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Wenn die Inflation die Lohntüte auffrisst
Bei den anstehenden Tarifverhandlungen spielt auch die gegenwärtige Preisentwicklung eine Rolle
Lange Zeit spielte die Inflationsrate bei Tarifverhandlungen eher eine untergeordnete Rolle. Schließlich war sie jahrelang äußerst niedrig, lag sogar so weit unter der Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) von rund zwei Prozent, dass sich Ökonom*innen eher Sorgen um sinkende Preisen und deren schädliche Wirkung für die Volkswirtschaften machten.
Bei Preissteigerungsraten von teilweise über vier Prozent ist dies derzeit natürlich anders. »Der Gang in den Supermarkt oder die Fahrt zur Zapfsäule werden merklich teurer«, sagte der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, im Vorfeld der am Freitag beginnenden Tarifverhandlungen für die Beschäftigten der Bundesländer. »Die Länderbeschäftigten brauchen Reallohnsteigerungen, also ein Plus, das über der immer deutlicher spürbaren Inflation liegt.«
Auch bei der IG Metall führt man die Inflation als Argument für kräftige Lohnzuwächse an: »Natürlich erwarten die Beschäftigten nun, dass es wieder eine ordentliche Erhöhung gibt und es nicht zu Reallohnverlusten kommt«, sagte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann Ende September der »Wirtschaftswoche«. Die nächste Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie sei im Herbst 2022 und »dabei werden wir sicher das Thema Entgeltentwicklung fest in den Blick nehmen«.
Und schon macht die angebliche Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale die Runde. Darunter wird in der Ökonomie ein Prozess bezeichnet, in der hohe Inflationsraten zu hohen Lohnforderungen führen, die von den Unternehmen wiederum in Form von höheren Preisen an die Konsumenten weitergegeben werden, die dann natürlich wieder mehr Geld verdienen wollen. Und so führen hohe Tarifforderungen angeblich zu höheren Inflationsraten.
Zumindest benutzt die Arbeitgeberseite dies gerne als Argument gegen aus ihrer Sicht zu hohe Lohnforderungen. So auch im Rahmen der anlaufenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst: »Eine dauerhaft hohe Inflation ist immer auch durch die Löhne getrieben«, erklärte der Chef der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU), unlängst im Interview mit dem »Handelsblatt«.
Doch erscheint dies bei genauerer Betrachtung eben eher als Panikmache der Arbeitgeberseite. »Gegenwärtig deutet nichts darauf hin, dass von der Lohnentwicklung in Deutschland im Prognosezeitraum für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung destabilisierende Impulse ausgehen werden«, schreibt zum Beispiel das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in seiner aktuellen Konjunkturprognose. »Preisdämpfend für die kommenden beiden Jahre wirken die verhaltenen Lohnabschlüsse, die im Einklang mit unverändert niedrigen mittelfristigen Inflationserwartungen eine Lohn-Preis-Spirale als wenig wahrscheinlich erscheinen lassen«, heißt es auch seitens des Münchner Ifo-Instituts.
So sind die Verdi-Forderungen für die Länderbeschäftigten trotz der hohen Inflationsrate eher moderat. Vor zwei Jahren ging die Gewerkschaft mit einer Forderung von sechs Prozent mehr Gehalt in die Verhandlungen. Dieses Mal wollen sie fünf Prozent, mindestens soll die Lohnerhöhung aber 150 Euro monatlich betragen. Bei Beschäftigten des Gesundheitswesens im öffentlichen Dienst der Länder soll der Betrag 300 Euro betragen. Die Ausbildungsvergütungen sollen um 100 Euro angehoben werden.
Gelten soll der Tarifvertrag für die 1,1 Millionen Beschäftigten der Länder mit Ausnahme von Hessen, wo separat verhandelt. Auch soll der Vertrag für die rund 1,4 Millionen Beamt*innen und eine Million Versorgungsempfänger*innen der Länder und Kommunen gelten.
Laut dem Arbeitgeberverband TdL kämen damit auf die Länder Mehrkosten in Höhe von 7,5 Milliarden Euro zu. Für ihren Chefverhandler Hilbers ist die Forderung von Verdi deshalb »illusorisch«. »Das sind Summen, die die Haushalte nicht verkraften können. Die Finanzsituation ist sehr angespannt«, meint er mit Verweis auf die Coronakrise.
Doch bei Verdi lässt man das Argument der angeblich leeren Kassen nicht gelten. Der Gewerkschaft zufolge sind die Länder im Gegensatz zu Bund und Kommunen relativ gut durch die Krise gekommen. Während der Bund vergangenes Jahr Steuerausfälle in Höhe von 14 Prozent verkraften musste, waren es bei den Ländern nur 2,5 Prozent. Und für dieses Jahr geht man bereits wieder von Mehreinnahmen in Höhe von 2,6 Prozent aus. Nächstes Jahr sollen es sogar 4,6 Prozent sein.
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