oder der Entschuldigung gegenüber den Wählern geäußert.
»Ich übernehme die Verantwortung im Rahmen meiner Funktion als Landeswahlleiterin für die Umstände der Wahldurchführung am 26. September 2021«, heißt es nun in einer am Mittwochnachmittag veröffentlichten Erklärung. »Ich bitte den Senat von Berlin, mich nach den Sitzungen des Landeswahlausschusses am 11. und 14. Oktober 2021 unverzüglich abzuberufen und einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu bestimmen.«
Petra Michaelis war 2009 vom Senat zum 1. Januar 2010 auf unbestimmte Zeit als Landeswahlleiterin für die Wahlen zum Bundestag, zum Europa-Parlament sowie zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen ernannt worden. Zugleich ist sie seither Landesabstimmungsleiterin für Volksbegehren und Volksentscheide.
Erst am Dienstagabend hatte sich Michaelis im Fernsehen in der RBB-»Abendschau« bei den Wählerinnen und Wählern in Berlin ausdrücklich entschuldigt und ihr Bedauern ausgedrückt. »Für die Durchführung und Organisation der Wahlen im Land Berlin trage ich die Verantwortung«, erklärte sie und fügte hinzu: »Und wenn da was schiefgegangen ist, dann muss ich leider sagen, sind es die Bezirkswahlämter gewesen. Aber ich will da keine Schuldzuweisungen machen, weil die Bezirkswahlämter heillos überlastetet sind.«
Die Kritik an der Landeswahlleitung war zuletzt lauter geworden, nachdem weitere Wahlpannen bekannt geworden waren. Der Rechtsprofessor Christian Waldhoff von der Humboldt-Universität schrieb im Internetforum »Verfassungsblog« von »professionellem Versagen« und »gravierendem Organisationsverschulden der Landeswahlleitung«. Die Behinderungen bei der Stimmabgabe hätten rechtlich gesehen »den Grundsatz der Freiheit der Wahl« beeinträchtigt. Er wolle die Gültigkeit der Wahlen nicht infrage stellen, die Vorkommnisse seien aber rechts- und damit zugleich verfassungswidrig. Das sollten Verfassungsgerichte feststellen.
Antje Kapek, Grünen-Fraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus, erklärte am Mittwochnachmittag: »Wahlen sind das Herz einer parlamentarischen Demokratie. Sie müssen reibungslos funktionieren.« Per Twitter teilte sie weiter mit: »Selbst wenn die Wahlleiterin Verantwortung am Wahlchaos übernimmt, ist die Innenverwaltung weiter in der Pflicht. Wir erwarten eine umfassende Aufklärung aller Pannen.«
In Berlin war es am Sonntag nicht nur zu langen Warteschlangen vor Wahllokalen gekommen. Wählerinnen und Wähler mussten zum Teil bis deutlich nach 18 Uhr warten, um ihre Stimmen abzugeben. Zu dem Zeitpunkt sollten die Wahllokale eigentlich schon geschlossen sein. In manchen Bezirken fehlten Wahlscheine, andernorts waren fälschlich Stimmzettel aus anderen Wahlbezirken ausgegeben worden. Nachlieferungen waren teils auch durch die Absperrungen des am selben Tag stattfindenden Berlin-Marathons verzögert worden. Auch das »nd« hatte das peinliche Geschehen, das zahlreiche Wahllokale in verschiedenen Stadtteilen betraf, als Wahlchaos kritisiert und von einer regelrechten Pannenwahl berichtet.
Die Wahlen in der Hauptstadt galten als »Superwahl«. Denn neben dem Bundestag wurden in Berlin am Sonntag auch das Abgeordnetenhaus und die Bezirksvertretungen neu gewählt. Außerdem stimmten die Berliner per Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co. enteignen über die Enteignung großer Immobilienkonzerne in der Stadt ab.
Die Landeswahlleitung hatte erklärt, es habe nach ersten Einschätzungen wohl in etwa 100 der insgesamt 2257 Berliner Wahllokale Schwierigkeiten gegeben. Man habe aber genug Stimmzettel vorbereitet, rund 110 bis 120 Prozent des eigentlichen Bedarfs. Eine vollständige Aufklärung der Probleme werde bis nächste Woche dauern. Eine Anfechtung der Wahl ist erst nach Feststellung des amtlichen Endergebnisses am 14. Oktober möglich.
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