Eine Band ohne Namen

Ein Selfie während der Vorsondierungsgespräche zwischen FDP und Grünen sorgt für ungeahnte Folgen

  • Julia Trippo
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Bundestagswahl ist vorbei, doch die Regierungsbildung fängt gerade erst an. Den Grünen und der FDP, (dritt- und viertplatzierte) haben die Ergebnisse eine bisher unvorhersehbare Machtposition beschert, auch Königsmacher genannt. Das bedeutet, dass sie sich bei thematischer Einigkeit eine der beiden großen Parteien zum Koalieren aussuchen können und somit auch entscheiden, wer der nächste deutsche Bundeskanzler wird. Um jene thematische Einigkeit untereinander auszuloten, trafen sich am Dienstag Annalena Baerbock und Robert Habeck, Parteivorsitzende der Grünen mit dem FDP-Parteivorsitzenden Christian Lindner und Volker Wissing, Generalsekretär der Liberalen. Das Ganze wurde in der modernen Form eines Zeitdokuments festgehalten, dem Selfie. Alle vier verbreiteten dies auf dem Social-Media-Kanal of choice: Instagram, mit gleicher Caption: Sie würden Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes ausloten.

Inhaltlich werden wohl Themen zu Bildung und Digitalisierung Schnittmenge der beiden Parteien sein, ebenso wie ihre junge Wähler*innenschaft. Aber in vielen Punkten passt grün-gelb eben nicht zusammen, etwa bei der Steuerpolitik und beim Klimaschutz. Internetuser*innen meinten auch, in die individuelle Filterwahl auf den vier Instagramprofilen hineinzulesen, dass sich die vier nicht einmal darauf einigen können.

Eine starke Gemeinsamkeit wird wohl auch der Wille zum Regieren sein. Baerbock und Habeck wird sogar vorgeworfen, ihre klimapolitischen Ziele für einen lukrativen Minister*innenposten zu verschleudern. Die Liberalen haben eine bessere Verhandlungsposition. Mit ihrem berüchtigten Ausstieg aus den Jamaika-Verhandlungen vor vier Jahren haben sie klargemacht, wozu sie bereit sind, wenn die Gespräche nicht in ihre gewünschte Richtung gehen. Dennoch können sie es sich eigentlich nicht leisten, diese Karte noch einmal zu spielen. Das Blockieren hat Christian Lindner die Oppositionsarbeit nachhaltig erschwert. Denn jedes Mal, wenn er die Arbeit der Regierung kritisierte, wurde entgegengehalten, dass die FDP ja die Chance zum Mitregieren gehabt hätte.

Grundlegend sind solche Selfies auch außerhalb des netzpolitischen Geschehens von großer Beliebtheit, weil sich damit so mancher Schabernack anstellen lässt. Credits dafür an das allseits kreative Internet.

Eines der vielen Highlights waren die musikalischen Beiträge dank Deepfake-Technologie. Hier bewegten sich dank Künstlicher Intelligenz die Münder der vier Vorsondierenden, wahlweise zu »We are Family« oder auch »Bella Ciao«.

»Wie heißt diese Band?,« fragte das Internet, »Silbermond« hallte es zurück. Eine andere kreative Antwort kam von einer Userin auf Twitter: »Earth, Wind and Irgendeine-Technologie-die-noch-erfunden-werden-muss-aber-uns-alle-vor-der-Klimakatastrophe-retten-wird«.

Und während das Internet sich selbst feiert, haben die Königsmacher eigentlich am meisten zu lachen. Während alle von dem Visuellen abgelenkt sind und fleißig Memes basteln, ist viel Inhaltliches noch nicht ans Tageslicht gekommen.

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