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  • RB Leipzig in der Champions League

Ein fast perfektes Spiel

Die Leipziger Niederlage bei Paris St. Germain gilt als Versprechen für eine bessere Zukunft

  • Ullrich Kroemer, Paris
  • Lesedauer: 5 Min.

Jesse Marsch musste über dieses Spiel erst ein wenig nachdenken. Zwischen zwei Interviews tigerte Leipzigs Trainer allein auf dem Rasen im Pariser Prinzenpark auf und ab, als wolle er selbst noch einmal nachspüren, was die 2:3 (1:1)-Niederlage und die Leistung von RB bei der Weltauswahl von Paris St. Germain wert ist. Seine Spieler waren nach dem Fight gegen Lionel Messi, Kylian Mbappé & Co. noch immer euphorisiert. »Wir können stolz auf diese Leistung hier in Paris gegen eine solche Mannschaft sein, weil wir nicht einen Deut schlechter waren, eher besser«, sagte Konrad Laimer.

Gefundene Balance

Der Österreicher gehörte zu den Besten, ackerte unermüdlich in der Defensive und war an zahlreichen Umschaltaktionen nach vorn beteiligt. Wenn man so will, stand er damit sinnbildlich für das gesamte Leipziger Team, das gegen PSG endlich die Balance zwischen kompakter Abwehrarbeit und präzisem Spiel nach vorn fand. »Wir haben heute gezeigt, dass wir auf höchstem Niveau in Europa mithalten können«, befand Laimer. Und Torschütze André Silva fand sogar: »Es ist nicht verdient, dass PSG gewonnen hat.«

Jesse Marsch war anderer Meinung - weil es auch zur Wahrheit dieses Spiels gehörte, dass Leipzig die nach ähnlichem Schema über Angeliño herausgespielte Führung durch die Treffer von Silva (28.) und Nordi Mukiele (57.) viel zu einfach herschenkte. So spielte Tyler Adams Mbappé den Ball in den Fuß, sodass Messi erst zum Ausgleich (65.) und neun Minuten später vom Elfmeterpunkt traf. Leipzigs Abwehrspieler Mohamed Simakan hatte Mbappé im Strafraum zuvor zu plump umgerissen. »Wir hatten nach der Führung so ziemlich alles im Griff. Dass wir dann so schwerwiegende Fehler gemacht haben, ist schwer zu akzeptieren«, ärgerte sich Marsch achselzuckend. »Wir haben die Niederlage leider verdient.«

Zwar steht RB nun mit weiter null Punkten vor dem Aus in der Königsklasse, dennoch machte diese Partie auf der größtmöglichen Bühne vor 48 000 Fans Mut. Denn endlich zeigte Rasenballsport in einem großen Spiel jenen Fußball, den Trainer Jesse Marsch sich vorstellt. Matchplan, Personalauswahl, Grundformation, Einsatz und Umsetzung passten erstmals unter dem neuen Trainer wirklich zusammen.

Zur Erinnerung: Marsch war als Nachfolger von Julian Nagelsmann angetreten, um RB wieder stärker zum Red-Bull-Fußball der Anfangsjahre zurückzuführen und endlich auch gegen große Gegner zu punkten. »Ziel ist es immer, Gegner und Spiel total zu kontrollieren, in jeder Phase Klarheit zu haben«, hatte er bei seiner Vorstellung gesagt. Nach Gipfelstürmer Nagelsmann wollte er das Team »over the hill« führen, beschrieb der Amerikaner. Also über den Gipfel, über die Grenzen. »Machen wir den nächsten großen Schritt gegen Dortmund und Bayern? Da müssen wir unser bestes Spiel spielen«, hatte er betont. Er trat auch an, um innerhalb des Teams eine neue Kultur zu etablieren. Verletzlichkeit sei keine deutsche Eigenschaft, er wolle mehr Verwundbarkeit schaffen, sagte er. »Ich versuche, die Meinungen der Spieler mehr zu hören und sie dazu zu bringen, mehr von sich selbst zu geben und sich auf einer höheren Ebene füreinander einzusetzen. Ich will sie dazu bringen, total aneinander zu glauben«, erzählte Marsch seinem Freund, dem US-Journalisten Grant Wahl.

Verwelkte Vorschusslorbeeren

Doch statt mit neuem Vertrauen reagierte das Team in den ersten zweieinhalb Monaten der Saison komplett verunsichert. Die Vorschusslorbeeren, die der freundliche Motivator aus Wisconsin aufgrund seiner unkonventionellen Art bekommen hatte, welkten schnell. Der Vizemeister fremdelte mit der neuen Spielidee - für Emil Forsberg & Co. erschloss sich einfach nicht, weshalb Marschs wilderer Stil ein Fortschritt zum kontrollierten Kombinations- und Positionsfußball mit viel Ballbesitz von Nagelsmann sein soll. Und so verloren die Rasenballsportler in einigen Partien im Spielaufbau komplett die Linie. Der Tiefpunkt war die Heimniederlage in der Champions League gegen Underdog Brügge, als Leipzig reihenweise viele Bälle im Aufbau schnell wieder verlor und hilflos wirkte.

Marsch setzt bei seinen Spielern auf Selbstverantwortung, doch in der Verunsicherung wirkte das Team, auch durch fehlendes Coaching während der Spiele, alleingelassen. Es trägt seinen Teil dazu bei, dass der 47-Jährige mit Journalisten wie Spielern ausschließlich Deutsch spricht. Vielleicht wirken viele seiner Aussagen auch deswegen vergleichsweise simpel - zumal Nagelsmann zuvor so ausführlich wie kaum ein anderer Trainer in der Branche über seine taktischen Ideen doziert hatte. Marsch ist der Meinung, dass es nicht seine Aufgabe sei, so konkrete Einblicke zu geben. So verfestigte sich der Eindruck, dass er der »Gruppe«, wie er die Mannschaft nennt, jenseits der Motivationsfloskeln schlicht zu wenig konkrete Anweisungen geben kann.

Entscheidender November

All das wurde nun durch den leidenschaftlichen und planvollen Auftritt gegen einige der besten Spieler der Welt relativiert. Marsch analysierte: »Wir hatten nicht viel Ballbesitz (36 Prozent, Anm. d. Red.), aber waren intensiv gegen den Ball und sehr intelligent darin, welchen Raum und welche Spieler wir attackieren und kontrollieren.« Die Partie war für Spieler und Fans wie ein Versprechen, dass Marschs Ideen doch noch fruchten können. »Wir haben ruhig, mutig und mit gutem Positionsspiel gespielt, Chancen gekriegt und so viele Standards bekommen wie vielleicht noch keine Mannschaft zuvor in dieser Saison gegen PSG«, sagte der Coach. 18 zu 12 Torschüsse hatte Leipzig, zahlreiche Chancen zum Sieg oder zumindest einem Remis waren vorhanden, doch dafür fehlte die Abgezocktheit vor dem Tor. »Es war fast perfekt«, sagte Marsch. Aber eben nur fast. Laimer - bislang einer der Verlierer unter Marsch - kündigte an, »Elan und Power« nun auch in Punkte umzuwandeln. Der November mit großen Spielen am Fließband wird entscheiden, ob Marsch über die Saison hinaus eine Zukunft in Leipzig haben wird.

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