Banges Warten auf die Rückreisewelle

Mit mehr Personal und guter Koordination will der Flughafen BER Chaos vermeiden - langfristig wird das kaum reichen

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit Sorge richten sich an diesem Freitag - die Oktoberferien in Berlin-Brandenburg gehen in die zweite Hälfte - die Blicke nicht nur von Fluggästen auf den Hauptstadtflughafen BER. Hatte dieser doch seit Mitte September freitags rund 65 000 Passagiere vermeldet. Was aber als positives Zeichen für die Wiederbelebung des coronabedingt eingebrochenen Flugverkehrs gefeiert wurde, führte am vergangenen Wochenende in ein unerwartet heftiges Chaos mit unentwirrbaren Warteschlangen, ewig langen Abfertigungszeiten, verpassten Abflügen und Tausenden frustrierten Flugreisenden. Ob in Wartebereichen, vor und an den Schaltern, bei der Gepäckabfertigung und sogar auf dem Flugfeld - allseits wurde helfendes Personal vermisst.

Politik und Gewerkschaften pochen nun darauf, die offensichtlichen Personalengpässe zu beseitigen, um das Funktionieren des erst vor einem Jahr eröffneten und wegen der Pandemie mit stark eingeschränkter Kapazität, aber erheblich verkompliziertem Abfertigungsprozedere betriebenen BER zu sichern. Doch auch alte Zweifel am Konzept des Hauptstadtflughafens werden wieder laut.

Zu Wochenbeginn hat die Flughafengesellschaft FBB Eingreifteams an die Schwerpunkte in der Check-in-Halle und der Gepäckabfertigung entsandt und gemeinsam mit Airlines und Servicedienstleistern versucht, Ordnung in die Abläufe zu bringen. Ob das ausreicht, muss sich zunächst an diesem Wochenende zeigen - die wahre Bewährungsprobe wird das Ferienende bringen.

Dass schnelle Lösungen die Ursachen für die chaotischen Zustände beheben, wie sie nun im wegen seiner modernen Verkehrsanbindung so gelobten Terminal 1 aufgetreten sind, hält der Flughafenexperte Dieter Faulenbach da Costa für ausgeschlossen. »Die Meldungen der letzten Tage, die mich zum BER erreicht haben, überraschen mich nicht wirklich«, erklärte er in einer Mitteilung. Seit 2012 weise er auf die technischen, funktionalen, kapazitiven und finanziellen Risiken hin, die in den Fehlplanungen des BER stecken. Faulenbach, der ursprünglich an der Konzipierung des Flughafenneubaus in Berlin mitgewirkt hatte, wirft den BER-Planern seit Langem vor, die Funktionalität des Terminalkomplexes einer eleganten Architektur sowie zahlreichen später hinzugefügten Einbauten geopfert zu haben.

Vor allem die Enge vor den Check-in-Bereichen, die falsche Raumaufteilung im Terminal habe zu dem Chaos geführt, sagte er dem »nd«. »Die Staulängen vor den Abfertigungseinrichtungen, vor allem vor den Sicherheitskontrollen sind zu kurz konzipiert, die Sicherheitskontrollen sind falsch organisiert«, sagte er. Er könne sich vorstellen, wie man eine gewisse Entspannung hinbekäme.

»Generell wird man das Problem aber nicht lösen, ohne den Flughafen zu entkernen und neu auszubauen«, sagte er. Jetzt, da der Flughafen in Betrieb ist, könne man mit Aus- und Erweiterungsarbeiten am Terminal beginnen. »Ohne den Betrieb des Terminals zu gefährden, kann man das Gebäude links und rechts durch Anbauten erweitern und damit in relativ kurzer Zeit vernünftige Kapazitäten schaffen.« Für nicht tauglich hält Faulenbach die derzeit geschlossenen Terminals 2 und 5. Energetisch fragwürdig und funktional eine Katastrophe, würden sie die finanziellen und betrieblichen Probleme des BER verschärfen.

Die Länder Berlin und Brandenburg, neben dem Bund Gesellschafter der FBB, verlangen, die Probleme zügig aufzuarbeiten. »Die Abwicklung des operativen Betriebs am BER ist zwar Sache der Flughafengesellschaft selbst. Die aktuellen Bilder und Eindrücke vom Betrieb am BER sind allerdings kurz gesagt nicht das, was wir uns von unserem Flughafen erwarten«, monierte Brandenburgs Finanzministerin Katrin Lange (SPD) in der »Berliner Morgenpost«. Sie erwarte, dass der BER nun zeige, dass er es besser könne; auch andere Flughäfen stünden schließlich vor schwierigen Problemen, ohne ein derartiges Bild abzugeben. Aus Berlin kam aus der Senatsfinanzverwaltung Kritik an den »unhaltbaren Zuständen«. »Bei allem Verständnis für die Auswirkungen der Corona-Pandemie erwartet das Land Berlin einen regulären Flughafenbetrieb«, sagte ein Sprecher dem Blatt. »Die Vorgänge am Terminal 1 dürfen sich nicht wiederholen.« Das Land Berlin werde in den entsprechenden Unternehmensgremien auf eine umfassende Analyse der Ereignisse drängen und darauf hinwirken, dass die FBB gemeinsam mit den Airlines, der Bundespolizei und den Bodenverkehrsdienstleistern ein Präventionskonzept zu deren Vermeidung entwickelt.

Die Gewerkschaft Verdi zählt neben saisonbedingten Krankmeldungen und längeren Abfertigungszeiten wegen der Corona-Vorschriften auch die Abwanderung von Arbeitskräften zu den Gründen für das Abfertigungschaos. Verdi-Sprecher Andreas Splanemann zufolge sind wegen der langen Kurzarbeit viele Mitarbeiter aus den sogenannten Vorfelddiensten in andere Branchen gewechselt. Wie er am Donnerstag im RBB-Sender Radio Eins erinnerte, fehlten Gewerkschaftsumfragen aus dem Frühsommer zufolge nicht nur am BER bis zu 44 Prozent jener Beschäftigten, die sich beispielsweise um das Gepäck oder um den Check-in kümmern, wobei als Gründe neben der Kurzarbeit auch schlechte Bezahlung und unsichere Arbeitsverhältnisse angeführt wurden. Inzwischen habe sich aber auch die Beschäftigtensituation verändert, man kriege auch in anderen Bereichen als in der Luftfahrtbranche gute Jobs. »Da stehen die Leute nicht mehr unbedingt Schlange, um für relativ wenig Geld unter schwierigen Arbeitsbedingungen auf dem Flughafen Gepäck zu verladen«, so der Gewerkschaftssprecher.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -