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Der lange Weg zur Spitze

Die deutschen Handballerinnen verharren im Streben nach großen Siegen. Ihr Trainer steht zur Diskussion

  • Michael Wilkening
  • Lesedauer: 5 Min.

Im Grunde war es nicht das wahre (Handball-)Leben, das Alina Grijseels, Dinah Eckerle und die Kolleginnen am Donnerstagabend in der Arena in Trier erlebten. Leicht und locker flitzten die Spielerinnen der deutschen Nationalmannschaft übers Feld, warfen Tor auf Tor und hatten am Ende 36:10 gewonnen. Aussagekraft hatte das Ergebnis nicht, wenngleich es kein Trainingsmatch war, sondern der Start in die Qualifikation zur Europameisterschaft im kommenden Jahr. Gegner Griechenland hat im Handball der Frauen in etwa das Niveau wie die Färöer-Inseln im Männerfußball, so dass die Deutschen in den Trainingseinheiten vor der Partie mehr gefordert worden waren als dann während der folgenden 60 Minuten am Donnerstagabend.

Das Ticket für die EM 2022 werden die deutschen Frauen lösen. In einer Gruppe mit den Weltmeisterinnen der Niederlande und den Außenseiterinnen aus Belarus, auf die das deutsche Team am Sonntag erneut in Trier treffen wird, sowie Griechenland reicht dafür schon der zweite Platz. Allerdings ist das Kontinentalturnier als Belohnung für die Qualifikation noch weit weg. Und aktuell ist nicht absehbar, mit welcher personellen und inhaltlichen Ausrichtung der Deutsche Handballbund (DHB) die Europameisterschaft angehen wird. Ab Anfang Dezember, während der zuvor anstehenden Weltmeisterschaft in Spanien und in den Wochen danach, wird entschieden, wie es weitergeht – und ob Henk Groener Bundestrainer bleibt.

Der Niederländer kam im Januar 2018 zum DHB und war damals ein großer Hoffnungsträger, der die deutschen Frauen an die Weltspitze führen sollte. Mit dem Team seines Heimatlandes war ihm dieser Weg geglückt, 2015 gewann er Silber bei der Weltmeisterschaft, bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro ein Jahr später standen die Niederländerinnen im Halbfinale. Der Auftrag an den heute 61-Jährigen: Der mitgliederstärkste Handballfachverband der Welt soll im weiblichen Bereich sportlich zu den Besten zählen. Bislang ist dieses Vorhaben misslungen, die deutschen Frauen schnupperten in jedem Turnier mit Groener in der Verantwortung am Sprung ins Halbfinale, scheiterten jedoch jedes Mal. Zuletzt bei der Europameisterschaft im vergangenen Dezember in Dänemark.

»Wir wollen uns die Zeit nehmen, um Anfang des kommenden Jahres zu besprechen, ob wir weiterhin und langfristig zusammenarbeiten wollen«, sagt Axel Kromer, der Sportvorstand des DHB. Der Vertrag von Groener lief ursprünglich zum Ende des Jahres unmittelbar nach der Weltmeisterschaft aus. Der Niederländer und die Verantwortlichen des Verbandes einigten sich darauf, ihn bis Ende April 2022 auszudehnen, ehe eine grundsätzliche Entscheidung darüber getroffen werden soll, ob man es weiterhin miteinander probieren möchte. Nicht nur die ausgebliebenen Erfolge lassen die Entscheider in der Verbandszentrale in Dortmund zögern, sondern auch die nach außen gedrungenen Unstimmigkeiten über die Führung der Gruppe durch den 61-Jährigen.

Im Anschluss an die sportlich enttäuschend verlaufene EM im vergangenen Dezember hatten die langjährigen Stützen Kim Naidzinavicius und Julia Behnke ihren Rückzug erklärt, weil sie nicht (mehr) mit dem Führungsstil von Groener einverstanden waren. Zu soft sei der Niederländer im Umgang mit dem Team, begründete das Duo den Schritt. Zu wenig Führung, zu viel Eigenverantwortung lauteten die Vorwürfe der beiden Kapitäninnen der Mannschaft. Groener war öffentlich angezählt, ehe sich der Trainer mithilfe der Mannschaft zunächst einmal aus der Bredouille befreite. Ohne das abtrünnige Duo gelang den Deutschen im April in zwei Partien gegen Portugal sehr souverän die Qualifikation für die WM in Spanien.

In Spanien muss Groener nun zeigen, dass er unbeschadet aus dem »Führungsstreit« hervorgehen und die Mannschaft weiterentwickeln konnte. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht. Vor allem der Rücktritt von Kreisläuferin Julia Behnke hat sportlich im Angriff und in der Verteidigung eine große Lücke gerissen, aber der übrig gebliebene Kader für die WM bietet Anlass zur Fantasie.

Abzulesen ist das am neuen Kapitäninnenduo. Emily Bölk und Alina Grijseels führen die deutschen Frauen in der Nachfolge von Naidzinavicius und Behnke an, beide stehen für die Zukunft und sollen eine Ära prägen. Spielmacherin Grijseels (25) brilliert gerade mit Borussia Dortmund in der Champions League, Rückraumschützin Bölk (23) steht beim ungarischen Spitzenklub Ferencvaros Budapest unter Vertrag. Beide sind in jungen Jahren gereift und bereit für Führungsaufgaben. Mit Linkshänderin Alicia Stolle (25), Torhüterin Dinah Eckerle (25) oder Rechtsaußen Amelie Berger (22) kommen weitere Stammkräfte gerade erst in ein Alter, in dem sie ihr bestes Leistungsvermögen entwickeln können.

Das deutsche Team hat erkennbar Potenzial, muss das aber erst noch im Stresstest wichtiger Partien beweisen. Entscheidend wird dabei sein, ob die Deutschen in der Innenverteidigung stark genug sind, um gegen die besten Mannschaften des Kontinents bestehen zu können. Das eingespielte Duo aus Naidzinavicius und Behnke steht nicht mehr zur Verfügung, Bölk und Kreisläuferin Luisa Schulze (31) sind jetzt die erste Wahl. Griechenland war am Donnerstagabend kein Maßstab für eine Beurteilung, Belarus wird es am Sonntag ebenfalls kaum werden. Einen Härtetest gibt es also erst in Spanien.

Der Verband um Sportvorstand Kromer wird genau hinschauen, denn in den kommenden Jahren steht für den DHB viel auf dem Spiel. Er selbst hat die 2020er Jahre zum »Jahrzehnt des Handballs« erklärt. 2024 findet die Männer-EM in Deutschland statt, drei Jahre später die Männer-WM ebenfalls. Dazwischen soll der eigenen Sportart mit der Frauen-Weltmeisterschaft 2025, die in Deutschland und den Niederlanden ausgetragen wird, ein Schub vermittelt werden. Spätestens in vier Jahren müssen die deutschen Frauen also ein Medaillenkandidat sein. Grijseels, Bölk und ihre Kameradinnen werden in Spanien auf dem Feld darüber abstimmen, ob Groener dann noch ihr Trainer sein kann.

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