Werbung
  • Sport
  • Union Berlin in der Conference League

Verdorbene Stimmung

Union Berlin besiegt Maccabi Haifa beim ersten Auftritt einer israelischen Vereinsmannschaft im Stadion der Nazispiele. Jüdische Fans werden antisemitisch beleidigt

War es ein historischer Abend? In vielerlei Hinsicht ja, wenngleich es doch nur ein Gruppenspiel der vermeintlich so unbedeutsamen Uefa Europa Conference League war, das der 1. FC Union Berlin und Maccabi Haifa am Donnerstag im roterleuchteten Berliner Olympiastadion absolviert hatten.

Eigentlich herrschte allenthalben versöhnliche Stimmung nach 90 Minuten voller Gesänge, selbst bei Maccabi Haifa, dem derzeit Viertplatzierten der höchsten israelischen Spielklasse Ligat ha’Al, war man nicht allzu unglücklich über das deutliche 0:3 gegen die Berliner. «Union Berlin ist sicherlich eine der stärksten Mannschaften in dieser Conference League», befand Gästetrainer Barak Bakhar nach dem Spiel. «Auch wenn wir enttäuscht sind: Die bessere Mannschaft hat heute Abend gewonnen.»

Für Haifa war es ein besonderes Spiel: Der zwölfmalige Landesmeister war die erste israelische Vereinsmannschaft, die je in dem Stadion auflief, in dem 1936 die Olympischen Sommerspiele ausgetragen wurden – das Weltsportfest, das Adolf Hitler und die Nationalsozialisten für ihre menschenverachtende Propaganda missbraucht hatten.
Die Haifa-Spieler hatten am Vortag im strömenden Regen bereits das Denkmal für die ermordeten Juden Europas besucht und einen Kranz niedergelegt. «Der Sport ist noch mal eine weitere Möglichkeit, die Erinnerung an die Shoa zu thematisieren», sagte Maccabi-Sprecher David Bazak dabei gegenüber dem RBB.

Auch die Profis zeigten sich tief bewegt: «Es ist wichtig, die Geschichte zu kennen», sagte Haifas amerikanisch-israelischer Torwart Joshua Cohen am Donnerstagabend nach dem Spiel. «Wir haben am Mittwoch das Mahnmal besucht und über die Geschichte gesprochen. Ab Donnerstag haben wir uns dann aber voll auf das Spiel konzentriert.»
Auch bei Union mühte man sich, der «besonderen Bedeutung» gerecht zu werden, die Präsident Dirk Zingler dem Match zuvor zuerkannt hatte. «In vielen Gesprächen im Vorfeld des Spiels haben wir die Vorfreude auf diesen Abend gespürt und freuen uns daher sehr, die Mitarbeiter der israelischen Botschaft, Vertreter des jüdisch-christlich-islamischen Dialogprojektes House of One, viele Mitgestalter jüdischen Lebens in Berlin und Sportlerinnen und Sportler von Maccabi Berlin zu diesem Spiel bei uns zu begrüßen», hatte Zingler vor dem Anpfiff auf der Website der Eisernen mitgeteilt.

Am Donnerstag empfing Zingler dann die Maccabi-Delegation im Stadion An der Alten Försterei. Für Haifas 80-jährigen Präsidenten Ya’akov Shachar war es die erste Reise nach Deutschland, nach dem gemeinsamen Mittagessen zeigte er sich erfreut über das Geschichtsbewusstsein der Berliner. «Wenn es klappt, werden wir mit Union beim Rückspiel die Gedenkstätte in Yad Vashem in Jerusalem besuchen», kündigte er gegenüber der «Times of Israel» an.

Am Abend besuchte Shachar dann auch das Spiel, das statt An der Alten Försterei im Olympiastadion ausgetragen werden musste, weil die 22 500 Zuschauer fassende Heimstätte Unions mit ihren vielen Stehplätzen nicht den Sitzplatz-Anforderungen der Uefa genügt. Shachar erlebte ein ausgelassenes Fußballfest vor 23 324 Zuschauern, bei dem nicht nur alle Ansagen auch ins Hebräische übersetzt wurden und die Berliner Anhänger 90 Minuten lang mit Gesängen feierten. Auch der Haifa-Block war mit etwa 1000 Anhängern gut besetzt und ebenso sangesfreudig wie die Köpenicker: Allgemein herrschte Euphorie im Stadionrund.

Die Gästefans hatten zudem reichlich Pyrotechnik in die Arena geschmuggelt, mit denen sie in den ersten Minuten die Tribünen erleuchteten und den Platz vernebelten. Es herrschte Stimmung, wie die Fans sie lieben, und aus Sicht der Berliner lief es perfekt: Nach einer zähen Anfangsviertelstunde trafen die Angreifer Andreas Voglsammer (33.), Kevin Behrens (48.) und Taiwo Awoniyi (77.) in schöner Regelmäßigkeit zum ungefährdeten ersten Sieg der Unioner in der Gruppenphase der Conference League.

Im Nachhinein allerdings fiel ein dunkler Schatten auf das Spiel: Das Junge Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin-Potsdam berichtete noch am Abend bei Twitter von antisemitischen Aktionen auf den Tribünen des Olympiastadions: «Im gemischten Block wurden wir von Union-Fans bedroht, mit Bier beworfen» und unter anderem als ›scheiß Juden‹ beleidigt«, hieß es in einem Tweet: »Ein Union-Fan hat versucht, die Israel-Fahne einer unserer Zuschauerinnen anzuzünden, was glücklicherweise schnell durch Zivilpolizisten verhindert werden konnte.« Immerhin habe es aber auch Union-Fans gegeben, »die sich gegen dieses Verhalten ausgesprochen haben«, hieß es zudem. Man sei »sicherheitshalber in den Maccabi-Block gewechselt.«

Im Netz entbrannte eine Diskussion darüber, wie viele Nazis auch im Union-Anhang zu finden seien. Am Freitagmorgen, der Tweet war mittlerweile viral gegangen, meldete sich das Junge Forum erneut auf Twitter und bedankte sich für »die Welle der Solidarität online« und bei den »Union-Fans, die sich im Stadion mit uns solidarisiert haben«.
Der 1. FC Union indes bat auf Twitter um Mithilfe bei der Ermittlung der Täter. Die Tickets sind personalisiert, so dass mit der genauen Angabe von Block und Sitzplatz eine Identifizierung möglich wäre. Bis Freitagmittag konnte die Polizei auf Presseanfragen noch keine Auskunft zu den Vorfällen geben.

Maccabi Haifa äußerte sich zu den Vorwürfen nicht, sondern dankte auf Twitter noch einmal »für die tolle Gastfreundschaft. Es war ein aufregendes Spiel vor eurem und auch vor unserem Publikum und auch in diesem Stadion, das seine Bedeutung hat. Vielen Dank und auf ein Wiedersehen in Israel!«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.