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Hymnen aus dem Künstler-Prekariat
Wer ist Joachim Franz Büchner? Ein Hamburger Indie-Rocker mit altmodischer schmutziger Eleganz
Der große Trompeter Miles Davis hat einmal allen aufstrebenden Künstler*innen einen knappen Ratschlag gegeben, um die Seelenqual zu überwinden: »If you’re trying to be hip, be hip!«
Wie werde ich berühmt? Die Cleveren wissen: indem ich behaupte, es zu sein. »Ich bin ein Star, der in ist«, singt Joachim Franz Büchner. Der Hamburger Singer-Songwriter meint das selbstverständlich ironisch. Sein Song beruht auf einer Aussage, die in seinem Elternhaus fiel. Es ist Mutter Büchners Definition von »Hipster« - ein Terminus, der in den 50er Jahren eben lässigen Jazzern wie Miles Davis angehängt worden war. Aber hier geht es um Gitarrenmusik: Büchners Debütalbum ist gerade erschienen und trägt den Titel »Ich bin nicht Joachim Franz Büchner«. Schon wieder so ein Verweis auf einen toten Künstler - Marcel Duchamp und seine Pfeife, die keine ist, lassen grüßen.
Joachim Franz Büchner ist circa 40 Jahre alt, ein echter Lebenskünstler, »mitten aus dem Hamburger Wurschtel-Universum« (O-Ton »Tagesspiegel«). Damit ist natürlich das viel beschworene Künstler-Prekariat gemeint, das in jeder deutschen Großstadt mit Kaltmieten jenseits der 10 Euro zu Hause ist. Aber an der Elbe war dieser Soziotypus schon immer besonders ausgeprägt. Einst brachen dort die Musiker von Bands wie Tocotronic und Die Sterne ihre Studien ab, fummelten in feuchten St. Paulianer Bunkern ungelenk an Gitarren vor sich hin, sangen schief und komponierten selbstbezogene Texte. Mit der Bekanntheit wuchsen die instrumentalen Fertigkeiten - und es folgten neue Bands in ihren Fußstapfen: Bessere Zeiten, Erneuerbare Energien oder Der Bürgermeister der Nacht hießen einige dieser Gruppen. Büchner hat in allen mitgespielt, ohne nennenswerten Erfolg. »Meine Freunde sagen: Joachim, du hast dich an dir selbst verschluckt« singt er, nun eben auf dem ersten Album unter eigenem Namen - oder eben auch nicht. Wer ist Büchner, wenn nicht er selbst?
»Nicht man selbst sein zu müssen - das entlastet auch«, sagt er. »Das schafft eine künstlerische Distanz. Ich könnte jede der fiktiven Figuren in den Songs sein. Und mein Name passt ganz gut in den Titel - der hat so eine altmodische, schmutzige Eleganz.«
Selbstfindung, Selbstbewusstsein und Selbstermächtigung sind die großen Themen des Künstlers - »male Self-Empowerment« könnte man wohl dazu sagen. »Komm hoch, werd munter«, trällert der Frauenchor, und Büchner überlegt: »Ich wechsle auf ein andres Instrument / Ich werd zum Sunnyboy«, und dann heißt es gar: »Du kochst gar nicht so schlecht, wie du denkst.« Das ist weder tiefsinnig noch poetisch, aber durchaus berührend. »Früher habe ich mich nie getraut, die offensichtlichen Dinge zu schreiben«, reflektiert Büchner, in seiner kleinen Küche in Hamburg-Eimsbüttel sitzend. »Ich war zu verschnörkelt, wollte immer etwas Kunstvolles sagen. Und jetzt erzähle ich die Dinge so, wie sie sind. Es gab durchaus Phasen von Depression und Apathie. Dafür musste ich einen Ausdruck finden. Man geht dahin, wo es wehtut.«
Worte wie »Gewissen«, »Lügen« und »Erinnerungen« durchziehen das Lied »Zu Kalt Hier«. Der Protagonist reflektiert seine Depressionen. Im chorverhangenen »Bottom of the Pops« hadert der Sänger mit seinem künstlerischen Selbstverständnis: »Meine Freunde sagen: Joachim, vielleicht wird alles ein Riesenflop.« So weit ist es nicht gekommen, immerhin hat Büchner das tadellos beleumundete Indie-Label Buback für sich gewinnen können - und scheint es noch immer kaum glauben zu können: »Was man nicht von mir erwartet hätte / Es funktioniert.«
Musikalisch ist das Album »Ich bin nicht Joachim Franz Büchner« lose an die Musik der Siebziger angelehnt; Psychedelic- und Kraut-Rock werden da angedeutet, mit »Zu Kalt Hier« gibt es einen Dub-artigen Track, den Büchner auf Bob Marley zurückführt. Der Disco-Ausflug »Habicht im Netto« ist der Lieblingssong von Kumpel Frank Spilker - einziges verbliebenes Gründungsmitglied von Die Sterne. In dessen Studio entstand die Platte, mithilfe prominenter Indie-Künstlerinnen wie Pola Schulten und Fee Kürten alias Tellavision. Die Frauen geben dem Album mit ihrem Gesang eine willkommene Frische, genau wie David Mechsners Trompete, die aus einem Song wie »Aus der doppelten Dunkelheit« eine echte Pop-Hymne macht.
In Büchners Schlafzimmer steht eine Gitarre mit dem Aufkleber »Help the Aged« - ein Verweis auf die Band Pulp. Im Gespräch schwärmt der Hamburger von weiteren britischen Vorbildern, von den Manic Street Preachers und Suede. In der Küche hängen drei gerahmte Porträts des 2017 verstorbenen Can-Bassisten Holger Czukay. Büchner ist ein echter Fan, der mit Begeisterung von seinen ersten Hamburger Konzerten erzählt. Mit 15 auf dem ersten richtigen Rockkonzert, und der junge Joachim bekam Todesangst, als um ihn herum die Masse anfing, Pogo zu tanzen. Die Band hieß Tocotronic - und was Büchner mit seinen Vorbildern verbindet: ungelenk intellektuelle Verse in einen Hit zu verwandeln. Eine Zeile wie »Emanzipation von mentaler Unterordnung« als Ohrwurm? Die Joachim Franz Büchner Band macht’s möglich.
»Ich bin nicht Joachim Franz Büchner« ist kein großer Wurf - doch das Album wärmt, amüsiert und unterhält bestens. »Ich habe viele Schwächen«, sagt der Künstler selbst, »aber eine Stärke ist mein starker Willen, und wenn der da ist, lasse ich nicht davon ab. Ich wollte das Album unbedingt.« Es scheint, als habe sich Büchner einmal mehr von Miles Davis inspirieren lassen. Der sagte einmal: »Fürchte dich nicht vor Fehlern - es gibt gar keine.«
Joachim Franz Büchner Band: »Ich bin nicht Joachim Franz Büchner« (Buback/Indigo)
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