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Störung und Betonung

Die wiedereröffnete Dauerausstellung »Zurückgeschaut« in Berlin widmet sich der Ersten Deutschen Kolonialausstellung 1896

  • Esther Schelander
  • Lesedauer: 4 Min.

Wie mit Materialien umgehen, die in einem kolonialen Kontext entstanden sind? Wie mit Fotos, Dokumenten, Texten interagieren, in die gewalttätige und rassistische Perspektiven eingeschrieben sind? Zum Beispiel mit den Zeugnissen der »Ersten Deutschen Kolonialausstellung«, die vor 125 Jahren schloss? Sie zeigte unter anderem eine »Völkerschau«: Nicht-weiße Menschen mussten sich in Kulissendörfern am Karpfenteich im Treptower Park in Berlin anstarren lassen.

Diese Fragen stellte sich das Kurator*innen-Team hinter der Ausstellung »Zurückgeschaut/looking back«, die sich kritisch mit jener historischen Kolonialausstellung befasst. Zunächst 2017 im Bezirksmuseum Treptow im Osten von Berlin eröffnet, besuchten seitdem insgesamt 10 000 Menschen das Haus. Nachdem die bisherige Arbeit an der Ausstellung in großen Teilen ehrenamtlich war, ist nun noch mal Geld geflossen: Das ermöglichte eine Überarbeitung, in deren Zentrum erneut Fragen nach einem angemessenen Umgang mit den Zeitzeugnissen standen. Am 15. Oktober war die Wiedereröffnung.

Die Initialzündung zur Ausstellung kam bereits 2015 vom Museum Treptow. Angelegt als Sonderausstellung wollte man anhand von drei Lebensgeschichten die Wege des Kolonialismus kritisch nachzeichnen. Mit dem fertigen Konzept in der Tasche bat die damalige Museumsleitung den Verein Berlin Postkolonial um kuratorische Beratung. Doch der forderte andere Bedingungen. Es sollte nicht, wie zunächst vorgesehen, auch um weiße Menschen gehen. »Wir haben damals klargemacht, dass unsere Frage eine andere ist: Wer waren die Menschen, die aus den deutschen Kolonien herkamen? Was haben sie davor und danach erlebt?«, erzählt Christian Kopp, Mitbegründer des Vereins.

Gemeinsam warfen sie alle Pläne über den Haufen und erarbeiteten ein anderes Konzept: Ein diverses Kurator*innen-Team, das auf Augenhöhe miteinander arbeitet und kollektiv entscheidet. Und eine Dauerausstellung, die die Geschichten der Opfer sowie Schwarzen Widerstand in den Blick nimmt. Beteiligt waren neben dem Museum Treptow und dem Verein Berlin Postkolonial auch die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland.

Schon 2017 war es ein Merkmal der Ausstellung, dass sie auf rassistische und verletzende Bezeichnungen für Schwarze Menschen gänzlich verzichtete. Offen blieb die Frage, wie mit Worten wie »Völkerschau« und »Kolonialuntertanen« umzugehen war, die im kolonial-rassistischen Denk- und Deutungsmuster fest eingeschrieben waren und die es im Ausstellungskontext brauchte. Um sich einer Antwort anzunähern, erarbeitete das Team gemeinsam mit den zwei Grafiker*innen Danielle Rosales und Robin Coenen ein typografisches Konzept. Im Begleittext zur Ausstellung sind dadurch manche Wörter auf den ersten Blick kaum lesbar: Gleichmäßig liegen Zeichen darüber; diese stören den Schriftzug, sie irritieren. »Dekoloniale Typografie wird heutzutage zwar diskutiert«, erzählt Anna Yeboah aus dem Kurtor*innen-Team, »allerdings eher auf einer theoretischen Ebene. Es gibt diesbezüglich noch kaum praktische - also ästhetische und gestalterische - Referenzen.«

Das fertige Konzept basiert auf Störung und Betonung. Die Zeichen leiteten die beiden Grafiker*innen von einem Alphabet ab, das der kamerunische König Njoya 1896 erfand. Ausgerechnet im Jahr der Kolonialausstellung. Hinweise auf Schwarzen Widerstand hingegen - empowernde Gesten, widerspenstige Praktiken - sind im Text eingerahmt und hervorgehoben.

Auch für die Porträtfotos der Menschen, die damals nach Berlin kamen, fanden sie eine neue Lösung: Um den objektivierenden Blick aus dem amtlichen Bericht zur historischen Kolonialausstellung nicht zu reproduzieren, entschieden sie sich, diese Bilder zu kolorieren und so zu verfremden.

Die Macher*innen der Ausstellung verstehen diesen Prozess der Dekolonialisierung von Zeitzeugnissen als nicht abgeschlossen. Sie wollen laufende Debatten ins Museum hintragen, Verbindungen zu gegenwärtigen Kämpfen und sozialen Bewegungen ziehen. Dazu Anna Yeboah: »Die Besucher*innen sollen verstehen, inwiefern dieses historische Ereignis mit ihrer eigenen Lebensrealität zu tun hat. Welche Ideologien und Systeme haben sich, auch nachdem die Ausstellung abgebaut wurden, erhalten. Wir wollen auch Kontinuitäten vermitteln.«

»Zurückgeschaut /looking back - Die Erste Deutsche Kolonialausstellung von 1896 in Berlin-Treptow«: Dauerausstellung im Museum Treptow in der 2. Etage des historischen Rathauses Johannisthal, Sterndamm 102, Berlin. Mehr Infos unter: www.dekoloniale.de

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